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KOMMENTAR/165: Krieg gegen Fußball-Fans - Liga, Verband und Staat rüsten auf (SB)




Nachdem Hoffenheims Präsident Martin Kind in der "Bild"-Zeitung die verbale Brandfackel von den "Fußball-Terroristen" gezündet hatte, griff in der erhitzten Debatte um die angeblich gestiegene Gewaltbereitschaft von Fußballfans auch Franz Beckenbauer zum Stein. Vor dem aktuellen Hintergrund, daß in Köln der Profikicker Kevin Pezzoni von Fans vor der Haustür aufgelauert und bedroht wurde, erinnerte sich das wandelnde Fußball-Denkmal daran, daß es rund um die WM 1974 konkrete Terror-Drohungen gegeben habe - "nicht von Fans, sondern von der Baader-Meinhof-Bande". Beckenbauer und seine Familie hätten damals Personenschutz gehabt. "Was sich jetzt abspielt, ist eine andere Kategorie von Gefahr. Dank Internet können sich Täter heute innerhalb von 5 Minuten zusammenrotten. Dafür hätten sie früher eine Woche gebraucht. Das sind keine Fans, das sind Zerstörer. DFB, Liga, die echten Fans und der Staat müssen verhindern, dass diese Typen den Fußball kaputtmachen. Ich sehe eine echte Bedrohung", so Beckenbauer [1].

Der "Kaiser", der sich seine Krone gegenwärtig durch einen hochdotierten Werbevertrag mit dem russischen Energieriesen Gazprom privat vergolden läßt, gehört zu den Hauptprofiteuren und - Repräsentanten des Milliarden umsetzenden Unterhaltungsgewerbes, das seine ökonomische Macht über die gesellschaftlichen Kriminalisierungs- und Spaltungsstrategien immer aggressiver gegen die um soziale Anerkennung und demokratische Teilhabe kämpfenden Fußballanhänger durchsetzt.

Die "andere Kategorie von Gefahr", von der sich Beckenbauer und seine Geschäftsfreunde bedroht sehen, sind nicht irgendwelche Fans, die aufgrund welcher Frusterlebnisse auch immer den Trainerrohrstock in die eigene Hand nehmen und abseits der Arena "schwache" Spieler zu mehr Leistung nötigen wollen. Diese Sorte, die auch Plakate hochhält mit Sprüchen wie "Scheiß Millionäre, kämpft endlich!" stellt keine Gefahr für den Profifußball dar, weil sie das kapitalistische Arbeitsethos "Leistung für Geld" geradezu übererfüllt, nur eben nicht im Rahmen der legitimierten Drohhaltungen, wie sie die Fußball-Bosse und ihre Hilfskräfte an den Tag legen. So forderte erst jüngst Bayern Münchens Präsident Uli Hoeneß Nationaltrainer Joachim Löw auf, mehr Härte gegenüber den Nationalspielern zu zeigen: "Man muss den Spielern mal mehr den Tarif ansagen und sie viel mehr unter Druck setzen." Dazu müßten "diese ganzen Flausen, die sie teilweise im Kopf haben, reduziert werden", sagte Hoeneß auf der Wirtschaftsmesse "dmexco" [2]. Fast zeitgleich bekam Hoeneß für seine "sozialen Verdienste" die bayerische Staatsmedaille verliehen. Standesbewußt sein gönnerhaftes Credo: "Wir wissen alle, dass wir auf der Sonnenseite des Lebens stehen, und einen Teil dieser Sonne sollten wir abgeben" [3].

Mit "Wir" kann Hoeneß nicht die kleinen Leute gemeint haben, denen die Tarife angesagt und die Flausen aus dem Kopf getrieben werden sollen, damit sie den "Chosen few" da oben nicht die Sonne abspenstig machen. Die "Zerstörer", gegen die "DFB, Liga, die echten Fans und der Staat" eigentlich mobilisieren, sind die Ultras - eine Fangattung, die sich besonders leidenschaftlich für den Klub einsetzt und mit Fahnen, Spruchbändern, Choreografien, Trommeln und Gesängen für optische und akustische Unterstützung auf den Rängen sorgt. Rund 50 Gruppen der deutschen Ultraszene setzen sich über ihre zum Teil heftigen Rivalitätsgrenzen hinweg für das Projekt "Pyrotechnik legalisieren - Emotionen respektieren" ein und fordern eine Teillegalisierung von Bengalos in Stadien mit einer für die Umgebung ungefährlichen Möglichkeit zum Abbrennen derselbigen. Die Leuchtfeuer sehen sie als unverzichtbaren Bestandteil des Supports und der Fankultur. Das Teillegalisierungsprojekt der Ultras wird von vielen anderen Fußballanhängern sowie Fanexperten, Journalisten, Wissenschaftlern und Anwälten unterstützt.

