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KOMMENTAR/114: Sport- und Spielestaat Katar auf Kriegskurs (SB)



Die Strategie des Emirats Katar, sich zwecks eigener Vorteils- und Überlebenssicherung den kulturellen, politischen und ökonomischen Mächten des Westens zu unterwerfen, zeitigt immer blutigere Formen der Vasallentreue. Als erstes arabisches Land hat sich Katar aktiv am Krieg der internationalen Militärallianz ("Odyssee Morgendämmerung") zur Durchsetzung der Flugverbotszone in Libyen beteiligt. Wie das US-Afrikakommando in Ramstein am 25. März mitteilte, überflog ein Jet der Luftwaffe Katars einen Teil des libyschen Luftraums - was sich aus dem Propagandamund harmloser anhört, als es militärische Tötungslogik tatsächlich gebieten mag. Denn die Durchsetzung des Flugverbotes vorgeblich mit dem Ziel, das Regime des libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi an Gewalttaten gegen Zivilisten zu hindern, eher aber geeignet, den Boden für ausgedehnte Militärhandlungen zu bereiten, geht mit massiven Raketenbeschüssen und Bombenabwürfen auf kriegswichtige Infrastruktureinrichtungen in den Städten des nordafrikanischen Landes einher, welche zwangsläufig auch Opfer unter der Zivilbevölkerung hervorrufen.

Katars Odyssee in den Schoß der Kriegswilligen, die unter dem Deckmantel von "freedom & democracy" ein Land angegriffen haben, in dem bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen, hat damit einen vorläufigen Höhepunkt erreicht. Bereits im Vorfeld des völkerrechtswidrigen Überfalls auf den Irak im März 2003 hatte sich das Emirat als Aufmarschgebiet der US-Armee empfohlen, die in dem Wüstenstaat seit 1998 ihr Hauptquartier für den Mittleren Osten unterhält. "Wir wollen für Amerika unentbehrlich sein", erklärte einst das katarische Außenministerium nach Angaben des Handelsblattes [1]. "Das verspricht uns Sicherheit, ohne dass wir dafür einen Rial ausgeben müssen." Wie das deutsche Wirtschaftsblatt damals mit unverhohlener Bewunderung schrieb, sei Scheich Hamad bin Khalifa, seit 1995 unumschränktes Staatsoberhaupt des Landes, "der reformfreudigste, mutigste und wohl auch gerissenste Herrscher auf der arabischen Halbinsel. Er stützt sein Regime auf eine bizarre Mischung aus Wohlfahrts- und Polizeistaat, hält die Bürger mit zahlreichen Vergünstigungen bei Laune."

Doch der Preis, den Katar für seinen auch politische Widersprüche vereinnahmenden Schlingerkurs zwischen der arabischen und westlichen Welt zahlt, um zu den Modernisierungsgewinnern nach Gnaden der führenden Hegemonialmächte zu gehören, ist hoch. Zwar leistet sich das Land mit dem Fernsehsender Al Dschasira ein relativ unabhängiges Medienunternehmen mit Sitz in Doha, das sich durch eine recht ausgewogene Berichterstattung auszeichnet, die weitgehend der Kontrolle durch die im Nahen und Mittleren Osten operierenden Kriegsparteien entzogen ist und auch Tabuthemen über den Äther bringt, die religiöse Fundamentalisten oder mit dem US-Imperium kollaborierende Regionalmächte wie Israel, Saudi-Arabien oder die Palästinensische Autonomiebehörde im Westjordanland auf die Palme bringt. Doch dafür mußte das Personal des Nachrichtensenders neben zahlreichen Morddrohungen auch zwei Angriffe auf Büros in Bagdad und Kabul durch US-Raketen über sich ergehen lassen. Zudem muß sich der Sender bei Kritik gegenüber dem eigenen Herrscherhaus Zurückhaltung auferlegen. Spätestens seit dem direkten Kriegseintritt Katars gilt indessen auch Al Dschasira als Propagandasender - vergleichbar mit deutschen Leitmedien, die der Kriegsbeteiligung der BRD beim Überfall auf Jugoslawien und den Irak propagandistischen Flankenschutz gewährten sowie aktuell die direkten und indirekten deutschen Militäreinsätze in Afghanistan und Libyen der Bevölkerung gegenüber verdaulich machen.

