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POLITIK/829: Was wir von der Schweiz lernen können (PROVIEH)


PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 4/2017
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Gut, gibt's die Schweizer Bauern
www.landwirtschaft.ch
Was wir von der Schweiz lernen können

von Jasmin Zöllmer


Als ich dieses Jahr ein paar Urlaubstage auf einem Schweizer Bauernhof verbrachte, fielen mir sofort die bunten Broschüren ins Auge, die Gäste über die Schweizer Bauern und verschiedene Tierhaltungsformen aufklärten. "Gut, gibt's die Schweizer Bauern" heißt die Kampagne. Gesponsert vom Schweizer Landwirtschaftsministerium soll sie Wertschätzung für die Landwirte und ihre Arbeit schaffen. Die Bevölkerung wird angeregt, bewusst Schweizer Lebensmittel zu kaufen und einen angemessenen Preis dafür zu bezahlen. Dies ist auch notwendig, denn in der Schweiz gelten viel höhere Tierschutzauflagen als bei uns, die sich natürlich auch im Preis niederschlagen.

In Nutztierschutzfragen ist die Schweiz uns weit voraus. Auch hier ist nicht alles perfekt, aber immerhin wird ein Großteil der Rinder auf die Weide geschickt und die Hälfte der Schweine mit Auslauf und Einstreu gehalten. Auch der Ringelschwanz bleibt seit 2008 konsequent am Schwein dran. Außerdem ist die Schweiz das Land mit den kürzesten Tiertransportzeiten weltweit mit einer reinen Fahrtzeit von maximal sechs Stunden. In der EU und in Deutschland beträgt die offizielle Maximaldauer acht Stunden - diese gilt allerdings nicht, wenn sogenannte "unvorhersehbare Gründe" eintreten. Deshalb werden die acht Stunden regelmäßig überschritten.

Nein, in der Schweiz ist auch nicht alles perfekt. Aber ein direkter Vergleich lohnt sich trotzdem. Denn was woanders möglich ist, müsste doch auch bei uns zu machen sein. Wie kommt es, dass die Schweiz uns in so vielen Punkten voraus ist? Verschiedene Faktoren spielen hierfür eine Rolle. Ein Erklärungsversuch:


Bäuerliche Kleinbetriebe statt industrielle Massentierhaltung

Die landwirtschaftliche Struktur in der Schweiz setzt sich hauptsächlich aus kleinen Familienbetrieben zusammen. Denn bereits 1981 wurde in der Schweiz eine Beschränkung der Höchsttierzahlen pro Betrieb erlassen, um das Entstehen von Massentierhaltungen zu verhindern.

Anders als in Deutschland: Hier hat die in den 1960er-Jahren beginnende Spezialisierung und Intensivierung der Nutztierhaltung unter Ausblendung des Tierwohls ungebremst Einzug erhalten. So gibt es hierzulande immer weniger und dafür immer größere und spezialisiertere Betriebe. Die Grafik [siehe Printausgabe] veranschaulicht, wie die Anzahl der landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland seit 1950 rapide zurückging, während gleichzeitig einzelne Betriebe immer größer und produktiver wurden.


Starkes Ordnungsrecht statt Ausnahmegenehmigungen

Bereits 1981 trat in der Schweiz als Reaktion gegen die zunehmende Agroindustrialisierung ein umfassendes Tierschutzgesetz in Kraft. Damit wurde extremen Haltungsformen von Nutztieren schon damals Einhalt geboten. So hat die Schweiz als erstes Land der Welt die Haltung von Hühnern in Legebatterien verboten. Weitere Nutztiervorschriften folgten, wie das Verbot von Vollspaltenböden bei Neubauten und das Verbot der Kastenstandhaltung von Sauen. 2008 wurde das Schweizer Tierschutzgesetz noch einmal komplett überarbeitet. Die Tiertransportzeit wurde auf sechs Stunden beschränkt und die betäubungslose Ferkelkastration wurde verboten.

Auch die Schweizer Mindestvorschriften entsprechen noch lange nicht den Bedürfnissen von Tieren nach Platz, Luft, Sonne, Beschäftigungsmaterial und Co. Wer also die Gesetze gerade so erfüllt, schafft noch keine tierfreundlichen Haltungsbedingungen. Dennoch ist insgesamt das Ordnungsrecht der Schweiz schärfer, lässt weniger Ausnahmen zu und bietet somit den Tieren mehr Schutz als bei uns. Dazu kommen zahlreiche staatliche und private Programme, die tierfreundlichere Haltungssysteme gezielt honorieren.


Gezielte staatliche Förderung für Tierschutz statt Pauschalförderung mit der Gießkanne

BTS und RAUS - so heißen die beiden staatlichen Förderprogramme der Schweiz, die Haltungssysteme mit Direktzahlungen honorieren, die weit über den gesetzlichen Mindeststandard hinausgehen. BTS steht für "besonders tierfreundliche Haltungssysteme" und beinhaltet mehr Platz, Zugang zu Tageslicht und eingestreute Liegeplätze. RAUS steht für regelmäßigen Auslauf im Freien, und zwar mindestens 26 Tage pro Monat im Sommer und 13 Tage pro Monat im Winter. 81 Prozent der Schweizer Milchkühe sind im RAUS Programm und erhalten so regelmäßig Auslauf. Allerdings stehen viele dieser Kühe an den anderen Tagen häufig in Anbindehaltung, eine Haltungsform, die die Bewegungsfreiheit der Tiere stark einschränkt.