Nachdem Funktionsträger des Fußballgewerbes den Fans zunächst ein Entgegenkommen signalisiert hatten, wurden vergangenes Jahr von seiten des Verbandes plötzlich alle auf eine praktikable Lösung zusteuernden Dialogbrücken gekappt. Statt dessen erklärten Verband und Liga die "Null-Toleranz-Linie", stellten Gewalt und Pyrotechnik auf eine Stufe und forderten ein hartes Durchgreifen gegen "Gewalttäter", "Chaoten", "Krawallmacher", "Pyromanen", "falsche Fans", "Störer" etc. Das volle Programm sozialer Stigmatisierung, Angsterzeugung, Denunziation sowie polizeilicher und juristischer Verfolgung wurde hochgefahren - in der Regel unterstützt von der "Bild"-Zeitung und ihr nahestehenden Medienmachern. Auch Vertreter der öffentlich-rechtlichen Sender, die milliardenschwere Übertragungsrechte für den professionellen Fußball erworben haben, beteiligten sich vereinzelt an der Ausgrenzung der uneinsichtigen Ultras.

In den großen Brei der öffentlichen Gewaltdebatte, in der nur in seltenen Ausnahmefällen die gesellschaftlichen Ursachen der Probleme auftauchen, welche die Menschen mit ins Stadion schleppen, mischten sich zudem Ausfälle und Anwürfe von Law-and-order-Politikern und Polizeigewerkschaftern, die vereinzelte, meist aufgebauschte Verfehlungen nutzten, um Werbung für ihre repressiven Maßnahmenkataloge zu machen. Da Politik und Sport nicht zu trennen sind, schon gar nicht mit Blick auf die Führungspersönlichkeiten in Liga und Verband, muß davon ausgegangen werden, daß die für jeden absehbare Verhärtung der Fronten und die eskalierende Entwicklung im Kalkül, wenn nicht gar in der Absicht des sportpolitischen Lenkungsapparates liegen, um allgemeinpolitische Ziele durchzusetzen. Dazu zählt u.a. die Aufrüstung der inneren Sicherheit mit Hilfe der zivilen Sicherheitsforschung, die sich zu einem milliardenschweren Wirtschaftszweig entwickelt hat. Das Stadion als überschaubarer Raum und Schmelztiegel emotional aufgeputschter Menschenmassen, die auf niederschwelliger Gewalt- und Konfliktebene ihre ritualisierten Kämpfe austragen, bietet sich zur Erprobung und Entwicklung polizeilicher Überwachungs- und Zugriffstechnologien auf perfekte Weise an. Und zwar gerade deshalb, weil von Personenverbänden wie den Ultras, die staatlicherseits noch nicht vollständig durchleuchtet und durch Verhaltensvorgaben diszipliniert sind, immer die latente Gefahr sozialen Aufruhrs und politischer Revolte ausgeht. Das lehrt der Blick auf andere Länder wie aktuell Ägypten, wo sich Ultras mit politischen Gruppen zusammengeschlossen haben, um gegen die Regierung aufzubegehren.

Schon daß sich etliche Ultragruppen in Deutschland, die über Internetforen zum Teil gut vernetzt sind und sich, um es in der vorverurteilenden Sprache Franz Beckenbauers zu sagen, als "Täter heute innerhalb von 5 Minuten zusammenrotten" könnten, gegen die weitere Kommerzialisierung und Eventisierung des Fußballs aussprechen und dagegen ankämpfen, sich als brav applaudierendes Zuschauervieh auf die Sitzplätze verweisen zu lassen, macht sie in den Augen des Kapitals, das reibungslose Bedingungen ökonomischer Verwertung anstrebt, zur unerwünschten Störgröße.

