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KOMMENTAR/187: Fußball-WM 2014 - Erprobungs- und Entwicklungsfeld zur inneren Sicherheit (SB)


Modellfall Brasilien: Konzept "Soziale Sicherheit" verkehrt polizei-militärische Totalüberwachung zur Wohltat



Der Confederations Cup des Weltfußballverbandes FIFA in Brasilien ist Geschichte. Im Endspiel gegen Welt- und Europameister Spanien setzte sich die Gastgebermannschaft mit 3:0 durch und heimste zum dritten Mal in Folge den Titel der "Mini-WM" ein. Doch der Glanz der Seleção konnte die dunklen Wolken, die schwer über der zweiwöchigen "Generalprobe" für die Fußball-Weltmeisterschaft 2014 und die Olympischen Spiele 2016 lagen, nicht vertreiben. Im Gegenteil, Tränengas, Gummigeschosse und Blendgranaten, die Polizei und Einsatztruppen der Nationalgarde zur Sicherung des Brot-für-die-Fifa-und-Spiele-für-das-Volk-Festivals verschossen hatten, machten deutlich, daß sich das aufstrebende Schwellenland, das bis 1985 von einer Militärdiktatur regiert wurde, in einer heiklen Lage befindet.

Auch am Finaltag sorgten der Einsatz von Überwachungsdrohnen und über 11.000 Sicherheitskräfte dafür, daß der Protest der Straße nicht eskalierte und das für 570 Millionen Euro teuer sanierte Maracanã-Stadion eine befriedete Zone blieb. Ein Banner mit der Aufschrift "Sofortige Aufhebung der Privatisierung des Maracanã", das zwei Personen im Innern des Stadions bei der Schlußfeier entrollt hatten, wurde vom Sicherheitsdienst sofort einkassiert. Das Pärchen hatte darauf aufmerksam zu machen versucht, welchen Tribut das Volk für die Privatisierung zahlt. Durch den Ausbau des neuen Konsumtempels mit Restaurants und Geschäften werden nicht nur die vergleichsweise moderaten Eintrittspreise verschwinden, sondern auch die Stehplätze. Von zweifelhafter Errungenschaft sind ebenso Hunderte von Überwachungskameras, die jeden Besucher schon beim Eintritt ins Stadion abfilmen sollen. Noch größer ist der Unmut darüber, daß für den Umbau des Maracanã eine Favela, weitere Sportstätten, eine öffentliche Schule und das unter Denkmalschutz stehende Indianer-Museum weichen müssen. Das historische Gebäude, das in ein Olympiamuseum verwandelt wird, war vor Jahren von einer Gruppe Indígenas besetzt worden, ehe ein Einsatzkommando der Polizei anrückte und es gewaltsam räumte.

Was wunder, daß Staatspräsidentin Dilma Rousseff darauf verzichtete, dem Finalspiel beizuwohnen. Ein peinlicher Auftritt wie schon bei der Eröffnungsfeier in Brasília, wo sie und FIFA-Boß Joseph Blatter von der Menge gnadenlos ausgepfiffen wurden, hätte ihrem Image als volksnahe Politikerin, die gegen die Militärdiktatur einst Widerstand geleistet hatte und zweifellose Verdienste bei der Armutsreduktion sowie der Einführung eines Sozialhilfesystems für sich reklamieren kann, gewiß geschadet. Zusammen mit ihrem Vorgänger Luiz Inacio Lula da Silva von der Arbeiterpartei hatte sie wider besseren Wissens die FIFA-Plagen ins Land geholt, sicherlich auch mit der vollmundig propagierten Absicht, daß Brasilien von den Sportgroßereignissen in Sachen Sicherheit und Infrastrukturausbau durch private Investoren aus dem In- und Ausland enorm profitieren werde.

