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KOMMENTAR/119: Denktabu - gehört nicht auch INTERPOL zum Loyalitätssystem der FIFA-Familie? (SB)



Die tickende Zeitbombe im Machtkampf um die Präsidentschaft des Fußball-Weltverbandes FIFA zwischen Amtsinhaber Joseph S. Blatter (Schweiz) und seinem Herausforderer Mohammed Bin Hammam (Katar) konnte zur Erleichterung der die Kandidaten stützenden Lobbyistengruppen aus Politik und Wirtschaft vorerst entschärft werden. Wenige Tage vor der Wahl im Rahmen des 61. FIFA-Kongresses in Zürich zog der betuchte Geschäftsmann Bin Hammam seine Kandidatur zurück. Mit mehr als 90 Prozent Zustimmung wurde Blatter daraufhin als Oberhaupt der FIFA-"Familie" wiedergewählt. Der von Korruptionsvorwürfen heimgesuchte Bin Hamman indes leckte seine Wunden. Die jüngsten Ereignisse hätten ihn "auf professioneller und persönlicher Ebene verletzt und enttäuscht", schrieb der Chef der Asiatischen Konföderation auf seiner Homepage. Er könne nicht zulassen, daß der Name der FIFA, "den ich geliebt habe, wegen des Wettbewerbs zwischen zwei Einzelpersonen mehr und mehr in den Schmutz gezogen" werde. Er werde seinen "persönlichen Ehrgeiz nicht vor die Würde und Integrität der FIFA stellen".

Man kann den Namen "FIFA" in seinem Statement getrost mit dem von "Katar" austauschen, denn nach dpa-Darstellung (30.05.11) soll die Königsfamilie in Katar, welche die WM 2022 im eigenen Land nicht gefährdet sehen will, Bin Hammam zu diesem überraschenden Schritt gedrängt haben. Der aufstrebende Zwergstaat, dessen Reichtum auf Öl- und Gasvorkommen gründet, versucht sich seit vielen Jahren das Wohlwollen der westlichen Industriemächte durch die Ausrichtung hochdotierter Sportevents, Auftragsvergaben an ausländische Bau-, Technologie- und Rüstungsfirmen sowie durch militärische Lakaiendienste (siehe die aktuelle Beteiligung am Krieg gegen Libyen) zu erwirtschaften [1]. Weil die Katar-Bewerbung in Verdacht steht, durch Bestechung zustande gekommen zu sein, sah sich das Emirat offenbar gezwungen, seinen sportpolitischen Gewährsmann Bin Hamman zurückzupfeifen, um im nationalen Interesse größeren Schaden zu verhindern. Ob dies Katar wirklich gelungen ist, steht auf einem anderen Blatt, zumal ranghohe Fifafunktionäre weitere Korruptions-Enthüllungen angekündigt haben, wobei unklar ist, ob es sich dabei lediglich um Ablenkungs-Futter für die Medienmeuten gehandelt hat.

"Würde und Integrität" der FIFA indes beruhen wohl hauptsächlich auf dem profitablen Verkauf von TV- und Marketingrechten sowie politischer und rechtlicher Protektion. Trotz Milliardenerlösen ist die FIFA in der Schweiz als nicht-gewinnorientierter Verein registriert und damit steuerlich begünstigt. Wo das Wirtschaftsunternehmen auch Großevents abhält, immer genießt es phantastische Steuerprivilegien, was seine Gewinne fortlaufend maximiert. Als die FIFA für die WM 2006 in Deutschland die vollständige Steuerbefreiung forderte, wurde ihr diese von der Politik umgehend gewährt. Als der langjährige FIFA-Funktionär Guido Tognoni im Februar diesen Jahres auf dem Sportbusiness-Kongreß in Düsseldorf erklärte, die damalige Bundesregierung habe für das Gewinnen der Stimme eines saudi-arabischen Delegierten kurzfristig das Waffenembargo aufgehoben - SID zitiert den Juristen u.a. mit den Worten: "Das ist publik und bekannt. Die Bundesregierung hat alles getan - und auch das getan -, um diese Stimme zu bekommen. Insgesamt war alles im Rahmen des mehr oder weniger Erlaubten (...)" [2] -, verwies der Deutsche Fußballbund (DFB), bisweilen auch als "CDU-Außendienststelle" tituliert, die Behauptung Tognonis sogleich ins Reich der Fabeln. Offizielle Untersuchungen erfolgten nicht, ein öffentlicher Skandal blieb aus. Deutschland hatte sich bekanntlich im Juli 2000 im entscheidenden Wahlgang gegen Südafrika mit 12:11 Stimmen durchgesetzt. Nach der erfolgreichen WM, die der FIFA über zwei Milliarden Euro in die Kassen spülte, wurde Blatter das Bundesverdienstkreuz von Angela Merkel (CDU) verliehen. Seit Oktober 2010 ist er auch Ehrenmitglied des DFB. Verbandschef Theo Zwanziger (CDU), kürzlich für Beckenbauer ins FIFA-Exekutivkomitee gewechselt, gehört zu Blatters erklärten Wahlmännern.

