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POLITIK/791: Mögliche Tierschutzförderung mit EU-Geld (PROVIEH)


PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 3/2016
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Aktuelles aus Brüssel
Mögliche Tierschutzförderung mit EU-Geld

Von Sabine Ohm


Die EU-Kommission hat in der laufenden Förderperiode (2014-2020) die Möglichkeiten der Mitgliedsstaaten ausgeweitet, EU-Agrarsubventionen für Tierschutzmaßnahmen einzusetzen. Zu den förderwürdigen Maßnahmen gehören beispielsweise die Vergütung für die Anwendung alternativer Verfahren zur betäubungslosen Ferkelkastration sowie für den Verzicht auf das (gesetzlich verbotene) Ringelschwanzkupieren beim Schwein. Dass Maßnahmen zur Einhaltung von EU-Vorschriften über die sogenannte "2. Säule" der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) gefördert werden dürfen, ist neu. Dies wurde bisher nur von Niedersachsen für die dort bezahlte "Ringelschwanzprämie" genutzt. PROVIEH begrüßt dieses augenscheinliche Paradoxon, weil die Preise für Schweine aufgrund eines europaweiten Überangebotes sehr niedrig sind - wahrscheinlich zu niedrig für die Umsetzung der notwendigen Tierwohlmaßnahmen, um beispielsweise lange Ringelschwänze intakt zu erhalten (siehe Heft 3/2015).

Leider verhindert die Agrarindustrielobby, allen voran der Deutsche Bauernverband, dass diese Möglichkeiten wirksam genutzt werden: Laut EU-Agrarreform von 2013 wäre es möglich, bis zu 15 Prozent der Gelder aus dem nationalen Topf der flächenbezogenen Direktzahlungen ("1. Säule" der GAP) in die "Förderung der Ländlichen Räume" (2. Säule) umzuschichten. Die Festlegung der Umschichtungsquote erfolgt mit Genehmigung der EU auf der Agrarministerkonferenz, in Abstimmung der Bundesländer mit dem Bundeslandwirtschaftsministerium. Dabei reden die Lobbyisten der Bauernverbände aber ordentlich mit, weshalb in Deutschland bisher nur 4,5 Prozent der möglichen 15 Prozent umgeschichtet werden. Darum stehen von 2014 bis 2020 jährlich fünf Milliarden Euro für die 2. Säule zur Verfügung. Schon 2017 könnte eine höhere Umschichtung ab 2018 beschlossen werden.

Das konservativ geführte Bundeslandwirtschaftsministerium verhinderte - kräftig unterstützt von der Agrarindustrielobby - bisher auch erfolgreich die Begrenzung der "Flächenprämien" (Direktzahlungen aus der 1. Säule), die noch nicht einmal an substantielle Umweltauflagen geknüpft sind. Diese Direktzahlungen sind auch aus Tierschutzsicht völlig unnötig und verschwendetes Geld. Sie produzieren vor allem viele Subventionsmillionäre unter den Agrarindustrieunternehmen mit tausenden Hektar Land - bundesweit sind es bereits über 250.

In neun EU-Ländern wurde für die Flächenprämien eine hundertprozentige Kappung der Direktzahlungen (teilweise schon ab 150.000 Euro pro Betrieb) eingeführt, in 15 weiteren Mitgliedsstaaten wird zumindest eine fünfprozentige Kürzung bei allen Zahlungen über 150.000 Euro vorgenommen. Dadurch sind dort mehr Mittel beispielsweise für Tier-, Umwelt- und Klimaschutz verfügbar.

Die Tierhalter unter den deutschen Landwirten sollten also, statt über teure Tierschutzmaßnahmen zu lamentieren, lieber auf ihre Berufskollegen und Verbandsvertreter einwirken, damit künftig mehr EU-Gelder für zielgerichtete Tierschutzmaßnahmen eingesetzt werden können.

Das würde sicherlich auch die Akzeptanz in der Gesellschaft für EU-Agrarsubventionen allgemein, aber auch speziell die tierische Erzeugung in Deutschland erhöhen. Dies würde sich sicher auch positiv auf die im nächsten Jahr beginnenden Diskussionen über die Zukunft der GAP nach 2020 auswirken. Der Rückhalt für die milliardenschwere Agrarförderung der industriellen konventionellen Landwirtschaft ohne ausreichende Bereitstellung öffentlicher Güter wie Tier- und Umweltschutz schwindet seit Jahren rapide aufgrund der von ihr verursachten Klima- und Umweltschäden, der fortschreitenden Dezimierung der Artenvielfalt sowie durch zunehmende Herbizidund Pestizideinsätze. Weitere Gründe sind die zunehmende Ressourcenverschmutzung (Luft, Böden, Gewässer) - auch durch steigende Güllemengen verursacht - und die übrigen manifesten Probleme der Massentierhaltung. Dazu gehören unter anderem ein viel zu hoher Antibiotikaverbrauch und zunehmende Antibiotikaresistenzen, sehr weit verbreitete Schwierigkeiten bei der Einhaltung der gesetzlichen Mindeststandards (zum Beispiel der Kupierverzicht bei Schnäbeln und Ringelschwänzen), hohe Verletzungsraten sowie abnehmende Lebenszeiten von Zuchttieren.

Dies alles ruft nach einer überfälligen Neuausrichtung der deutschen und europäischen Agrarpolitik und "Nutz"tierhaltung, für die PROVIEH sich weiterhin tatkräftig einsetzen wird.

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Quelle:
PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 3/2016, Seite 40-41
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen
tierquälerische Massentierhaltung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Oktober 2016

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