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KOMMENTAR/212: Listen, Lasten und Geschäft ... (SB)


Bürger "mitnehmen": Handelskammer Hamburg möchte Olympische Sommerspiele 2024/28 austragen



Warum in die Ferne nach Brasilien schauen, wo sich doch auch in Deutschland die Schere zwischen Reich und Arm immer mehr spreizt? Erst jüngst wurde publik, daß Hamburg von allen Städten Deutschlands mit 42.000 Millionären den Spitzenplatz einnimmt. Daß demgegenüber jeder zehnte Bürger der Stadt von Hartz-IV lebt, die Armutsgefährdungsquote bereits bei rund 18 Prozent liegt und Pläne von Hamburgs Sozialsenator Scheele (SPD), im kommenden Jahr 500 Null-Euro-Jobs für "marktferne Langzeitleistungsbezieher" schaffen zu wollen, bei Erwerbsloseninitiativen nacktes Entsetzen hervorrief, dürfte nicht die vorrangige Sorge der Einkommenseliten sein. Die Schwierigkeit besteht vielmehr darin, selbst die größten Kulturbaustellen noch als Dienst an der Allgemeinheit erscheinen zu lassen, auch wenn sich diese als Milliardengrab entpuppen. Die Kosten, die der Steuerzahler für die Hamburger Elbphilharmonie zu tragen hat, sind inzwischen von ursprünglich 77 Millionen auf 789 Millionen Euro gestiegen. Nun soll ein weiteres, vornehmlich von der Wirtschaft angeschobenes "Prestigeprojekt" von historischen Ausmaßen hinzukommen: Olympische Sommerspiele 2024 oder 2028. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) entscheidet Anfang Dezember, ob er sich überhaupt, und wenn ja, mit welcher deutschen Stadt (Berlin hat ebenfalls Ambitionen), um die Spiele bewerben will.

Nachdem Hamburgs Olympia-Bewerbung 2003 gescheitert war, weil Leipzig den Zuschlag im innerdeutschen Wettbewerb bekam, und in der Bevölkerung - trotz aller Sportbegeisterung - die Sinnfälligkeit der kurzweiligen Megaevents immer mehr in Frage gestellt wird, mußte sich die Stadt, genaugenommen die Hamburger Handelskammer als einer der maßgeblichen Impulsgeber der Bewerbung, etwas Neues einfallen lassen. Ein moderner Metropolensport, der Breiten-, Schul- und Hochleistungssport so eng miteinander verzahnt, daß sich daraus übergreifende Akzeptanzeffekte für den besonders kostentreibenden Schneller-Höher-Weiter-Sport der olympischen Unterhaltungsindustrie erwirtschaften lassen, wurde auf die Agenda gehoben.

Dazu rief der neue Innen- und Sportsenator Michael Neumann (SPD) im Frühjahr 2011 die "Zukunftskommission Sport" ins Leben. Diese hatte die Aufgabe, eine "Dekadenstrategie" für den Sport zu erarbeiten. Seit September 2011 bildet der Zehn-Jahres-Plan die Leitlinie der Sportpolitik im Hamburger Senat. Er umfaßt u.a. die Sanierung von Sporthallen und -plätzen sowie die Förderung des Profi- und Spitzensports und weiterer Großveranstaltungen. Auch einige Projekte zur Verbesserung des Breiten- und Schulsportangebots wurden angestoßen. Dazu zählen etwa die Nutzbarmachung von öffentlichen Grünräumen für Sport und Bewegung ("ParkSport") oder beleuchtete Laufstrecken für Freizeitjogger, die sich nun an geeigneter Stelle für ein paar Euro duschen oder umkleiden können.

Die Dekadenstrategie, die auch bei Otto Normal den Eindruck erzeugen soll, sportlicher Ehrgeiz diene dem großen Ganzen, ließ auch den Chefverkäufer des olympischen Gedankens frohlocken. "Sie betreibt gemeinsam mit dem organisierten Sport Stadtentwicklung von unten nach oben und macht die Stadt und den Sport fit für die Zukunft", so der frühere DOSB-Präsident Thomas Bach (FDP), der heute an der Spitze des IOC steht. [1]

"Von unten nach oben" klingt gut, jedenfalls in den Ohren der Profiteure, wenn es darum geht, die gesellschaftliche Umverteilung nicht gegen, sondern mit dem Schweiß und Blut der Bürger nach oben zu organisieren. Dafür müssen sie, modern gesprochen, "mitgenommen werden". Bürgerbeteiligung, das überzeugt inzwischen auch konservative PolitikerInnen, hat sich bei der Durchsetzung von neoliberalen Großprojekten als die reibungsärmere und kostengünstigere Form der Akzeptanzbeschaffung erwiesen.

