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KOMMENTAR/149: "Nike plus" - digitale Überwachung auf Schritt und Tritt (SB)



Auch im Zeitalter der "digitalen Revolution" wächst im sportindustriellen Komplex zusammen, was zusammen gehört. Um die Einpassung der Athleten in das konkurrenzgetriebene Leistungs- und Wettbewerbssystem möglichst lückenlos zu gestalten, geht es nicht nur darum, Sportler allein auf den bloßen Verdacht hin, daß sie von der Regel abweichen könnten, einem drakonischen Überwachungs- und Kontrollregime zu unterwerfen (siehe Antidopingkampf). Die der Sicherstellung des Leistungsvergleichs inhärente Disziplinierung des Subjekts vollzieht sich auch in jenen Sozialräumen und Erlebnissphären, in denen noch keine über das Internet gesteuerten elektronischen Fußfesseln, Meldeauflagen oder Körperflüssigkeitskontrollen implementiert wurden. Kein geringerer als der weltweit führende Sportartikelhersteller Nike weist mit seinem neuen digitalen Trainingskonzept den Weg, wie sich künftige Generationen von Spaß, Spiel und Gemeinschaftserlebnisse suchenden Lauf-Individuen immer fester in das Prokrustesbett panoptisch kontrollierten und stimulierten Leistungsvergleichs pressen lassen, ohne daß ihnen direkter Zwang angetan werden müßte.

Das neue digitale System Nike+ "verspricht ein ganz neues Erlebnis durch die Kombination von Schuhen mit digitaler Ausstattung und interaktiven Apps", schreibt der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) auf seiner Internetseite [1]. Der US-Sportartikelhersteller Nike ist seit 2005 Generalausrüster des Verbandes und nutzt die Leichtathletik als Werbeplattform, um seine vornehmlich in Billiglohnländern hergestellten Sportartikel mit steigenden Gewinnen und Umsatzzahlen unter das Volk zu bringen. Die Technologie hinter Nike+ basiere auf einem neuen Nike+ Druck Sensor, der in dem Schuh integriert sei, berichtet der DLV. Dieser Sensor erfasse die Bewegungsdaten und schicke sie drahtlos an das Smartphone. Dort würden die Daten verarbeitet und lieferten dem User nützliche Informationen zu seinem Training oder seinem Basketballspiel. Ferner könnten während jeder Trainingseinheit über die "Nike+ Training mobile app" Daten und Feedback direkt auf das Smartphone gespielt werden. "Je nachdem, wie intensiv ein Nutzer trainieren möchte, kann er ein tägliches Programm erstellen. Zudem ist er über die App mit einer digitalen Community verbunden, mit der er seine täglichen Übungen und Herausforderungen teilen kann." Mit dem neuen Trainingskonzept werde die "Notwendigkeit" des alltäglichen Trainings zu einer Art Spiel, zu einer spaßmachenden Sache, mithin zu einem "Erlebnis" verwandelt. Wie der DLV weiter berichtet, habe sich Nike+ im Zusammenhang mit Laufprodukten "mittlerweile zu einer Community von sechs Millionen digital vernetzten Sportlern entwickelt. Mit der Einführung des NIKE+ FuelBand, einem Armband zur Aufzeichnung der täglichen Aktivitäten, soll diese Community nun weiter wachsen".

Bereits im Sommer vergangenen Jahres hatte der DLV, der sich damit rühmt, Wegweisendes für eine sportrechtlich abgesicherte Kontrollkultur im Leistungssport beigetragen zu haben (DLV-Präsident Clemens Prokop: "Der Argwohn läuft mit."), für die "SportWatch GPS" von Nike+ Werbung gemacht. Die neue Laufuhr, die in der "weltweit größten Online-Running-Community" ein "dynamisches und motivierendes Lauferlebnis" verspricht, bestimmt über das satellitengestützte Ortungssystem GPS die genaue Position des Läufers und ermittelt aktuelle Laufzeit, zurückgelegte Distanz, Laufgeschwindigkeit und den Wert der verbrannten Kalorien. "Das Zusammenspiel des GPS-Empfängers mit dem Nike+ Chip im Schuh sorgt für genaueste Trainingsdaten sowohl outdoor in der Natur als indoor auf dem Laufband. Vielseitige Optionen bei den individuellen persönlichen Einstellungen und zahlreiche Features, wie spezielle Sounds, Challenges oder die Lauferinnerungsfunktion erhöhen den Spaß- und Motivationsfaktor." [2] Mit der Freigabe der Laufinformationen auf Facebook oder Twitter könne man zudem sein Sportnetzwerk erweitern, wirbt Nike.

