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TIERVERSUCH/691: Offener Brief an die Informationsinitiative "Tierversuche verstehen" (MfT)


Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Pressemitteilung vom 9. September 2016

Menschen für Tierrechte: Offener Brief an die Informationsinitiative "Tierversuche verstehen"


Die Allianz der führenden Wissenschaftsorganisationen(*) hat am 6. September ihre neue Informationsinitiative "Tierversuche verstehen" gestartet. In seinem heute veröffentlichten Brief kritisiert der Bundesverband Menschen für Tierrechte e.V. die Einseitigkeit und Unvollständigkeit des Informationsangebotes und fordert die Forschungsorganisationen auf, ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht zu werden und sich aktiv an der Entwicklung tierversuchsfreier Verfahren zu beteiligen, wie es die EU-Gesetzgebung fordert.

Der Bundesverband Menschen für Tierrechte e.V. veröffentlicht heute einen Offenen Brief an Professor Dr. Stefan Treue, Vorsitzender der Steuerungsgruppe der neuen Informationsinitiative "Tierversuche verstehen". In diesem kritisiert die Tierrechtsorganisation, dass die Initiative dem eigenen Anspruch nach seriösen daten- und faktenbasierten Informationen nicht gerecht wird.

"Die bisher angebotenen Informationen fokussieren einseitig auf die Leistungen des Tierversuchs und verharmlosen das Leiden der Tiere im Labor. Beispielweise ist die Aussage von Professor Treue, dass der typische Tierversuch eine Blutprobe an einer Maus sei und belastendere Tierversuche lediglich Ausnahmen darstellten, eine dreiste Verharmlosung dessen, was tatsächlich mit den Tieren im Experiment geschieht", moniert Dr. Christiane Baumgartl-Simons, stellvertretende Bundesvorsitzende von Menschen für Tierrechte.

Die Tierrechtsorganisation kritisiert weiter, dass bei den angebotenen Informationen, mindestens zwei elementare Bereiche fehlten, um die Methode Tierversuch seriös beurteilen zu können. Dies seien daten- und faktenbasierte Angaben über Leistungsgrenzen und Fehlleistungen der Tierversuche sowie Informationen über tierversuchsfreie Verfahren.

Der Tierrechtsverband sieht die Allianz in der Verantwortung, den Pflichten der EU-Tierversuchsrichtlinie 2010/63/EU nachzukommen. In dieser haben die EU-Mitgliedstaaten 2010 das letztendliche Ziel vereinbart, Verfahren mit lebenden Tieren für wissenschaftliche und Bildungszwecke vollständig zu ersetzen, sobald dies wissenschaftlich möglich ist. Eine weitere Aufgabe der EU-Staaten ist es, die Weiterentwicklung tierversuchsfreier Verfahren zu erleichtern und zu fördern.

"Wir begrüßen, dass die Initiative die gesellschaftliche Diskussion um Tierversuche sachlich vorantreiben möchte, auch um zu beantworten, wie die Situation verbessert werden kann. Das greifen wir gerne auf! Unsere Schlüsselfragen dazu lauten: Was investiert die Allianz konkret in die Entwicklung tierversuchsfreier Verfahren? Und: Wird sich die Allianz aktiv an der Entwicklung und Umsetzung eines Masterplans beteiligen, der den vollständigen Ersatz der Tierversuche verfolgt, so wie es EU-Tierversuchsrichtlinie festschreibt?", fragt Dr. Christiane Baumgartl-Simons abschließend.

Hier lesen Sie den Offenen Brief an Professor Dr. Stefan Treue, Vorsitzender der Steuerungsgruppe der neuen Informationsinitiative "Tierversuche verstehen" unter: www.tierrechte.de (siehe auch unten)


(*) Die Allianz der Wissenschaftsorganisationen befasst sich mit Fragen der Wissenschaftspolitik, Forschungsförderung und strukturellen Weiterentwicklung des deutschen Wissenschaftssystems. Mitglieder der Allianz sind die Alexander von Humboldt-Stiftung, der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD), die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die Fraunhofer-Gesellschaft, die Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren, die Hochschulrektorenkonferenz, die Leibniz-Gemeinschaft, die Max-Planck-Gesellschaft, die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina und der Wissenschaftsrat. Für das Jahr 2016 hat die Leopoldina die Federführung in der Allianz übernommen.

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OFFENER BRIEF

Professor Dr. Stefan Treue
Vorsitzender der Steuerungsgruppe der
Informationsinitiative "Tierversuche verstehen"

Allianz der Wissenschaftsorganisationen
Per E-Mail treue@tierversuche-verstehen.de


9. September 2016

Offener Brief zur Informationsinitiative "Tierversuche verstehen"

Sehr geehrter Herr Professor Treue,

die Allianz der Wissenschaftsorganisationen hat am 6. September ihre Informationsinitiative "Tierversuche verstehen" offiziell mit einer Pressekonferenz in Berlin gestartet. Wir haben die Medienberichte und die Informationen, die die Allianz der Wissenschaftsorganisationen veröffentlicht hat, aufmerksam gelesen.

