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TIERVERSUCH/764: Nach Tierversuchen - Todesfälle bei klinischer Studie (MfT)


Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Pressemitteilung vom 30. Juli 2018

Nach Tierversuchen: Todesfälle bei klinischer Studie


Eine seit 2015 laufende Studie des Academic Medical Center (AMC) der Universität Amsterdam mit schwangeren Frauen musste nach 19 Todesfällen von Neugeborenen vorzeitig abgebrochen werden. Der klinischen Studie waren umfangreiche Tierversuche an verschiedenen Tierarten vorausgegangen. Der Bundesverband Menschen für Tierrechte bedauert diese Entwicklung und weist auf mögliche Risiken von im Tierversuch getesteten Medikamenten sowie auf die Unzulänglichkeit von Tiermodellen hin.

In der klinischen Studie "Strider" sollte untersucht werden, ob der als Viagra bekannte Wirkstoff Sildenafil zur Behandlung von fetalen Wachstumsstörungen eingesetzt werden kann. Durch die blutgefäßerweiternde Wirkung sollte die Durchblutung und somit Sauerstoff- und Nährstoffversorgung der Plazenta erhöht werden. Deren Störung ist eine mögliche Ursache für Wachstumsstörungen der Föten und damit verbundene Früh- oder Totgeburten.

19 Kinder nach Geburt gestorben

Nach Aussagen des VU Medisch Centrum in Amsterdam (1) sind nach Behandlung der Schwangeren mit Sildenafil 19 von 93 Kindern nach der Geburt gestorben, davon 11 an einer Lungenerkrankung. Die Mediziner vermuten, dass ein erhöhter Blutdruck im zarten Lungengewebe zu einer Sauerstoffunterversorgung führte. Bisher besteht nur ein Zusammenhang zwischen der Einnahme von Sildenafil und der erhöhten Mortalität und damit der Verdacht, dass der Viagra-Wirkstoff reproduktionstoxisch sein könnte.

Tests an Mäusen, Ratten, Meerschweinchen und Schafen

Der klinischen Studie waren umfangreiche Tierversuche an verschiedenen Tierarten vorausgegangen. Die Behandlung fetaler Wachstumsstörungen mit Sildenafil hat sich nach dem publizierten Studiendesign in mehreren präklinischen Studien mit gentechnisch veränderten Mäusen sowie mit Ratten, Meerschweinchen und Schafen als effektiv und sicher erwiesen (2, 3, 4, 5). "Die Ergebnisse aus den Tierversuchen klangen vielversprechend, wären da nicht die Unterschiede zwischen einer multifaktoriellen Erkrankung im Menschen und den künstlich hervorgerufenen Krankheitsmodellen in den Tieren", gibt Dr. Claudia Gerlach, wissenschaftliche Referentin bei Menschen für Tierrechte zu bedenken.

Plazenten: Große molekulare Unterschiede

Darüber hinaus ist bereits bekannt, dass die molekularen Unterschiede zwischen den Plazenten der verschiedenen Spezies nur bedingt eine Übertragung auf den Menschen zulassen, vermutlich nicht einmal von anderen Primaten gemäß den Erkenntnissen der Arbeitsgruppe von Prof. Udo Markert aus dem Plazentalabor der Universitätsklinik Jena. Da die Plazenta das Organ mit der höchsten evolutionären Diversität ist, existieren keine Tiermodelle für die Situation im Menschen, so dass die oft verwendeten Mausmodelle überschätzt werden (6).

Humanspezifisch nur mit humanen Zellen und Geweben

Die zunehmend bekannten humanspezifischen Faktoren können nach Überzeugung des Tierrechtsverbands nur auf Basis von humanen Zellen und Geweben, einem bereits in der Entwicklung befindlichen Human-on-a-Chip und ergänzenden in-silico-Methoden in einem abgestuften Testsystem verstanden werden. Deshalb haben Forscher bereits ein humanes ex vivo Plazenta-Perfusionsmodell für toxikologische Tests entwickelt (7).

Unzulänglichkeit von Tiermodellen

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Unzulänglichkeit von Tiermodellen aus der Plazentaforschung ähneln Beobachtungen aus anderen medizinischen Forschungsbereichen und sind ein weiterer Beleg für die vom Bundesverband der Tierversuchsgegner seit langem geforderte Entwicklung tierfreier Modelle basierend auf humanspezifischen Methoden. Zudem wird eine umfassende rückblickende Bewertung aller Tierversuche gefordert, vor allem die mit negativen Ergebnissen, da Publikationen von meist erfolgreich beschriebenen Studien die tatsächlichen Effekte statistisch verzerren könnten.


Anmerkungen:

(1) https://www.volkskrant.nl/nieuws-achtergrond/viagra-moest-het-wondermiddel-tegen-kindersterfte-zijn-het-tegendeel-blijkt-waar~b69b00c2/

(2) Stanley, J. L., Andersson, I. J., Poudel, R., Rueda-Clausen, C. F., Sibley, C. P., Davidge, S. T., & Baker, P. N. (2012). Sildenafil citrate rescues fetal growth in the catechol-O-methyl transferase knockout mouse model. Hypertension, HYPERTENSIONAHA-111.

(3) Refuerzo, J. S., Sokol, R. J., Aranda, J. V., Hallak, M., Hotra, J. W., Kruger, M., & Sorokin, Y. (2006). Sildenafil citrate and fetal outcome in pregnant rats. Fetal diagnosis and therapy, 21(3), 259-263.

(4) Sánchez-Aparicio, P., Mota-Rojas, D., Nava-Ocampo, A. A., Trujillo-Ortega, M. E., Alfaro-Rodríguez, A., Arch, E., & Alonso-Spilsbury, M. (2008). Effects of sildenafil on the fetal growth of guinea pigs and their ability to survive induced intrapartum asphyxia. American journal of obstetrics and gynecology, 198(1), 127-e1.

(5) Satterfield, M. C., Bazer, F. W., Spencer, T. E., & Wu, G. (2009). Sildenafil Citrate Treatment Enhances Amino Acid Availability in the Conceptus and Fetal Growth in an Ovine Model of Intrauterine Growth Restriction-3. The Journal of nutrition, 140(2), 251-258.

(6) Göhner, C., Svensson-Arvelund, J., Pfarrer, C., Häger, J. D., Faas, M., Ernerudh, J., ... & Markert, U. R. (2014). The placenta in toxicology. Part IV: battery of toxicological test systems based on human placenta. Toxicologic pathology, 42(2), 345-351.

(7) Schmidt, A., Morales-Prieto, D. M., Pastuschek, J., Froehlich, K., & Markert, U. R. (2015). Only humans have human placentas: molecular differences between mice and humans. Journal of reproductive immunology, 108, 65-71.

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Quelle:
Pressemitteilung vom 30. Juli 2018
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Geschäftsstelle: Mühlenstr. 7a, 40699 Erkrath
Telefon: 0211 / 22 08 56 48, Fax. 0211 / 22 08 56 49
E-Mail: info@tierrechte.de
Internet: www.tierrechte.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Juli 2018

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