Der Bereitschaft des Menschen, sich in Zeiten zunehmenden Konkurrenz- und Leistungsdrucks am Fitneßgerät, beim Endlos-Jogging, Marathon oder anderen Aktivitäten abzurackern, um die eigenen Wettbewerbschancen auf den Märkten von Arbeit und Erotik zu verbessern, manifestiert keinesfalls einen Befreiungsakt, sondern fesselt ihn mit jeder Faser seines Körpers noch fester an das feingesponnene Belohnungs- und Bestrafungssystem des Sports, der sich in seiner Extremform bereits zu einem sozialrepressiven Panoptikum mit Vorbildfunktion für die Gesamtgesellschaft entwickelt hat. Um das strenge, in Teilbereichen noch sehr aufwendig gestaltete Disziplinarsystem technisch zu optimieren, haben Topathleten bereits ihre permanente Überwachung durch das Ortungssystem GPS vorgeschlagen. Ähnlich wie Straftäter unter Hausarrest würden sie sich eine elektronische Fußfessel anlegen und damit das Antidoping-Meldesystem der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) unterstützen.

Spitzensportlern wird ihre "freiwillige" Unterwerfung unter das Kontroll- und Sanktionsregime bekanntlich mit sportlichen Erfolgen, Medaillen, Prämien, Gagen, Fördermitteln, sozialem Prestige und Karrierechancen gelohnt. Kaum anders Läufer, deren Einzug in die iPod-, iPhone-, Smartphone- oder GPS-gestützte Kontroll-Community von Nike+ ebenfalls mit Erfolgserlebnissen sowie virtuellen Daten- und Sozialfeedbacks versüßt wird. Die "intensiven Übungen", mit denen man "innerhalb von kurzer Zeit fitter, schneller und stärker" werden soll, sind eingebettet in ein breitgefächertes Trainingskonzept, das den User ähnlich wie in der Welt der Online-Rollenspiele anhand verschiedenster Leistungsanforderungen und Coachingprogramme hochzuleveln versucht. Nike+ bietet sogar einen virtuellen Avatar an, der einen beim Training begleitet und mit freundlichen Einflüsterungen zu größeren Leistungen anspornt. Mit jeder Wertverbesserung heimst der Anwender Bestätigung ein. Persönliche Daten können am heimischen PC oder über das Online-Portal nikeplus.com "synchronisiert" werden. Über die Social-Media-Tools besteht die Möglichkeit, mit der "Online-Community" in Kontakt zu treten und seine Rück- und Fortschritte unter Gleichgesinnten zu bewerten, was weiteren Druck auf den Kessel leistungsorientierter Unterscheidungs- und Darstellungssehnsüchte gibt.

Daß Schätzungen zufolge bereits jeder Hundertste Anzeichen von Sportsucht aufweist [3], kalorienzählende Sportler mit Eßstörungen und manisch ihren Fatburner-Puls kontrollierende Läuferjunkies immer zahlreicher werden, dürfte die Sorge von Mark Parker nicht sein. Der Präsident und CEO von Nike wird vom Deutschen Leichtathetik-Verband mit den Worten zitiert: "Mit Nike+ können wir die physische Welt des Sports mit den sozialen Elementen der digitalen Welt verbinden und so jedem Sportler ein besseres Sporterlebnis bieten." Nach Angaben von Parker gehe es um viel mehr als um einen Schuh. "Bei Nike+ geht es um die Kombination von Sport und Daten. Für Nike ist das eine Verschiebung weg vom Produkt und hin zu Produkt + Erlebnis." [1]