Auch die Schweiz, wo nicht zufällig rund 60 internationale Sportverbände und -organisationen ihren Sitz haben, hat der FIFA bislang einen Schutzschirm aufgespannt. In einem der größten Skandale um sogenannte Provisionszahlungen im Zusammenhang mit der bankrottgegangenen FIFA-Vermarktungsagentur ISL/ISMM mit Sitz in Zug sollen zwischen 1989 und 2001 rund 140 Millionen Franken an verschiedene Funktionsträger des Weltsports verteilt worden sein, wie der TV-Sender BBC [3] und andere namhafte Zeitungen berichteten. Eine gründliche Aufarbeitung der Vorfälle sowie die namentliche Veröffentlichung der darin verwickelten Personen wurde mit Hilfe juristischer Winkelzüge und prozeßökonomischer Deals verhindert.

Die FIFA, der Verbände von 208 Staaten angehören (der UNO gehören nur 192 Staaten an), bezeichnet sich selbst als "Vereinte Nationen des Fußballs" und markiert damit internationalen Staatenbünden vergleichbare Souveränitätsansprüche. Aufgrund ihrer unangefochtenen Monopolstellung hat sie beim Verticken der Volksdroge Fußball, die riesige Menschenmassen in den emotionalen Taumel zu versetzen vermag, nahezu ideale Bedingungen. Weil sie als privatwirtschaftlicher Großdealer auch das kapitalistische Verwertungssystem repräsentiert, dem der Sportler Ware und der Fußball Produkt ist, werden weder das Profitprinzip noch seine organisatorischen Träger grundlegend in Frage gestellt, auch nicht von den kommerziellen Sportmedien, deren systemstabilisierende Funktion gerade darin besteht, daß sich ihre Kritik in schöner Regelmäßigkeit an den korrumptiven Machenschaften in der FIFA-"Familie" abarbeitet. Man möchte den "sauberen", "demokratischen" und "transparenten" Fußballkapitalismus, möglichst mit "echter Compliance" (Deutschlandfunk) - ein ähnlicher Etikettenschwindel wie etwa in der Umweltpolitik, wo die Verfechter des "Green New Deals" das vorherrschende kapitalistische Akkumulationsregime unangetastet lassen wollen, um weiterhin auf Wachstum und Profite setzen zu können.

Nicht Systemkritik, sondern Antikorruption ist deshalb auch das Generalthema des Medienmainstreams (vergleichbar damit, statt der Abschaffung von Atomkraftwerken den Bau stabilerer Mauern zu fordern). Der Weltfußballverband, vom Deutschlandfunk (29.05.11) als "mafiaähnlicher Verein" apostrophiert, bietet dafür auch reichlich Anlaß. Gegen viele der 24 Mitglieder im FIFA-Exekutivkomitee wurden in der Öffentlichkeit Bestechungsvorwürfe erhoben. Die Schlammschlacht zwischen Blatter und Bin Hamman gipfelte schließlich darin, daß die Ethikkommission der FIFA gegen beide Kandidaten wegen Bestechungsvorwürfen Ermittlungsverfahren einleitete. Wie zu erwarten kam dabei heraus, daß Bin Hamman sanktioniert, während Joseph Blatter mit einem Freispruch der Weg zur Wiederwahl geebnet wurde. Doch die verbandseigene, 14köpfige Ethikkommission ist nicht unumstritten, was sich auch darin widerspiegelt, daß der ehemalige Präsident des Bundesgerichtshofs, Prof. Günter Hirsch, am 9. Januar dieses Jahres aus dieser Kommission zurücktrat, weil er u.a. monierte, "dass die Verantwortlichen der Fifa kein wirkliches Interesse daran haben, eine aktive Rolle bei der Aufklärung, Verfolgung und Vorbeugung von Verstößen gegen das Ethik-Reglement der Fifa zu spielen" [4].

Selbst konservative Blätter sehen die FIFA in der größten Krise ihrer 107jährigen Geschichte - mag Joseph Blatter das auch anders sehen, wie er auf einer Pressekonferenz (30.05.11) zu erklären beliebte: "Krise? Welche Krise? Der Fußball steckt nicht in einer Krise. Wir haben hausgemachte Schwierigkeiten, aber die werden in der Familie gelöst."

