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KOMMENTAR/141: Teile und herrsche - Volkssponsoring sichert modernes Gladiatorentum (SB)



Wie weit wollen Spitzensportlerinnen und -sportler noch gehen, um ihren Obsessionen frönen zu können? Läuft das Modell des warenförmigen Athleten darauf hinaus, sich als Vorzeigeobjekte von Staat und Kapital allen nur irgendwie für sozial vertretbar erklärten Formen kommerzieller Verwertungspraxis zu überantworten? Steuert der chronisch unterfinanzierte Hochleistungssport Verhältnisse an, wo minderbemittelte Athleten ihre Dienstleistungen in Auktionshäusern anbieten wie weiland in Schuldknechtschaft geratene Römer ihre Dienste auf öffentlichen Sklavenmärkten? Werden sich die freien, noch vermögenden Bundesbürger bald "Haussportler" ihrer Wahl ersteigern können, damit diese zur eigenen Unterhaltung oder zum Ruhme Deutschlands in den internationalen Sportarenen um Medaillen und Trophäen kämpfen?

Bereits für drei Euro im Monat kann jeder Bundesbürger im Rahmen der Kampagne "Dein Name für Deutschland" offizieller Sponsor von deutschen Spitzensportlern werden. Die Spenden dienen als zusätzliche Unterstützung des Förderprogramms "ElitePlus", das die Stiftung Deutsche Sporthilfe im März auf den Weg gebracht hat, um ausgewählten Spitzenathleten bis zu den Olympischen Spielen 2012 in London monatlich zusätzlich 1.500 Euro an Förderleistungen zu garantieren, "damit sie sich frei von beruflichen Verpflichtungen konzentriert auf die Olympiateilnahme vorbereiten können", so die Sporthilfe. "Insbesondere im vorolympischen Jahr 2011 müssen die Athleten bereit sein, sich tagtäglich im Training zu quälen und zahlreiche Entbehrungen auf sich zu nehmen, um Startplätze zu erkämpfen. Auch darauf wollen wir mit der Aktion aufmerksam machen", erklärte Dr. Michael Ilgner, Vorstandschef der Deutschen Sporthilfe, im Sommer dieses Jahres [1].

Der heroisch leidende, finanziell darbende und mittlerweile auch wie ein Schwerverbrecher in Kontrollfessel gelegte Arenakämpfer moderner Prägung genießt in der Leistungs- und Wettbewerbsgesellschaft höchste Wertschätzung und gleicht seinem antiken Vorbild in vielerlei Hinsicht. Auch damals standen erfolgreiche Gladiatoren trotz sklavischer Verhältnisse und ruinöser Körperausbeutung in hohem Ansehen. Die Gefahren für Leib und Leben mögen im alten Rom andere gewesen sein, nicht aber die herrschaftsstabilisierende Funktion der Zirkusspiele, die das Jubelvolk mit den gesellschaftlichen Verhältnissen versöhnen sollte. Die römischen Adligen erkauften sich mit großzügigen Spielfesten nicht nur die Gunst des Plebs, sondern ließen es durch die gelegentliche Übertragung des Rechts, selbst darüber entscheiden zu können, ob einem unterlegenen Gladiator Gnade oder einem siegreichen die Freiheit geschenkt wurde, partielle Herrschaftsfunktionen ausüben.

Modern gewandelt wird dem glorreichen Athleten auch heute die Gunst des Publikums zuteil, wenn er sich nur tagtäglich zu quälen bereit ist, Entbehrungen in Kauf nimmt, sich keines Fehlverhaltens schuldig macht und durch sportliche Erfolge den Hunger nach gemeinschaftlicher Identifikation zu stillen bereit ist. Dafür lassen nicht nur Staat und Privatwirtschaft Gelder springen, nach dem Sponsoring-Modell der Deutschen Sporthilfe darf sich auch der stolze Bürger mit Geldspenden am Zirkusgeschehen beteiligen und mit seinem Namen zur Unterstützung deutscher Spitzensportler beitragen. "Als Sponsor steht Dein Name für Deutschland: auf Anzeigen, im Fernsehen und vielleicht sogar im Stadion", heißt es in der Internetpräsenz der Sporthilfe. "Das Highlight ist Dein eigener TV-Spot, bei dem Dein Name auf dem Unterarm von Schwimm-Weltrekordler Paul Biedermann erscheint." Das Werbevideo zeigt den Schwimmstar, auf seinem muskulösen Oberkörper prangen die Namen seiner Sponsoren. Fast wie Tätowierungen oder Brandzeichen, die Besitzansprüche markieren, erinnern die Schriftzüge daran, wem der Athlet sein Dasein zu verdanken hat. Die Körpersprache des Schwimmers verrät Konzentration. Dann erhebt sich der Spartacus und macht sich durch die Katakomben auf den Weg in die Arena, wo ihn die Anfeuerungsrufe des ekstatischen Publikums bereits erwarten. Schnitt. [2]

Um dem modernen Sportgladiatorentum demokratischen Rückhalt zu verleihen, gab die Deutsche Sporthilfe bei der Deutschen Sporthochschule in Köln eine Studie in Auftrag, bei der erwartungsgemäß herauskam, daß für 91 Prozent der Bundesbürger deutsche Athleten eine Vorbildfunktion haben und sich zwei von drei Deutschen über "eigene" Olympiamedaillen freuen. Ein weiteres Ergebnis der Studie besagt, daß Sport für die Außendarstellung Deutschlands wichtiger als Kultur, Wirtschaft und Politik sei.

