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TIERVERSUCH/758: Replacement des Jahres - Neue Teststrategie zur Feststellung der Herzgiftigkeit (tierrechte)


Magazin tierrechte - Ausgabe 1/2018
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V

Replacement des Jahres:
Neue Teststrategie zur Feststellung der Herzgiftigkeit

von Dr. Christiane Baumgartl-Simons und Dr. Christiane Hohensee


Mit dem "Replacement des Jahres" zeigen wir herausragende und förderungswürdige Entwicklungen für den Bereich Ersatzverfahren zum Tierversuch auf. Doch dies ist nicht alles. Bei unseren Recherchen stellten wir fest, dass die internationale Richtlinie, die vorgibt, wie die Herzgiftigkeit von Arzneimitteln getestet werden muss, gefährliche Mängel aufweist. Eine neue Teststrategie aus den USA kann Abhilfe schaffen. Doch der Prozess stagniert.


Was ist das Problem bei der Feststellung der Herzgiftigkeit?

Die aktuell angewendeten Tests zur Feststellung herzschädigender Wirkungen von Arzneimitteln bestehen aus einer Kombination von Tierversuchen sowie tierversuchsfreien Verfahren und sind in einer Richtlinie festgehalten. Inzwischen gibt es um Klassen bessere tierversuchsfreie Methoden, von denen die besten in eine neue, in den USA entwickelte Teststrategie eingeflossen sind. So weit so gut. Die Aufnahme dieser Teststrategie in die zuständige Prüfrichtlinie ist allerdings noch nicht erfolgt, obwohl das Verfahren schon Ende 2017 abgeschlossen sein sollte. Der Prozess stagniert aus unbekannten Gründen. Das ist der eigentliche Skandal. Die Folgen dieser zeitlichen Verschleppung wiegen mehrfach schwer. Denn es leiden und sterben Tiere in wissenschaftlich rückständigen Tests, die die Herzgiftigkeit der Arzneimittel nicht zuverlässig entdecken. Dadurch kommen Arzneimittel mit nicht erkannten herztoxischen Wirkungen auf den Markt und können Menschen gefährden. Oder Substanzen werden fälschlicherweise als kardiotoxisch ermittelt und aussortiert, weshalb die Entwicklung eines wirksamen Arzneimittels möglicherweise zu Unrecht ausgebremst wird.


Wonach erfolgt die Prüfung?

Die Prüfung erfolgt nach Vorgaben einer Richtlinie mit dem Namen ICH S7B. Sie ist das Ergebnis von internationalen Harmonisierungsbestrebungen und regelt die Prüfung auf Herzgiftigkeit für Human-Arzneimittel in Europa, den USA, Kanada und Japan.


Warum hat sie eine so große Bedeutung?

Das Herz-Kreislauf-System ist am häufigsten von toxischen Reaktionen betroffen. Herzschädigungen sind ein absolutes Ausschlusskriterium für die Zulassung von Arzneimitteln. Substanzen, die in den pharmakologischen Sicherheitstests herzschädigende Wirkungen zeigen, werden sofort aussortiert. Die Tests sollen feststellen, ob eine Prüfsubstanz die Erregungsrückbildung in den Herzkammern verzögert. Sollte dies der Fall sein, so wird die wichtige Erholungszeit zwischen zwei Herzschlägen erheblich gestört. Dies kann zu Herzrhythmusstörungen bis zum plötzlichen Herztod führen.


Welche Versuche enthält die Prüfrichtlinie?

Die Richtlinie listet Tierversuche, Untersuchungen an isolierten Tierherzen und einen tierversuchsfreien Test mit Einzelzellen auf. Im Tierexperiment, dem sogenannten Telemetrie-Implantat-Versuch, wird an Hunden oder Affen die Zeit der Erregungsrückbildung in den Herzkammern gemessen. Die Richtlinie ICH S7B verlangt, dass die Kammer-Repolarisation und die Ermittlung von Herzrhythmusstörungen an lebenden "intakten" Tieren vorgenommen werden, auch, um neuronale und hormonelle Einflüsse auf die Herzwirkung der Arzneimittel zu erfassen. Verwendet werden fünf Hunde pro Konzentration zuzüglich der Kontrolle. Im Durchschnitt sind es 30 Hunde pro Substanz. Bei bestimmten Prüfsubstanzen werden die Versuche auch mit Affen durchgeführt. Die Erregungsrückbildung wird auch an isolierten Herzen von Kaninchen oder Meerschweinchen untersucht. Als weiterer Test steht der tierversuchsfreie hERG-Test in der Richtlinie. Er arbeitet mit Einzelzellen, die von Tieren oder einer menschlichen Nierenzelllinie stammen oder mit Herzkammerzellen, die aus humanen pluripotenten Stammzellen entwickelt werden können. Der hERG-Test wird jedoch scharf kritisiert, weil er die herzschädigenden Vorgänge nicht immer zuverlässig erfasst. Dadurch kann es passieren, dass Prüfsubstanzen fälschlicherweise als herztoxisch eingestuft und aussortiert werden.


Was wird der aktuellen Prüfrichtlinie vorgeworfen?

Die Richtlinie ICH S7B ist umstritten, weil mit dieser Teststrategie nicht alle notwendigen Informationen zur Beurteilung der Kardiotoxizität ermittelt werden können. So wurden zum Beispiel Verapamil, Phenobarbital oder Ranolazine als Herzrhythmus-störend gemessen, obwohl sie nachweislich gar keine Störungen auslösen. Deswegen ist die Aktualisierung der Richtlinie dringend erforderlich - zum Schutz von Mensch und Tier. *

Quelle:
Magazin tierrechte - Ausgabe 1/2018, S. 6
Menschen für Tierrechte
Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Mühlenstr. 7a, 40699 Erkrath
Telefon: 0211 / 22 08 56 48, Fax. 0211 / 22 08 56 49
E-Mail: info@tierrechte.de
Internet: www.tierrechte.de
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Juli 2018

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