Die Bundesliga ist die einzige der großen Ligen in Europa, in der noch Stehplätze in den Stadien existieren. Der von Beckenbauer hochgelobte FIFA-Patriarch Joseph S. Blatter, der wegen zahlreicher Korruptionsaffären seines Monopolverbandes in der Kritik steht, bekräftigte kürzlich in der "Sport Bild" die Abschaffung der Stehplätze weltweit. "Alle sitzen, und das ist gut, auch für die Sicherheit", so Blatter [4]. Der Schweizer Krösus vergaß zu erwähnen, daß die "familienfreundlichen" Sitzplatzarenen in Europa, die zu "multifunktionalen Erlebniswelten" mit integrierten Fanshops, Verkaufsmeilen, Museen, Kindergärten und Gastronomiebetrieben umgewandelt wurden, auf die finanzkräftigen und stark konsumorientierten Mittelschichten zugeschnitten sind, die sich die Eintritte leisten können. Hier konfligieren mitunter die reinen Profit- mit den Herrschaftsinteressen, da letztere Stehplätze auch deshalb erhalten wollen, um das wachsende Prekariat in der Bevölkerung, das sich, wenn überhaupt, nur noch die billigen Eintrittskarten leisten kann, im "Sozialisationsraum" Stadion halten und befrieden zu können. Die Verdrängung der deklassierten Bevölkerungkreise in andere, unkontrollierte Sozialräume soll möglichst verhindert werden.

Noch gerieren sich die hiesigen Fußballbosse als Verteidiger der Stehplatzkultur in Deutschland, obwohl einzelne Funktionsträger aus Sport und Politik immer wieder damit drohen, die Stehplätze einzustampfen, falls die vermeintlich eklatant gestiegene Gewalt in den Stadien nicht zurückgehe. Die tatsächlichen Zahlen sprechen den Behauptungen zwar regelmäßig Hohn, als öffentlichkeitswirksamer Stimmungsteppich sind die Populismen jedoch gut geeignet, daß sich die Länderminister darauf mit Forderungen nach verschärften Sicherheitsmaßnahmen und -gesetzen die Füße abtreten können.

Daß in den Kurven munter weiter gezündelt wird, weil die Bengalos inzwischen zu einem Symbol des Protestes und des Widerstandes gegen die Diktatur der Fußballoberen geworden sind, dürfte ganz im Sinne der Erfinder des strikten Pyroverbotes sein. Hier bietet sich ein willkommener Vorwand, neue Polizeikonzepte zu erproben und die gläserne Kontrolle der Fans voranzutreiben. Nicht daß die Ultras diese Spirale durch Anpassung und Unterwürfigkeit hätten vermeiden können - die Politik hätte andere Anlässe gefunden oder geschaffen, um in Zeiten sich zuspitzender Gesellschaftskonflikte die Daumenschrauben anzuziehen. Man muß nicht auf das autoritär regierte Weißrußland schauen, wohin Deutschland Ausrüstungsmaterial und Sicherheits-Knowhow angeblich zur Bewältigung von polizeilichen Lagen aus Anlässen wie (Sport-)Großveranstaltungen exportierte. Über "Crowd and Riot Control"-Einheiten zur Überwachung von Menschenansammlungen und der Eindämmung von Aufständen verfügen auch deutsche Länderpolizeien und die Bundeswehr. Der Blick zur Colbitz-Letzlinger Heide nördlich von Magdeburg liefert ein anschauliches Beispiel, worauf sich die nach innen und außen militarisierende Bundesrepublik vorbereitet. Auf dem Gelände des Truppenübungsplatzes Altmark soll ab Herbst auf sechs Quadratkilometern eine gigantische Übungsstadt für Kriegs- und Kampfeinsätze mit über 500 Gebäuden und zahlreichen Infrastrukturelementen errichtet werden. Den Plänen zufolge soll die Kunststadt "Schnöggersburg" u.a. ein Industriegebiet, eine U-Bahn, eine Armensiedlung, Hochhäuser und ein Sportstadion enthalten. Die Soziologin Claudia Haydt, Vorstandsmitglied der Informationsstelle Militarisierung (IMI), wies kürzlich anhand einer öffentlichen Publikation auf die Absicht der Bundesregierung hin, auch Kommandos von Bundes- und Länderpolizeien das Gefechtsübungszentrum (GÜZ) nutzen lassen zu wollen [5].