"Es gibt ja auch jetzt in Hamburg ganz aktuell Überlegungen, ob man nicht eine Art Volksbegehren, Volksabstimmung darüber herbeiführen lässt, ob Hamburg sich bewerben soll für Olympische Sommerspiele. Das heißt, je frühzeitiger die Bevölkerung einbezogen wird in Meinungsbildung und Entscheidungsfindung, desto höher ist die Akzeptanz, wenn das Ereignis dann stattfindet", erklärte der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach zum Auftakt der Fußball-WM in Brasilien [2], als hätte er aus dem Lehrbuch für modernes Akzeptanzmanagement des "Instituts für Organisationskommunikation" (IFOK) vorgelesen, dem deutschen Marktführer in Sachen Bürgerbeteiligung, New Governance und Mediation. Im Dienste seiner betuchten Kunden aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft empfiehlt das IFOK die frühzeitige Einbindung der Bevölkerung, damit sich widerstreitende Interessen gar nicht erst zum sozialen Widerstand auswachsen. In Brasilien konnten die Proteste gegen das Großereignis sowie zahlreiche weitere Zumutungen nur mit einer Mischung aus massiver Polizeigewalt und einer vornehmlich durch den Medienkonzern Globo entfachten Stimmungsmache, die die Demonstranten in "friedliche" oder "radikale" ("black blocs") zu spalten suchte, um den Widerstand an der mit staatlicher Repression zielsicher entzündeten Gewaltfrage scheitern zu lassen, niedergehalten werden.

Um Gefühle der Demokratie- oder Politikverdrossenheit gar nicht erst aufkommen zu lassen und dennoch neoliberale Großprojekte durchziehen zu können, bedarf es moderner Dialog- und Beteiligungsformen, die dem Bürger den Eindruck vermitteln, er habe unmittelbar Anteil am Gestaltungsprozeß. So können aus Gegnern Partner werden und aus Konflikten Kooperationen entstehen, die jeden, der nicht mitmacht oder (faule) Kompromisse ablehnt, als Total-, Zukunfts- oder Demokratieverweigerer ins Abseits stellen.

Einen kleinen Vorgeschmack davon, wie schnell man in den Ruch eines freudlosen Spielverderbers kommen kann, bekam bereits Die Linke in Hamburg, die sich anders als die Fraktionen von SPD, CDU, FDP und Grünen weigerte, einem Antrag des Senats zu einer "ergebnisoffenen" Machbarkeitsstudie bezüglich Olympischer und Paralympischer Spiele in Hamburg zuzustimmen. Zu Recht hatte Mehmet Yildiz, sportpolitischer Sprecher Der Linken, reklamiert: "Aber selbst wenn all diese auf den ersten Blick so kritischen Fragen ehrlich beantwortet werden sollten: Alle Wünsche und alle frommen Bekenntnisse zu Nachhaltigkeit, Umweltschutz und Finanzierbarkeit würden in dem Moment hinfällig, in dem der Senat die Knebelverträge des IOC unterschreiben muss und faktisch den Stadtschlüssel abgibt." [3] Die ablehnende Haltung der Linksfraktion zu Sommerspielen in Hamburg, die ihre Bedenken in einer 23seitigen Analyse [4] dargelegt hat, dürfte vielen Kritikern und Gegnern des kommerziellen Olympismus aus der Seele sprechen: "Die Olympischen Spiele sind kein Zusammentreffen der Jugend der Welt, um die Völkerverständigung und den Frieden zu fördern, sondern gigantische kommerzielle Sportveranstaltungen, die die Profitinteressen von IOC, Werbepartnern und Konzernen bedienen. Das IOC wird auch der Freien und Hansestadt Hamburg die Vertragsbedingungen bei der Vergabe der Olympischen Spiele diktieren: die Investitionen sollen aus den öffentlichen Haushalten von Bürgerschaft und Bundestag finanziert werden und die Gewinne vom IOC sowie seinen 'Premium-Werbepartnern' realisiert werden." [5]

Die Bürgerentscheide in vier bayerischen Landkreisen im vergangenen Jahr, als sich die Einwohner mehrheitlich gegen die Winterspiele 2022 in ihrer Region und das heuschreckenhafte Geschäftsmodell des IOC entschieden, hatten den Olympiamachern noch einmal deutlich vor Augen geführt, daß Bürgerbefragungen, Sportmarketingkampagnen und Nachhaltigkeitspoesie nicht ausreichen, um die Stimmung im Volk wieder pro Olympia-Gigantismus zu kippen.