Wer allerdings zur familia und damit zum Loyalitätssystem der FIFA gehört, bedarf noch der genauen Klärung. Gehören auch der ehemalige FBI-Chef Louis Freeh oder Ex-US-Außenminister Henry Kissinger dazu, deren Namen vom wiedergewählten FIFA-Präsidenten als externe Mitglieder einer sogenannten Lösungskommission ins Spiel gebracht wurden? Kissinger steht nicht nur wegen seiner dunklen Machenschaften in den 1970er Jahren bei den Operationen des US-Geheimdienstes und -Militärs in Lateinamerika oder bei der illegalen Bombardierung von Laos und Kambodscha in der Kritik (siehe ARTE-Doku "Angeklagt - Henry Kissinger"), sondern auch wegen seiner Lobbyistenrolle in der Privatwirtschaft. Wie die NZZ (08.06.11) berichtet, habe er ein "Beratungsmandat für Coca-Cola", einem der Hauptsponsoren der FIFA.

Während die Medien anläßlich des FIFA-Kongresses kübelweise Spott und Hohn über die Funktionäre ausschütteten, geriet immer mehr aus den Augen, daß Joseph Blatter bereits am 9. Mai, just drei Wochen vor der Präsidentschaftswahl, angekündigt hatte, die Internationale Kriminalpolizeiliche Organisation IKPO (Englisch INTERPOL) in den kommenden zehn Jahren mit insgesamt 20 Millionen Euro zu unterstützen. Man wolle den Kampf gegen die Korruption im Sport fördern, hieß es von seiten der FIFA, zum damaligen Zeitpunkt noch nicht als "mafiaähnlicher Verein" gebrandmarkt. Mit der Spende - die höchste, die INTERPOL je von einer privaten Institution erhielt, wie es schlagzeilenträchtig hieß - sollen Anti-Korruptionsprogramme für Spieler, Schiedsrichter und Offizielle finanziert werden. Zunächst ist ein INTERPOL-Projekt gegen Wettbetrug und Spielmanipulationen in Singapur vorgesehen. Der sich um die "Glaubwürdigkeit" der FIFA besorgt zeigende Blatter wies darauf hin, daß sich der Umsatz illegaler Fußballwetten allein in Asien auf mehrere hundert Millionen US-Dollar jährlich summiere. Eigenen Angaben zufolge will die FIFA in den ersten zwei Jahren je vier Millionen, in den kommenden acht Jahren je 1,5 Millionen Euro an INTERPOL überweisen. INTERPOL-Generalsekretär Ronald K. Noble, dessen Agentur unter Budgetknappheit leiden soll und von Menschenrechtsorganisationen dafür kritisiert wird, daß in 111 der 188 Mitgliedsstaaten gefoltert werde [5], reiste höchstpersönlich in die FIFA-Zentrale nach Zürich, um das "Partnerschafts"-Abkommen zu unterzeichnen.

Mit einem ähnlichen Schachzug hatte sich einst das IOC von Vorwürfen befreit, es würde nicht konsequent genug gegen Doping im Sport vorgehen. Aufgrund des Bestechungsskandals von Salt Lake City stand den IOC-Fürsten das Wasser bis zum Hals, der damalige US-General Barry McCaffrey, als Feldherr in Vietnam und Irak zu zweifelhaftem Ruhm gelangt, erwog 1998 sogar die Möglichkeit, das IOC "platt zu machen". Anschließend wurde - zur Hälfte vom IOC finanziert - die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) gegründet. Was für ein grandioses Ablenkungsmanöver!

Der Verdacht drängt sich auf, daß die Geschäfte der internationalen Topunternehmen des Sports gerade deshalb so gut laufen, weil die Funktionäre einen Teil ihrer Gewinne klug in regelüberwachende und nun auch kriminalitätsbekämpfende Systeme reinvestiert haben. Wenn schon der ehemalige FIFA-Insider und jetzige Nationalrat der Schweizer Volkspartei, Roland Rino Büchel, die Schenkung der FIFA an INTERPOL mit den Worten kritisiert, dies sei, "wie wenn der Schmuggler den Zöllner sponsert" [6], wie schlimm muß es dann tatsächlich um den organisierten Sport bestellt sein, der sich offenkundig aller Mittel bedient, um die kommerzielle Ausbeutung des Sports voranzutreiben?

Anmerkungen:

[1] SPORT -> MEINUNGEN -> KOMMENTAR/114: Sport- und Spielestaat Katar auf Kriegskurs

[2] www.fr-online.de. Vorwurf von Ex-Fifa-Funktionär. Waffen für WM-Stimme? 08.02.11

[3] BBC-Panorama-Sendungen: "FIFA's Dirty Secrets" (29.11.10) und "FIFA - Football's Shame" (23.05.11). Von Andrew Jennings.

[4] dpa zitiert aus einem Schreiben, das Prof. Hirsch an den Chef der FIFA-Ethikkommission, Claudio Sulser, sandte.

[5] Siehe Pressedienst des Deutschen Bundestages Nr. 221, 31.05.11, im Zusammenhang mit einer Kleinen Anfrage (17/5887) von Bündnis 90/Die Grünen.

[6] www.tagesschau.sf.tv/Nachrichten/Archiv/2011/06/07/Schweiz/ Fifa-Schenkung-Wie-wenn-der-Schmuggler-den-Zoellner-sponsert

12. Juni 2011