Die Dysfunktionen des Spitzensports wurden indessen nicht untersucht, weil nach Aussage des Studienleiters und Sportökonoms Prof. Christoph Breuer dafür das Geld nicht gereicht habe. Sicherlich nicht nur für den renommierten Darmstädter Sportsoziologe Prof. Karl-Heinrich Bette hat damit die Studie "den gleichen Wert wie die Studien, die Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände oder politische Parteien in Auftrag geben, um ihre jeweiligen Positionen mit Daten zu untermauern". Wenn die problematischen Seiten des Spitzensports wie Dopingproblematik, Wettbetrug, Kinderhochleistungssport, sexuelle Übergriffe von Trainern usw. angesprochen worden wären, wäre die Studie sicherlich in ein völlig anderes Fahrwasser geraten, so Bette. [3]

Trotz der Zweifel an der Seriosität der Sporthilfe-Umfrage fanden die Ergebnisse nahezu kritiklose Verbreitung in den Zirkusmedien. Im Beisein von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) und DOSB-Präsident Thomas Bach (FDP) wurde die Studie am 3. August in Berlin der Öffentlichkeit vorgestellt. "Bestärkt mit der Gewissheit, dass zwei von drei Deutschen stolz und glücklich sind, wenn deutsche Athleten aufs Siegertreppchen steigen", wie die Sporthilfe erklärte, wurden die Eliteathleten symbolisch auf die Reise in die Olympiastadt London geschickt.

Dort lieferte der britische Sprinter James Ellington dieser Tage einen Vorgeschmack, was nicht ganz so erfolgreichen Elitesportlern blüht, die sich mit Haut und Haaren dem olympischen Leitmotiv "höher, schneller, stärker" verschrieben haben, einschließlich der damit verbundenen Traumata. Weil sich aufgrund seiner vielen Verletzungen in den letzten vier Jahren alle Sponsoren von ihm abgewandt hatten, sah sich der 26jährige gezwungen, sich auf der Internetauktionsbörse Ebay unter der Kategorie "Andere Sportwaren" an den Meistbietenden zu versteigern. Der Gewinner erhalte das Recht, auf seinem Trikot beim Training oder bei Presseterminen vor und nach den Olympischen Spielen im kommenden Jahr zu werben, erklärte Ellington. Er sei verletzungsfrei und wahrscheinlich eine der größten Sprint-Hoffnungen seines Landes. Er wolle einen Platz im Olympia-Team erringen und hoffentlich um eine Medaille mitkämpfen. Mehrere Dutzend Personen und Firmen trieben den Preis binnen zehn Tagen sukzessive nach oben. Am 17. Dezember gingen die Sponsorenrechte für 32.550 Pfund (ca. 38.700 Euro) über den Ladentisch. Ob es auch ein Rückgaberecht für beschädigtes Sportlermaterial bei Ebay gibt, ist nicht bekannt.

Gemessen an den Zuständen im alten Rom gilt das moderne Sportgladiatorentum als die humanere Form der Körperveräußerung. Man könnte es aber auch anders sehen: die Herrschaftsverhältnisse sind durch eine ausdifferenzierte Kultur der Herrschaftsbeteiligung, im wesentlichen über den Konsum geregelt, nur mittelbarer und unüberschaubarer geworden. Die vom Kaiser zeitweilig auf sein Volk übertragene Verfügungsgewalt, das Schicksal eines Gladiatoren mit dem Daumen bestimmen zu können, findet im modernen Wettkampfsport ihre Entsprechung im Volkssponsoring. Das Publikum hat es mit seinen Spenden oder Geboten in der Hand, über das Wohl und Wehe des warenförmigen Sportlers mitzuentscheiden. Die Geldgeber erwerben das Recht, Werbung zu schalten oder ihren Namen auf dem Trikot oder der nackten Haut des Athleten zu plazieren. Gleichzeitig soll der Spitzensportler für konsumptive Wohlgefühle beim Zuschauer sorgen, der nicht nur die Höchstleistungen des Athleten positiv reflektiert, sondern auch seinen eigenen (kleinen) Beitrag - der in der Sozialwährung natürlich ein großer ist und den edlen Spender adelt, steht sein Name doch "für Deutschland". Daß in diesem Land laut aktuellem Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands inzwischen jeder siebte Bundesbürger arm ist und nach Angaben der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) die Einkommen von Gutverdienern und die Arbeitslöhne von Geringverdienern soweit auseinanderklaffen wie noch nie, soll die um das tägliche Brot kämpfenden Bevölkerungsschichten nicht kümmern. Solange der reichere Teil ihnen großzügig Zirkusspiele finanziert und sich selbst der verarmende Teil mit drei Euro im Monat an der personellen Sicherung der Spiele beteiligen kann, funktioniert das alte Prinzip "Divide et impera" (teile und herrsche) auch in der Gegenwartsgesellschaft wie geschmiert.

Anmerkungen:

[1] "Dein Name für Deutschland" startet nach London. Berlin/Frankfurt am Main, 26.07.2011
https://www.sporthilfe.de/_Dein_Name_fuer_Deutschland__startet_nach_London.dsh

[2] https://www.sporthilfe.de/Deine_Kampagne_starten_.dsh

[3] Zweifel an der Seriosität der Sporthilfe-Umfrage zum Image des Spitzensports. Karl-Heinrich Bette im Gespräch. 23.10.2011
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/sport/1586450/

23. Dezember 2011