Kaum einer hatte damit gerechnet, daß ausgerechnet im Fußball-Zauberland Brasilien der Jovialkonsens einen Knacks bekommen könnte, wonach sportliche Massenevents ein narrensicheres Mittel seien, die Sorgen und Nöte der Menschen zumindest für die Zeit der Spiele vergessen zu machen. Ausgehend von São Paulo, wo die "Bewegung für Freifahrtscheine" Protestmärsche organisiert hatte, die sich gegen die wenige Tage zuvor von den Behörden angekündigte Preiserhöhung für eine Busfahrkarte richteten, breitete sich rasch eine Protestwelle über das ganze Land aus, die durch das brutale Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen Demonstrierende wie auch Journalisten weitere Solidarisierungseffekte erzeugte. Selbst Nationalspieler setzten sich über das ungeschriebene Gesetz hinweg, sich auf keinen Fall in die Politik einzumischen, und solidarisierten sich mit einer Protestbewegung, die weniger die Armen, als vielmehr die von steigernder Inflation, gebremstem Wirtschaftswachstum und neoliberalem Sozialdumping enttäuschten Schichten der bürgerlichen Mitte repräsentierte. Zwar wurden die Preiserhöhungen zur Besänftigung der Proteste zurückgenommen, doch der Bürgermeister von Rio de Janeiro, Eduardo Paes von der Partei der Demokratischen Bewegung Brasiliens (PMDB), machte geltend, daß dann eben in anderen Sozialbereichen Gelder eingespart würden.

Auf Demonstrationen in mehreren Großstädten Brasiliens forderten Millionen Menschen nicht nur Verbesserungen im Verkehrssektor und im sozialen Wohnungsbau, höhere Bildungs- und Gesundheitsausgaben oder die Bekämpfung von Armut und Korruption, sondern stellten auch einen direkten Zusammenhang zwischen den sozialen Mißständen und den exorbitanten Staatsausgaben für die Fußball-Weltmeisterschaft 2014 und die Olympischen Spiele 2016 her. Konservativen Angaben zufolge soll die WM 11,5 Milliarden Euro kosten, weitere 9,8 Milliarden Euro sind für die Sommerspiele 2016 geplant. Doch vor dem Hintergrund, daß sich bereits die Kosten für die Panamerikanischen Spiele 2007 in Rio de Janeiro fast verzehnfacht hatten, muß mit viel höheren Ausgaben gerechnet werden. Schätzungen zufolge werden die Investitionen für die Welttitelkämpfe 2014 so hoch sein, wie für die letzten drei Fußball-Weltmeisterschaften zusammengenommen.

Die Wut der Bevölkerung, die aufgrund leidlicher Erfahrungen mit korrupten Partei- und Sportfunktionären mehrheitlich davon ausgeht, daß große Teile der öffentlichen Milliardeninvestitionen in die Taschen der Reichen wandern, fand sich auch auf den Protestplakaten wieder: "Brot und Spiele - Wem nützt die WM?", lautete die Frage - "Weniger Copa (WM) - mehr Schulen" die Antwort. Brasilianische Bürgerkomitees und internationale Menschenrechtsgruppen hatten mit ähnlich lautenden Slogans bereits Kampagnen angestoßen, um auf die Zwangsräumungen, von denen schätzungsweise mehr als 100.000 Menschen betroffen sein werden, und die eklatanten Rechtsverstöße im Zuge der kommenden Mega-Events aufmerksam zu machen.

Aufgrund der überraschenden Sozialproteste in Brasilien ist die Sicherheitsfrage als eine der zentralen Chiffren für die rigorose Durchsetzung von Kapital- und Herrschaftsinteressen wieder in den Vordergrund gerückt. Gelingt es der brasilianischen Regierung, die unzufriedenen Massen so im Zaum zu halten, daß die Milliardensummen umschlagenden Sportfeste möglichst reibungslos über die Bühne gehen? In den vordergründigen Reden der Sport und Politik strikt trennenden Funktionäre klingt das natürlich ein bißchen anders. So sei es laut FIFA-Präsident Joseph Blatter "eine Frage des Vertrauens in die brasilianische Regierung und die brasilianischen Menschen", daß die WM im kommenden Jahr hoffentlich nicht auch von Protesten begleitet sein werde. "Ich vertraue den Organisatoren und der Organisation der Sicherheitskräfte", sagte Blatter [1]. Sein Generalsekretär Jérôme Valcke hatte schon vorher mit dem Zaunpfahl gewunken, als er erklärte: "Wenn etwas einem Land die WM wegnehmen kann, dann ist es der Sicherheitsaspekt". [2]

