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POLITIK/639: Tierversuchsrichtlinie und Kosmetik-Verkaufs-Verbot (tierrechte)


tierrechte Nr. 58, November 2011
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.

Agenda 2012
Tierversuchsrichtlinie und Kosmetik-Verkaufs-Verbot

von Christiane Baumgartl-Simons


Im kommenden Jahr steht gleich zweimal Folgenschweres für die Tiere im Versuch auf der politischen Agenda. Zum einen muss die neue EU-Tierversuchsrichtlinie in deutsches Recht überführt werden. Zum anderen will Brüssel klare Worte finden, ob das 2003 beschlossene EU-Handelsverbot für tierversuchsbelastete Kosmetik im März 2013 greift oder ob es wieder einmal verschoben werden soll.


Unser Bundesverband, und im Schulterschluss die ganze Tierschutzbewegung, muss 2012 mal wieder Schwerstarbeit leisten, um für die Tiere ein möglichst hohes Schutzniveau innerhalb der Rechtsspielräume, die Tierversuchs- und Kosmetikrichtlinie zulassen, herauszuholen. Da lohnen vorab schon ein paar kritische Gedanken, wie dies erreicht werden könnte.


Mobilmachung 2012

Eins liegt nahe, allein mit vornehmen Sachargumenten werden wir die Rüstungen, in die die Tiernutzer den Durchschnittspolitiker gesteckt haben, nur schwer durchdringen können. Zu fest haftet der Panzer aus Interessen der Tierleidsprofiteure am Körper der Volksvertreter. Doch gemeinsam mit den Waffen der "Wutbürger", also den Bürgerinnen und Bürgern, die sich mit uns darüber empören, dass politische Entscheidungen gegen das Wohl der Tiere über ihre Köpfe hinweg getroffen werden, wird eine starke politische Beißkraft möglich.

Spätestens seitdem die Piratenpartei bei den Berlin-Wahlen im September den Einzug in das Abgeordnetenhaus geschafft hat, gewinnt die digitale Einflussnahme von Bürgerinnen und Bürgern auf politische Prozesse und parlamentarische Vorgänge immer mehr an Bedeutung. Bislang gelten E-Mail-Kampagnen des organisierten Tierschutzes als Schmuddelkinder und wurden von den Parlamentariern als unseriös abqualifiziert. Bedienen sich dagegen gesellschaftlich etablierte Tiernutzerkreise elektronischer Serienpost, so findet dies auffallend selten die Missbilligung der Volksvertreter.

Unser Bundesverband wird ab 2012 Bürgern und Bürgerinnen verstärkt Möglichkeiten anbieten, um sich an politischen Prozessen zugunsten der Tiere zu beteiligen.


Kosmetik-Verkaufs-Verbot

Im Februar (tierrechte 1.11) berichteten wir erstmals darüber, dass das Handelsverbot, das ab März 2013 für im Tierversuch getestete Kosmetik greifen soll, in Gefahr ist. Die wissenschaftlichen Berichte der EU-Kommission kommen in diesem Sommer zu dem Schluss, dass die tierversuchsfreien Verfahren für fünf hochkomplexe Prüfkategorien erst 2023 zur Verfügung stehen werden. Das Vermarktungsverbot müsse daher von 2013 um bis zu 10 Jahre verschoben werden. Doch schon im September äußerte sich die Kommission deutlich moderater: Man untersuche derzeit die Auswirkungen eines vollständigen Vermarktungsverbotes ab März 2013 auf Umwelt, Tierschutz, Wirtschaft und Gesellschaft. Auf dieser Grundlage wolle die Kommission dann Ende 2011 ihre Entscheidung bekannt geben.

Gemeinsam mit unseren europäischen Partnern sammeln wir derzeit mit der Kampagne "Nein zur Tierqual-Kosmetik" europaweit Unterschriften, damit das Vermarktungsverbot 2013 nicht verschoben wird.


Tierversuchsrichtlinie

Über die neue Tierversuchsrichtlinie, deren Bestimmungen ab Januar 2013 in Deutschland anzuwenden sind, haben wir ebenfalls in tierrechte 1.11 ausführlich berichtet. In 2012 laufen die politischen Prozesse zur Umsetzung auf Hochtouren. Die Richtlinie gibt zwar in skandalöser Weise vor, dass die Mitgliedstaaten über gewisse Mindeststandards nicht hinausgehen können. Dennoch bietet die EU-Rechtsvorschrift etliche Chancen, die in Deutschland unbedingt zugunsten des Tierschutzes genutzt werden müssen.

Allein 19 der 66 Artikel der Richtlinie enthalten gegenüber den derzeitigen deutschen Rechtsvorschriften Verbesserungen. Darüber hinaus lässt die Richtlinie zu, dass national höhere Tierschutz-Standards beibehalten werden dürfen, sofern sie bei Inkrafttreten schon gültig waren. Diese dürfen keinesfalls im Umsetzungsprozess "verloren gehen". In sechs Artikeln enthält die Richtlinie Spielräume, die von den Mitgliedstaaten zum Vorteil des Tierschutzes genutzt werden können. Hierzu verpflichtet das Staatsziel Tierschutz den Gesetzgeber zwingend. Außerdem regelt die Richtlinie nicht alle Bereiche der Tierversuche und an manchen Stellen bleibt sie sogar sehr unkonkret. Hier eröffnen sich weitere Spielräume, nationale Regelungen zugunsten des Tierschutzes zu verabschieden. Auch dies ergibt sich unausweichlich aus der Staatszielbestimmung Tierschutz.

Wie unentbehrlich unser aller Einsatz für die Tiere beim Umsetzungspozess im kommenden Jahr ist, wird spätestens dann klar, wenn wir das Ansinnen von Bundesforschungsministerin Annette Schavan kennen. Schon bei dem Entwicklungsprozess der Richtlinie war Frau Schavan eine beflissene Dienerin der grenzenlosen Forschungsfreiheit. In Brüssel wirkte sie als maßgebliche Drahtzieherin für Tierschutzverschlechterungen im Verlauf der Beratungsprozesse. Damit nicht genug, gab sie in Deutschland ein Rechtsgutachten in Auftrag, das nur dazu dienen soll, die Dominanz der Forschungsfreiheit über den Tierschutz zu belegen. Dieses Gutachten liegt seit Januar 2011 vor. Doch Gutachten bedingen Gegengutachten. Schon Goethes Zauberlehrling musste erfahren, dass er die Geister, die er rief, nicht mehr los wurde. Der Bundesverband und mit ihm die organisierte Tierrechts- und Tierschutzbewegung werden natürlich nicht tatenlos zusehen, wenn Bundesministerin Schavan aufrüstet, um die Stellschraube für die Fortentwicklung des Tierschutzes zurückzudrehen. Doch letztendlich ist jeder aufgerufen, sich für die Tiere 2012 ins Zeug zu legen - z. B. durch eigenes Engagement und die Unterstützung der entsprechenden Organisationen.


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Quelle:
tierrechte - Nr. 58/November 2011, S. 14-15
Infodienst der Menschen für Tierrechte -
Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Roermonder Straße 4a, 52072 Aachen
Telefon: 0241/15 72 14, Fax: 0241/15 56 42
E-Mail: info@tierrechte.de
Internet: www.tierrechte.de

tierrechte erscheint viermal jährlich.
Der Verkaufspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. März 2012