Auch in Deutschland wäre ein gezieltes staatliches Förderprogramm für mehr Tierschutz im Stall nötig und auch möglich. Hierzu gibt es vereinzelt positive Vorreiter, zum Beispiel im Rahmen des Tierschutzplans Niedersachsen oder die Weideprämie in Baden-Württemberg. Doch auf Bundesebene gibt es keine nennenswerte Förderung. Stattdessen werden die landwirtschaftlichen Zahlungen immer noch zum größten Teil in Form von Direktzahlungen pro Hektar mit der Gießkanne ausgeschüttet (siehe PROVIEH-Magazin, Heft 03/2017)


Qualitätsproduktion statt Kostenführerschaft

Tierische Produkte aus tierfreundlicher Haltung führen in der Schweiz kein Nischendasein. Über 50 Prozent der Umsätze werden aus Label-Produkten erzielt. In der Schweiz hat man erkannt, dass eine Qualitätsstrategie aus Gründen der Nachhaltigkeit und des Umwelt-, Natur- und Tierschutzes notwendig ist. Denn ohne intakte Böden, reine Luft und sauberes Wasser hat auch die Landwirtschaft keine Zukunft. Außerdem macht eine auf Qualität ausgerichtete Produktion auch ökonomisch Sinn: Nur durch das Einhalten hoher Tierschutzstandards können sich die höherpreisigen Erzeugnisse auch erfolgreich gegen günstigere Importe durchsetzen. Laut der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) liegen die Schweizer Erzeugerpreise 40 Prozent über dem Weltmarktniveau. Hier ist eine vertrauenswürdige Kennzeichnung der Tierschutzstandards anhand von Labeln wichtig. Mit Erfolg, denn in bisher keinem EU-Land haben Tierschutzlabel einen auch nur annähernd so hohen Stellenwert wie in der Schweiz. In Deutschland bewegen sich die Marktanteile von Bio- und Neulandfleisch im unteren einstelligen Prozentbereich. Statt auf Qualität wird hierzulande hauptsächlich auf "günstig" gesetzt, befeuert von Discountern, die mit billigen Fleischangeboten die Konsumenten in ihre Märkte locken.


Vorsichtiger Protektionismus der Landwirtschaft statt Freihandel

Während Deutschland im Rahmen der EU-Mitgliedschaft nicht einfach Zölle erheben kann, um die Landwirte zu schützen, hat die Schweiz mehr Spielraum. In vielen Sektoren hat die Schweiz ihre hohen Einfuhrzölle gesenkt. 2,3 Prozent betragen die Zölle auf nichtlandwirtschaftliche Güter im Schnitt. Doch die Landwirtschaft wird vehement geschützt. Die Einführzölle auf Agrarprodukte liegen im Schnitt bei 31,9 Prozent, bei Milch sogar bei über 100 Prozent. So bietet die Schweiz ihren Landwirten effektiven Schutz vor billigen Importen.

Die OECD findet den Schweizer Agrarprotektionismus gar nicht gut. In ihrem Abschlussbericht über die Schweizer Agrarpolitik schreibt sie: "Die aktuelle Agrarpolitik erschwert eine weitere Liberalisierung des Handels und verhindert Wachstum und Exportchancen insbesondere für die Agrar- und Nahrungsmittelindustrie." Entsprechend empfiehlt die Organisation, wie auch die Welthandelsorganisation (WTO) der Schweiz, ihren Außenschutz zu liberalisieren und Handelsgrenzen weiter abzubauen.

Doch einer Marktöffnung würde das Schweizer Modell der hohen Standards und kleinen Betriebe wohl nicht standhalten. Denn mit den viel günstigeren Importen könnten die heimischen Erzeuger nicht konkurrieren, ohne Tier- und Umweltstandards massiv zu senken. Um auf dem internationalen Weltmarkt wettbewerbsfähig zu sein, müssten auch die Tierbestände erhöht werden, denn nur in der Masse kann günstiger produziert werden.

Die Schweizer Volksinitiative "fair-food" setzt auf das Gegenteil. Statt die Schweizer Standards abzusenken und so an den Weltmarkt anzupassen, möchte sie nur Importwaren zulassen, die mindestens die gleichen Standards erfüllen, wie sie in der Schweiz vorherrschen. So soll kein Fleisch aus industrieller Massentierhaltung mehr eingeführt werden dürfen. Auch keine Käfigeier oder landwirtschaftliche Erzeugnisse, die unter fatalen Arbeitsbedingungen produziert wurden. Damit würden auch höhere Anforderungen an unsere deutschen Produzenten gestellt, die in der Schweiz als Qualzüchter verschrien sind.

Durch den Erhalt bäuerlicher Kleinbetriebe, ein starkes Ordnungsrecht und das Setzen auf Qualität sowie durch gezielte Förderprogramme und eine vorsichtige Abschottung hat sich die Schweiz von den globalen Agrarmärkten unabhängiger gemacht. So kann sie auch ihre "Nutz"tiere deutlich besser behandeln als wir dies hierzulande tun. Höchste Zeit für Deutschland, von der Schweiz zu lernen und endlich umzudenken.


INFOBOX
Das SFR (Schweizer Radio und Fernsehen) beschreibt die deutsche Praxis entsetzt wie folgt: "Während der ganzen Säugezeit dürfen deutsche Muttersauen in Kastenstände eingepfercht werden: Sie können keinen Nestbau betreiben, sich während des Abferkelns nicht mal umdrehen und auch danach keinen Kontakt zu den eigenen Jungen aufnehmen. Auch während der Deckungszeit dürfen in Deutschland die Muttersauen dreimal so lang fixiert werden wie in der Schweiz, bis zu 28 Tage. Dazu kommt, dass die Kastenstände sehr eng sind. Die Sauen können sich hier kaum bewegen, haben Druckstellen und können nicht einmal bequem liegen."

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Quelle:
PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 4/2017, Seite 28-31
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen
tierquälerische Massentierhaltung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. März 2018

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