Geschätzte 600 Millionen Euro will Brasilien in seine Sicherheitsmaßnahmen investieren. Als Rio de Janeiro 2009 die Sommerspiele 2016 zugesprochen wurden, erklärte Rousseffs Vorgänger Lula da Silva der Kriminalität in den rund 1000 Favelas von Rio praktisch den Krieg. Das neue Feindbild, auf das alle Welt eingeschworen wurde, waren plötzlich Gewalttäter, Drogendealer und Gangsterbosse in den Slums, die zu bekämpfen den Einsatz scheinbar aller polizei-militärischen Mittel rechtfertigte. Auf diese Weise hielt die von brasilianischen Volkskomitees und Bürgerrechtsgruppen vielbeklagte Militarisierung der inneren Sicherheit Einzug, die sich sowohl in brutalen Polizei- und Militäraktionen gegen arme und zu informellen Erwerbsformen gezwungene Menschen als auch in der Unterdrückung von sozialen Protestbewegungen niederschlägt.

Die Security-Industrie bekam ebenfalls einen enormen Wachstumsschub, von dem auch deutsche Sicherheitsunternehmen profitieren. So bezeichnet das deutsche Außenwirtschaftsportal ixpos.de zivile Sicherheitstechnik in Brasilien als "hochaktuelles Thema" und wirbt für eine Geschäftsanbahnungsreise für kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) im Oktober als Teil des Markterschließungsprogramms durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie. Siemens liefert "High-Tech-Security" für das Nationalstadion in Brasília, darunter eigens für die Identifikation von Zuschauern entwickelte Videoüberwachungsanlagen, die wiederum mit den zentralen Leitstellen von Polizei und Militär verschaltet sind. Auf diese Weise entsteht ein flächendeckendes Netz ausforschender Überwachung und exekutiver Zugriffsfunktionen, das gegen alles eingesetzt werden kann, was von der Norm abweichendes oder verdächtiges Verhalten zeigt und von den Sicherheitskräften als Gefahr eingestuft wird.

Erst kürzlich wurden in Rio zwei hochmoderne Zentralen für Sicherheit und Überwachung eröffnet, die auch nach den Großevents bestehen bleiben sollen: Die Zentrale für Integrierte Sicherheit und Kontrolle (CICC) und die vom Militär betriebene Koordinationszentrale für Verteidigung (CCDA). Die sich im ständigen Informationsaustausch befindlichen Kommandozentralen, die strategisch wichtige Punkte der Stadt mit Kameras überwachen, wurden auch bei der Wiederöffnung des Maracanã-Stadions eingesetzt. Mehr als 450 Kameras, die nicht nur auf die Zuschauer, sondern auch auf die Stadionumgebung gerichtet sind, sorgten dafür, daß der Confed Cup zum Happening der Security-Branche wurde. Allein für das Sicherheits- und Kontrollzentrum CICC, das Kräfte aus Zivilpolizei, Militärpolizei, Staatspolizei, Feuerwehreinheiten und Armee zusammenführt, wurden aufgrund explodierender Kosten Steuergelder in Höhe von 36 Millionen Euro fällig. Bis 2014 sollen in allen 12 WM-Spielorten solch zentrale Leitstellen mit umfänglicher Videoüberwachung der Städte für mehr als 150 Millionen Euro installiert sein. Gegenüber dem, was in Brasilien an übergreifenden Überwachungsstrukturen bereits umgesetzt wird, stecken die Markterschließungsprogramme hiesiger Innenminister, die in Deutschland zur vermeintlich besseren Kriminalitäts- und Terrorbekämpfung ebenfalls den Ausbau der Kameraüberwachung an öffentlichen Plätzen fordern, noch in den Kinderschuhen.