Warum in die Colbitz-Letzlinger Heide gehen, wo doch an jedem Bundesliga-Standort ein "ziviles Gefechtsübungszentrum" namens Sportstadion steht? Bei der weichen Repression sind noch jede Menge Stellschrauben zu justieren. Zwar ist Generalbundesanwalt Harald Range mit seinem verfassungswidrigen Ansinnen gescheitert, Fußball-Rowdys mit elektronischen Fußfesseln zu disziplinieren, doch die Videoüberwachungssysteme und Gesichtsscanner zur präventivpolizeilichen Kontrolle und Verfolgung von Pyro- und Gewalttätern werden in den Stadien nun allenthalben modernisiert. Die saftigen Verbandsstrafen, die der DFB gegen Vereine erhebt, bei denen illegale Feuerwerkskörper zum Einsatz kamen, macht die Krämerseelen in den Vereinen mit ihren überspannten Etats zwar fuchsteufelswild, doch ihr Zorn richtet sich nicht gegen die Illegalisierung von Pyrotechnik, sondern gegen die "chaotischen Fans", die mit härteren Bestrafungen, rigorosen Stadionverboten, Spürhundeeinsätzen, besserer Überwachungstechnik, zertifizierten Sicherheitsunternehmen, Online-Bildfahndungen, ausgedehnten Einlaßkontrollen sowie Kostenbeteiligungen, Auswärtsspielsperren und Privilegien-Streichungen zur Räson gebracht werden sollen. Je größer die Geschütze werden, die Liga, Verband und Staat auffahren, desto größer auch die Verletzungen bei den Fans, die die Querschläger von Kontrollterror, Sanktionswillkür und Polizeigewalt abbekommen haben. Die sich immer aggressiver gebärdende Staatsmacht wird die Solidarität bei vormals neutralen Fans mit den Ultras noch verstärken. Die Gewalt, die von Pfefferspray und Schlagstock, von Leibesvisitationen und Stadionverboten nach dem Mitgehangen-Mitgefangen-Prinzip ausgeht, steht im deutlichen Kontrast zu den Gefährdungen, die von den bis zu 2000 Grad heißen Bengalos herrühren.

Es darf bezweifelt werden, daß Mediationskonzepte durch verbandsnahe, das Pyroverbot unterstützende Fanforscher wie Prof. Gunter A. Pilz ausreichen werden, die realen Gewaltverhältnisse und zielsicher entfachten Eskalationen zu verschleiern. Solange Pyrotechnik kriminalisiert wird und die Polizei sogar versucht, Fangruppen mit V-Männern zu unterwandern und aufzuspalten, wie ein kürzlich aufgeflogener Anwerbeversuch in der Nürnberger Fanszene zeigt [6], werden sich die Fronten weiter verhärten. Längst ist klar, daß die Ultra-Bewegung von Staat und Kapital auf das gewünschte Maß zurechtgestutzt werden soll, noch ehe sie sich sportübergreifend politisiert und konsequent die soziale Frage stellt.

Fußnoten:

[1] http://www.bild.de/sport/fussball/franz-beckenbauer/im-geburtstags-interview-ueber-gewalt-nationalelf-und-bayern-26127358.bild.html. 10.09.2012.

[2] http://www.welt.de/newsticker/sport-news/article109186923/Hoeness-Loew-muss-Spieler-mehr-unter-Druck-setzen.html. 13.09.2012.

[3] http://www.welt.de/newsticker/sport-news/article109172930/Hoeness-erhaelt-bayerische-Staatsmedaille.html. 12.09.2012.

[4] http://www.welt.de/newsticker/sport-news/article108852869/Blatter-fuer-Abschaffung-der-Stehplaetze.html. 29.08.2012.

[5] http://www.jungewelt.de/2012/09-04/056.php. 04.09.2012.

[6] http://www.rot-schwarze-hilfe.de/index.php/klartext/339-spiegel-bestaetigt-rsh-polizei-steckt-hinter-anwerbeversuch-in-nuernberg. 14.08.2012.

16. September 2012