Aus diesen Informationen ergibt sich Folgendes: Die Initiative will daten- und faktenbasiert über Tierversuche informieren und richtet sich an die breite Öffentlichkeit. Diesen Anspruch, den der Zusammenschluss der bedeutendsten Wissenschafts- und Forschungsorganisationen in Deutschland an seine eigene Initiative stellt, sehen wir als nicht erfüllt an. Wir bemängeln, dass die von der Initiative bisher angebotenen Informationen die Leistungen des Tierversuchs überhöhen und in den Mittelpunkt stellen. Auch die Aussage, dass der typische Tierversuch eine Blutprobe an einer Maus, die ähnlich und vergleichbar einer Blutprobe beim Menschen oder einer Impfstoffinjektion sei, und belastendere Tierversuche lediglich Ausnahmen darstellten, können wir nicht bestätigen.

Bei den bisher zugänglichen Informationen vermissen wir zwei elementare Bereiche, um die Methode Tierversuch mit dem größtmöglichen Anspruch auf Seriosität beurteilen zu können. Der erste fehlende Bereich beinhaltet daten- und faktenbasierte Informationen über Leistungsgrenzen und Fehlleistungen der Tierversuche. Außerdem fehlen daten- und faktenbasierte Informationen über tierversuchsfreie Verfahren.

Sehr geehrter Herr Professor Treue, Sie sagten im Interview mit Deutschlandradio Kultur am 6. September, dass die Informationsinitiative "Tierversuche verstehen" die wichtige gesellschaftliche Diskussion um Tierversuche sachlich vorantreiben und Antworten auf die Frage "Was kann eine Gesellschaft leisten, um die allgemeine Situation zu verbessern" finden soll. Auf diese wichtige und begrüßenswerte Aussage möchte ich näher eingehen.

Die gesellschaftlichen Werteentwicklungen im Bereich der Tierversuche haben 2010 ihren Niederschlag in der Tierversuchsrichtlinie 2010/63/EU gefunden. Im Erwägungsgrund 10 haben sich die EU-Mitgliedstaaten auf das letztendliche Ziel verständigt, Verfahren mit lebenden Tieren für wissenschaftliche Zwecke und Bildungszwecke vollständig zu ersetzen, sobald dies wissenschaftlich möglich ist. Die Mitgliedstaaten haben weiter vereinbart, die Weiterentwicklung alternativer Ansätze zu erleichtern und zu fördern.

Daraus ergeben sich Handlungsaufträge für alle beteiligten Gruppen. An die Allianz der Wissenschaftsorganisationen stellen wir daher die Fragen: Was genau investiert die Allianz in die Entwicklung tierversuchsfreier Verfahren? Aus welchen Gründen sehen sich die Wissenschaftsorganisationen nicht ebenso in der Pflicht, eine Informationsinitiative für tierversuchsfreie Methoden zu starten? Für eine faire gesellschaftliche Diskussion wäre das sehr nötig.

Um dem Auftrag und den Verpflichtungen der EU-Tierversuchsrichtlinie nachzukommen, ist ein Masterplan eine unerlässliche Voraussetzung. Diesen aber gibt es bisher nicht. Politik, Wissenschaft, Industrie und Tierschutz sind die maßgeblichen Stakeholder für diese Projektplanung. Wir finden, dass es für die Allianz der Wissenschaftsorganisationen eine Selbstverständlichkeit ist, sich zu den Zielen der EU-Tierversuchsrichtlinie zu bekennen. Dazu gehört, die Erstellung eines Masterplans einzufordern und sich an seiner Entwicklung sowie Umsetzung aktiv zu beteiligen.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Christiane Baumgartl-Simons

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Der Bundesverband Menschen für Tierrechte setzt sich seit seiner Gründung 1982 auf rechtlicher, politischer, wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene für die Anerkennung elementarer Tierrechte ein. Dem Dachverband mit Hauptsitz in Aachen sind über 60 Vereine sowie Fördermitglieder angeschlossen. Seine Stärke liegt im Zusammenwirken von Seriosität, Fachwissen und Lobbyarbeit auf höchster politischer Ebene. Der Verband Menschen für Tierrechte e.V. kämpft gegen jeglichen Missbrauch von Tieren. Er verfolgt den Ausstieg aus dem Tierversuch und das Ende der "Nutztier"-Haltung. Um diese Ziele zu erreichen, ernennt der Verband beispielsweise das "Versuchstier des Jahres", betreibt die Wissenschaftsplattform InVitro+Jobs und setzt sich für eine konsequente Förderung der tierversuchsfreien Forschung und Lehre ein. Weitere Arbeitsschwerpunkte sind die Etablierung der Tierschutz-Verbandsklage, eine tierlose bio-vegane Landwirtschaft sowie die Aufnahme von Tierrechten in die Lehrpläne von Schulen. Der Verband gibt viermal im Jahr das Magazin tierrechte heraus. Neben einem Themenschwerpunkt informiert die Zeitschrift Journalisten, Wissenschaftler, Politiker, Behörden und Verbandsmitglieder über aktuelle Entwicklungen in der politischen Tierrechtsarbeit. Zudem erscheint zweimal monatlich der Tierrechte Newsletter. Der Bundesverband Menschen für Tierrechte ist seit seiner Gründung als gemeinnützig und besonders förderungswürdig anerkannt. Beiträge und Spenden sind steuerlich absetzbar.

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Quelle:
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Pressemitteilung vom 9. September 2016
52072 Aachen, Roermonder Straße 4a
Telefon der Pressestelle: 05237/231 97 90
E-Mail: ledermann@tierrechte.de
Internet: www.tierrechte.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. September 2016

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