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POLITIK/628: Tierschutzarbeit - Auch Gipfelstürmer brauchen einen langen Atem (tierrechte)


tierrechte Nr. 58, November 2011
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.

Auch Gipfelstürmer brauchen einen langen Atem

von Christiane Baumgartl-Simons


Der griechische Held Sisyphos ist dazu verdammt, einen schweren Felsblock einen steilen Hang hinaufzurollen. Doch kurz vor dem Gipfel, egal wie sehr er sich anstrengt, rollt der Stein wieder talwärts und die Schufterei beginnt aufs Neue - ewiglich. Auf den ersten Blick passt dieses Bild perfekt auf die Tierschutzarbeit. Trotz massiver Anstrengungen scheint es kein Vorwärtskommen für die Tiere zu geben. Ganz im Gegenteil, durch die EU-Erweiterungen und die Globalisierung wird der Felsbrocken immer größer, der Berg immer steiler. Dennoch haben wir gegenüber Sisyphos einen Vorteil: es gibt Etappenerfolge.


Tiertransporte gelten seit den Achtzigern des letzten Jahrtausends als Inbegriff für Tierquälerei, ebenso Tierversuche und Massentierhaltung. Thematisiert werden mittlerweile viele Tierschutzprobleme, in Parlamenten ebenso wie in den Medien, einschließlich der neuen sogenannten sozialen Netzwerke. Auch die Menschen, die sich um die Durchsetzung der Lebensrechte der Tiere kümmern, haben sich in den letzten Jahren deutlich besser organisiert, die Bewegung ist facettenreicher, schlagkräftiger und einflussreicher geworden. Die Vielzahl der parlamentarischen Tierschutzvorgänge, die in Bundestag und Landtagen behandelt werden, zeugen davon.

Trotzdem nimmt die Fleischproduktion nicht ab, schießen Mastanlagen wie Pilze aus dem Boden und steigen die Tierversuchszahlen kontinuierlich weiter an. Lange, nämlich von 1989 bis 2002 haben wir unter Federführung von Dr. Eisenhart von Loeper, unserem langjährigen Verbandsvorsitzenden, für die Aufnahme des Tierschutzes in das Grundgesetz gekämpft. Wir wussten, dass das Staatsziel Tierschutz endlich das Fundament für eine Güterabwägung bei Interessenskollisionen von Tier und Mensch schuf. Doch heute lautet die Bilanz, dass wir das Staatsziel Tierschutz noch immer zum Gipfel rollen müssen. 2002 hatten wir lediglich ein Plateau erreicht. Der letzte Anstieg steht uns noch bevor und er wird besonders hart. Denn die christdemokratische Bundesforschungsministerin Annette Schavan lässt derzeit gutachterlich verkünden, dass Artikel 20a Grundgesetz lediglich eine Attrappe sei, die niemals dazu berechtige, in Konfliktfällen die Vorherrschaft des Menschen durch Tierschutzinteressen beschneiden zu lassen.


Erfolg der kleinen Schritte

Erst auf den zweiten Blick wird erkennbar, dass eine Vorwärtsentwicklung zugunsten der Tiere durchaus im Alltag Fuß gefasst hat. So können wir uns heute unkompliziert nicht nur vegetarisch, sondern vegan ernähren, weil tierfreie Produkte und Gerichte Einzug in Lebensmittelketten und Restaurants gehalten haben. Das war noch zur Jahrtausendwende undenkbar.

Es ist auch festzustellen, dass die Wahlprogramme der Parteien zu Landtags- und Bundestagswahlen nur noch selten ohne Tierschutzprogramme an den Start gehen. Natürlich weichen die Tierschutzvorhaben der Parteien stark voneinander ab. Während CDU und FDP Tierschutz gerne nur soweit zulassen wollen, solange die Nutzung der Tiere zu keinen finanziellen Einbußen führt, gehen die Tierschutzideen der Grünen, SPD und Linken deutlich weiter. Die drei Parteien schließen nicht aus, dass der Tiernutzung durch den Tierschutz Grenzen zu setzen sind.

In diesem Jahr fanden sieben Landtagswahlen statt. Die Einführung der Tierschutz-Verbandsklage, 2002 erstmals als Forderung seitens des organisierten Tierschutzes artikuliert, ist nach wie vor maßgeblicher Indikator dafür, wie ernst es eine Partei mit dem Wohlergehen der Tiere meint. Die Koalitionsverträge von Baden-Württemberg (Grüne/SPD) und Rheinland-Pfalz (SPD/Grüne) enthalten die Tierschutz-Verbandsklage. In Nordrhein-Westfalen (SPD/Grüne) und im Saarland (CDU/FDP/Grüne) liegen bereits Regierungsentwürfe vor, über die die Landtage in den nächsten Monaten abstimmen werden.

Nicht unerwähnt soll die Regierungsrede des rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck vom 25. Mai bleiben, in der er nicht nur den Tierschutz als ein wichtiges Feld der politischen Gestaltung für seine Regierung ausweist. Beck spricht - und das ist eine neue Qualität im Politikvokabular - von seinem Einsatz zur Stärkung der Tierrechte. Rheinland-Pfalz solle zum fortschrittlichsten Land beim Schutz der Tiere werden.

Im Vergleich zu Sisyphos Los hat unsere Arbeit für die Tiere einen entscheidenden und Erfolg versprechenden Vorteil: Bei dem beschwerlichen Aufstieg zum Gipfel findet eine wachsende Zahl von Menschen zu uns, um mit uns gemeinsam die Tierrechte zur Bergspitze zu rollen. Die vielen guten Nachrichten aus 2011 sind Meilensteine, die den Weg zum Gipfel sichern und die auch kein Herkules so einfach versetzt.


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Quelle:
tierrechte - Nr. 58/November 2011, S. 5
Infodienst der Menschen für Tierrechte -
Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Roermonder Straße 4a, 52072 Aachen
Telefon: 0241/15 72 14, Fax: 0241/15 56 42
E-Mail: info@tierrechte.de
Internet: www.tierrechte.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Januar 2012