Zur Charmoffensive des mit dem drittgrößten Gasvorkommen der Welt gesegneten Golfstaates gehört nicht nur die Duldung eines US-Stützpunktes, der Kauf von westlichen Militärgütern (u.a. Leopard-2-Kampfpanzer aus Deutschland) in schwindelerregender Milliardenhöhe oder die Zulassung einer ständigen israelischen Handelsvertretung im eigenen Land, sondern auch eine für den arabischen Raum beispiellose Standortinitiative mittels Sportmarketing. Seit etwa Mitte der 1990er Jahre zieht Katar unter hohem finanziellem Aufwand nicht nur internationale Sportevents und Top-Athleten an Land, sondern auch zahlreiche Unternehmen, die für die prestigeträchtigen Veranstaltungen opulente Bauten aus dem Wüstenboden stampfen. Sportsponsoring zahlt sich eben aus. Mit ihren Millionen sollen der Emir von Katar sowie sein steinreicher Freund Mohamed Bin Hammam, Präsident des Asiatischen Fußballverbands AFC und FIFA-Exekutivmitglied, nicht nur den Weg Joseph Blatters an die Spitze des Internationalen Fußballverbandes (FIFA) unterstützt, sondern auch dessen siegreiche FIFA-Wahlkämpfe 1998 und 2002 finanziert haben, wie Deutschlandfunk [2] und FAZ [3] berichteten. Ein weiteres Topangebot konnte das FIFA-Exekutivkomitee ebenfalls nicht ausschlagen: 2022 soll in dem Zwergstaat erstmals eine Fußball-Weltmeisterschaft veranstaltet werden, obwohl am Persischen Golf in den heißen Sommermonaten Temperaturen von bis zu 50 Grad herrschen und Fußball alles andere als ein Volkssport ist. Um Gesundheitsgefahren für die Spieler zu reduzieren, würden alle Stadien und Trainingsplätze während der WM mit Klimaanlagen heruntergekühlt werden, versprach Katar - was weiteren aufwendigen Hochtechnologieeinsatz nötig macht, der insbesondere deutschen Unternehmen, die bei der Planung des Veranstaltungskonzepts, der Stadionbauten, der Infrastrukturmaßnahmen und den Kühlsystemen, die als "klimaneutrale Umwelttechnologien" deklariert werden, beteiligt sind, Abermillionen in die Kassen spült. Vom "Bauboom" sollen neben dem Architekturbüro Albert Speer & Partner auch Hochtief sowie die Deutsche Bahn und Siemens profitieren. Sogar das Berliner Establishment in Gestalt des Bundespräsidenten Christian Wulff wurde am 28. Februar bei den Machthabern in Katar vorstellig, um neue Aufträge für die deutsche Wirtschaft einzuwerben.

Daß der katarische Fußballverband QFA, der sich noch nie für eine WM-Endrunde qualifizieren konnte, gar keine international konkurrenzfähige Fußball-Nationalmannschaft hat, spielt dabei ebensowenig eine Rolle wie, daß Handball, Golf, Tennis, Leichtathletik, Motorsport, Radfahren oder Schwimmen, die ihre großen Wettbewerbe immer häufiger in dem mit Petrodollar winkenden Golfstaat austragen, etwas mit der Tradition und Lebenswelt der katarischen Bevölkerung zu tun haben. Um reiche Wintersport-Freaks zufriedenzustellen, wurde in dem Wüstenland sogar eine Skihalle namens "Snowdome" errichtet.

Der Kolonisierung und kulturellen Unterwerfung der "unterentwickelten Länder" unter die westliche Suprematie gingen schon immer die Händler, Missionare und Glücksritter mit großem Eifer voran. In modernen Zeiten sind es eben die profitorientierten Sportfunktionäre, die zur Eroberung der Märkte und Länder in den arabischen oder asiatischen Raum aufgebrochen sind. Während die kapitalistischen Volkswirtschaften in Europa von einer Krise in die andere stürzen und den Bevölkerungen immer brutalere Sparpakete aufs Auge drücken, so daß es in diesen Ländern auch zunehmend schwieriger wird, über Steuergelder finanzierte Luxussportevents zu rechtfertigen, gibt es in den wirtschaftlich aufstrebenden Regionen des Nahen oder Mittleren Ostens (oder Mittelamerikas - siehe die Fußball-WM- und Olympia-Vergabe 2014/2016 nach Brasilien), die meist auch über Bodenschätze und Energieressourcen verfügen, noch genügend zu holen.

Um sich als sicherer Ort für Kapitalanlagen und Investitionen aller Art zu empfehlen, zieht nun auch Katar mit der "Koalition der Willigen" in den Krieg. Ebenso liebdienerisch und anpassungsbereit hatte sich das erdöl- und erdgasreiche Libyen gegenüber westlichem Hegemoniestreben gezeigt. Revolutionsführer Gaddafi verzichtete auf den eigenständigen Ausbau der Atomenergie, trat dem Atomwaffensperrvertrag bei, schwor chemischen, biologischen oder atomaren Waffen ab und schloß mit westlichen Staaten umfassende Wirtschaftsabkommen. Ganz im Sinne und Auftrag Europas verbarrikadierte er zudem seine Grenzen, damit sich keine Flüchtlinge über den "Schutzwall" ins gelobte Land aufmachten. Sogar am sogenannten Antiterrorkampf beteiligte er sich. Nun sucht auch der Emir von Katar, der seine Ausbildung an der britischen Militärakademie von Sandhurst absolvierte, sein Heil in vorauseilender Bündnistreue mit der Kriegsallianz, wohl in der Hoffnung, daß sich die großen Räuber mit der Libyen-Beute begnügen werden - vorerst zumindest. Daß Katar auch als erstes arabisches Land den von den Aufständischen gegründeten Nationalrat als legitimen Repräsentanten Libyens anerkannt hat, macht deutlich, wie groß die Angst des Zwergenstaates sein muß, selbst ins Fadenkreuz der Weltordnungsmächte zu geraten.

Anmerkungen:

[1] www.handelsblatt.com. Katar. "Wie wird man sie wieder los?". Von Pierre Heumann. 26.11.2002

[2] www.dradio.de. Doppelpass der FIFA-Herrscher mit dem arabischen Geldadel. Von Jens Weinreich. 08.12.2010

[3] www.faz.net. Sportnation Qatar. Geben und nehmen. Von Michael Ashelm. 04.12.2010

29. März 2011