Nun streben auch alle Fraktionen in Hamburg die Erkundung des Bürgerwillens an. Weil in der Verfassung des Stadtstaates Referenden aber gar nicht vorgesehen sind, soll die Bürgerschaft dieses Instrument noch vor der Neuwahl im Februar 2015 in die Verfassung schreiben. Die Argumente der Olympiakritiker wiegen allerdings so schwer, daß das IOC schon eine Revolution im eigenen Palast anzetteln müßte, damit die Spiele wieder einer breiten Masse zugutekommen - unterstellt man einmal, daß es darum geht oder jemals gegangen ist. Ansonsten bleibt den Befürwortern nur, die Bürgerinnen und Bürger mit retrospektiven Werte-Appellen, Bewegt-euch-Kampagnen sowie stimmungsvollem Viralmarketing insbesondere in den sozialen Netzwerken regelrecht zu überwältigen. Das Konzept der "Socialympics", wie es bereits bei den Londoner Spielen auf den Internetplattformen zur Anwendung kam, um eine engere Bindung zwischen Fans, Athleten und Experten zu erzielen, "Emos" zu transportieren, Identitäten zu stiften oder Mannschafts- und Nationalgefühle zu wecken - kurzum heiteren Konformismus unter Maßgabe der restriktiven Social-Media-Guidelines des IOC zu erzeugen -, könnte hier wegweisend sein. Wie leicht Gefühle, Meinungen und Verhaltenweisen zu beeinflussen sind und wie gut die "massive Sozialansteckung über soziale Netzwerke" funktioniert, hatte unlängst ein wissenschaftliches Experiment auf Facebook gezeigt [6].

Sollte es der Hamburger Wirtschaft gelingen, nicht nur alle Argumente für und gegen Olympia auf den Tisch zu bringen, wie Sportsenator Neumann kürzlich forderte, sondern den Beteiligten überdies noch weiszumachen, "ehrliche Begeisterung und die Freude an Bewegung" ständen im Vordergrund und weit weniger die "ökonomische Verwertbarkeit" [7], könnte der olympische Alptraum auch an der Hamburger Alster wahrwerden. An Mitmachkonzepten, Einlullverfahren und Beschwichtigungsstrategien, die an der Herrschaft des Kapitals nicht rütteln, mangelt es den Global Playern des Sports ganz bestimmt nicht.

Fußnoten:

[1] http://www.welt.de/print/die_welt/hamburg/article106187171/Viel-Lob-fuer-die-Dekadenstrategie.html. 16.04.2012.

[2] http://www.deutschlandfunk.de/fussball-wm-in-brasilien-bevoelkerung-muss-man-sehr.694.de.html?dram:article_id=288883. 12.06.2014.

[3] http://www.schattenblick.de/infopool/parl/land/hh-2834.html.
Presseerklärung der Fraktion DIE LINKE in der Hamburgischen Bürgerschaft "Olympia-Studie ist ein Täuschungsmanöver" am 19.05.2014.

[4] http://www.die-linke-hamburg.de/uploads/media/Olympia-Studie.pdf. Mai 2014.

[5] http://www.schattenblick.de/infopool/parl/land/hh-2835.html
Presseerklärung der Partei DIE LINKE Landesverband Hamburg am 19.05.2014.

[6] http://www.zeit.de/digital/internet/2014-06/facebook-nutzer-manipulation-studie. 29.06.2014.

[7] http://www.mobil.abendblatt.de/hamburg/article128782992/So-koennte-Hamburg-die-Olympischen-Spiele-voellig-neu-erfinden.html. 06.06.2014.
Michael Neumann anläßlich des 14. Hamburger Symposiums Sport, Ökonomie und Medien.

17. Juli 2014