Um die öffentliche Überwachung durch Polizei- und Militäraugen, die in ihrem Erfassungsspektrum durch am Himmel kreisende Drohnen und Hubschrauber noch erweitert werden, gesellschaftlich salonfähig zu machen, werden die Sicherheitszentralen durch das Konzept der "Sozialen Verteidigung" schmackhaft gemacht. Wie der Deutschlandfunk [3] berichtete, erläuterte José Mariano Beltrame, der Sicherheitssekretär des Staates Rio de Janeiro, das Konzept mit den Worten: "Die Soziale Verteidigung ist jede Aktion, direkt oder indirekt verbunden mit dem alltäglichen Leben der Menschen in der Stadt. Hier in diesem Zentrum werden diese Informationen gebündelt."

Den "ganzheitlich" überwachten Menschen soll das Gefühl vermittelt werden, daß mit den Integrierten Sicherheitszentralen nicht nur ihr alltägliches Leben, sondern auch soziale Errungenschaften verteidigt werden. Schlimmer noch, die Bevölkerungsschichten in einer von tiefen sozialen Gegensätzen zerklüfteten Gesellschaft sollen noch mehr gegeneinander ausgespielt werden. "Der Begriff 'Soziale Verteidigung' heißt, die Gesellschaft wird gegen einen anderen Teil der Gesellschaft verteidigt", erklärte Bruno Cardoso, Soziologe an der staatlichen Universität Rios, der seine Dissertation über die neuen Kontrollzentren geschrieben hat, im Deutschlandfunk. Mit anderen Worten: Arm gegen Reich, kriminalisierte Favela-Bewohner gegen aufstrebende Mittelschicht, ungebildete Elendsbevölkerung gegen den vermeintlich Allgemeininteressen (sprich: seinen eigenen neuen Wohlstand) verteidigenden Citoyen etc.

All das dürfte die Sorge der FIFA nicht sein, die vollstes Vertrauen in die brasilianischen Organisatoren bei der Realisierung der Sicherheitskonzepte hat. Auf einer Pressekonferenz am 28. Juni gab sich Joseph Blatter überzeugt: "Die nächste WM wird ein Erfolg sein, gerade was die Sicherheit betrifft." [4] Die FIFA selbst plagt noch ein ganz anderes Problem. Um nicht als wirtschaftlicher Ausbeuter zu erscheinen, müssen all die Privilegien, die das private Fußballunternehmen genießt - etwa die geldwerte Steuerbefreiung, die lukrativen Sonderrechte, Ausnahmeregelungen und Haftungsbeschränkungen sowie die unverschämten Vorteile bei der Vertragsgestaltung -, vor allem aber die elefantösen Investitionsruinen in den Gastgeberländern zu sozialen Wohltaten am Fußball und der Welt umdeklariert werden. Nach den ganzen Protesten und Pfeifkonzerten der aufgebrachten Menschen am Zuckerhut, die die FIFA schlicht zum Teufel wünschten, kündigte Generalsekretär Valcke bereits an: "Wir müssen das Bild und die Wahrnehmung in der Welt verändern, was die FIFA ist und was die FIFA macht." [4]

In Anbetracht der 1,3 Milliarden Dollar Rücklagen, die der Fußballkonzern für schwierige Zeiten auf seinem Konto gebunkert hat, dürfte es nicht allzu schwer sein, die entsprechenden PR-Agenturen und Spin-Doktoren zu beauftragen, die gewünschten wissenschaftlichen Studien zu bestellen, die Medienkanäle mit Sponsoren- und Hofberichterstattung zu fluten und mit ein paar rührseligen Sozialprojekten oder Charity-Aktionen freundliche Gefühle zu wecken. Die Ergebnisse der Imagepolitur werden spätestens im kommenden Jahr bei der WM in Brasilien zu besichtigen sein.


Fußnoten:

[1] http://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/infoline_nt/sport_nt/fussball_nt/article117575917/Brasilien-bleibt-FIFA-Baustelle.html 30.06.2013

[2] http://www.welt.de/newsticker/sport-news/article117455318/Valcke-20-Prozent-lief-nicht-nach-Wunsch.html 26.06.2013

[3] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/sport/2152968/ 22.06.2013

[4] http://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/infoline_nt/sport_nt/fussball_nt/article117531187/Tolles-Turnier-bleibt-im-Zwielicht.html 28.06.2013

8. Juli 2013