Produktfütterung und Erlebnishunger gehen in der Marketingstrategie des Sportkonzerns nicht nur eine profitable Verbindung konsumptiver Fremdbestimmung ein. Sportliches Data-Mining bietet geradezu das Einfallstor für eine engmaschige Bevölkerungskontrolle, die jeden Laufmeter, jeden Kalorienverbrauch, jeden Bodyworkout nach sozioökonomischen Nützlichkeitskriterien bewertet, um von der Norm abweichendes Verhalten sanktionspflichtig zu machen. Verschleierte Sanktionsformen wie Bonus-Malus-Systeme von Krankenkassen, die als "gesundheitsfördernd" definiertes Verhalten belohnen und davon abweichendes Verhalten sanktionieren, hat das neoliberale Politikdiktat von der maximalen Eigenverantwortung des Individuums bereits hervorgebracht. Daß Sportler einmal "freiwillig" fordern könnten, sich wie rückfallgefährdete Schwerverbrecher GPS-Fesseln anzulegen, hätte sich vor gar nicht so langer Zeit, als es noch keine Totalüberwachung für Spitzensportler durch die WADA gab, auch niemand vorstellen können. Warum sollte das nicht auch für Freizeit- und Breitensportler gelten? Zumal vor dem Hintergrund, daß in Deutschland bereits sieben Millionen Menschen prekär beschäftigt sind, die Bereitschaft des Individuums, noch entschiedener nach Gesundheit, Fitneß, Schönheit oder Erotik zu streben, um Leistungsfähigkeit und Verwendbarkeit zu beweisen, eher noch anwachsen dürfte.

Das Nike Fuel Armband, das tägliche Aktivitäten wie Schrittzahl, Kalorienverbrauch u.a. bemißt und Sportlern unabhängig von Leistungsklassen, Sportarten und Geschlecht eine Vergleichsgrundlage bieten soll, reduziert menschliche Aktivitäten nicht nur auf einen Rechenwert, sondern schafft mit der eigens kreierten Maßeinheit "Nikefuel" ein Orientativ für "sportliche Aktivität", das den Nutzer stetig auffordert, sich noch mehr anzustrengen, damit der farblich kontrastierte "Nikefuel"-Pegel auf dem Armband von Rot zu Grün wandert. Gedanklich wird die Menge verbrauchten Schweißes synonym gesetzt mit der Menge an "Nikefuel", die der Nutzer glaubt, hinzugewonnen zu haben. Tatsächlich täuscht die positive Bilanzierung darüber hinweg, daß menschliche Arbeit und Bewegung in seiner meßbaren Form zuvorderst einen Verlustprozeß beschreibt: Kalorien wurden verbrannt, Energie und Zeit wurden verbraucht, der Körper verschleißt und altert. Es bedarf schon riesiger Mengen an sozialem "Fuel" (= Treibstoff), damit das nikeplusgetriebene Individuum nicht realisiert, wie weitreichend seine angestrebte Fitneß (im Englischen gleichbedeutend mit "passend, tauglich, geeignet") das Produkt fremder Interessen darstellt, die "schlanke", "flexible" und "leistungswillige" Körper, die sich auf Schritt und Tritt kontrollieren lassen und kein Problem damit haben, daß ihre Bewegungsprofile auf fremden Servern in Zugriffsreichweite der Behörden lagern, für den Arbeits- und Produktionsprozeß sehr gut gebrauchen können. Um so besser, wenn die Läufer für ihre sportive Stechuhr am Handgelenk auch noch einen stolzen Preis zu bezahlen bereit sind (rund 113 Euro). Was Wunder, daß der Elektronikkonzern Apple, der in enger Partnerschaft mit Nike das "Fuel"-Armband entwickelt hat, sich die Hände reibt und erklärt: "Nikeplus.com hat für Dich alles unter Kontrolle" [4].

Anmerkungen:

[1] http://www.leichtathletik.de/index.php?NavID=352&SiteID=394&NewsID=37025&Year=2012. 7.3.2012.

[2] http://www.leichtathletik.de/index.php?NavID=1&SiteID=28&NewsID=33565. 7.3.2012.

[3] Aus: Dominik Batthyány und Alfred Pritz: "Rausch ohne Drogen: Substanzungebundene Süchte", Springer-Verlag Wien, 2009.

[4] http://www.apple.com/de/ipod/nike/sync.html. 7.3.2012.

11. März 2012