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KOMMENTAR/067: Beschossen wie Hunde, bestraft wie Deserteure - Fußballkrieg gegen Togo (SB)



Die unpopuläre Entscheidung der afrikanischen Fußball-Föderation (CAF), die Nationalelf von Togo für die nächsten beiden Kontinentalmeisterschaften zu sperren, weil sie vor dem Afrika-Cup nach einem tödlichen Attentat auf die eigene Mannschaft auf Anordnung der Regierung abreiste, führt auf besonders drastische Weise vor, worum es im organisierten Sport die ganze Zeit geht: Erst die Ordnung, dann der Mensch. Wobei trefflich darüber zu streiten wäre, ob im Hochleistungssport wirklich Menschen gegeneinander antreten und nicht vielmehr perfekt ausgesteuerte Körpermaschinen, die nach Regeln, Maßgaben und Prinzipien funktionieren, wie sie von Ökonomie, Politik und Wissenschaft vorgegeben werden.

Was die Ordnung betrifft, so kann sich der afrikanische Fußballverband voll auf das Richtlinien-System des Fußball-Weltverbandes FIFA stützen. Um seine milliardenschwere Geldmaschine vor politischen Einflußnahmen der unerwünschten Art zu schützen, sanktioniert die FIFA jeden Versuch von Regierungen, sich in das Alltagsgeschäft der nationalen Sportverbände einzumischen. Gemäß Artikel 14 der FIFA-Satzung folgt auf die Einflußnahme der Politik die Suspendierung des jeweiligen Landesverbandes mit allen Mannschaften.

So auch im Fall von Togo. Weil Premierminister Gilbert Houngbo nach dem blutigen Rebellen-Überfall von Cabinda/Angola, bei dem aus dem togoische Troß der Assistenztrainer und Pressesprecher des Nationalteams getötet sowie neun weitere Menschen, darunter zwei Spieler, von den Maschinengewehrsalven zum Teil schwer verletzt wurden, nicht nur eine dreitägige Staatstrauer, sondern auch die Rückkehr der sichtlich mitgenommenen Fußballmannschaft angeordnet hatte, folgte die Knute des Kontinentalverbandes auf dem Fuße: Togo darf nicht an den nächsten beiden Turnieren um den Afrika-Cup teilnehmen und muß zudem 50.000 Dollar Geldstrafe bezahlen. Verständlich, daß diese Maßregelung Empörung und Wut bei den Trauernden auslöste, die damit doppelt gestraft wurden: erst durch die Seperatisten der "Befreiungsfront der Exklave Cabinda" (FLEC), die in der ölreichsten Region Angolas einen Unabhängigkeitskrieg führen, dann durch die afrikanische Föderation, die Togos Nationalteam wegen Regierungseinmischung hart abstrafte. Der Kontinentalverband hatte zunächst sogar versucht, den blutigen Überfall auf die Mannschaftsbusse mit der Verlautbarung, ein geplatzter Reifen habe die Spieler verängstigt, herunterzuspielen. Als das nicht fruchtete, ging er dazu über, das togoische Team, das im nahen Kongo trainierte, zu beschuldigen, nicht mit dem Flugzeug geflogen zu sein - obwohl davon nie die Rede gewesen war.

Daß die Spieler Togos sehr wohl Anlaß hatten, auch nach dem Anschlag noch um ihr Leben zu fürchten, bezeugt ein Bekennerschreiben der FLEC, worin diese weitere Anschläge, auch auf das Kontinentalturnier, angekündigt hatte. Die CAF sei "seit langem gewarnt", zitiert die junge Welt (11.1.10) aus dem Bekennerschreiben. "Diese Operation war nur der Anfang einer Serie von zielgerichteten Aktionen in der gesamten Region Cabinda." Nach einem taz-Bericht vom Vortag äußerte FLEC-Generalsekretär Rodrigues Mingas sein Bedauern, daß es ausgerechnet die Togoer getroffen habe. Es hätte genausogut der Bus der Ivorer oder von sonst wem sein können. "Wir sind im Krieg, da ist alles erlaubt." Die Angriffe würden weitergehen, bis Angola Verhandlungen unter UN-Aufsicht aufnehme.

Der Überzeugungsarbeit der CAF-Oberen zum Trotz zog Togo, dessen Spieler selbst hin- und hergerissen waren und die Frage, Abreise ja oder nein, kontrovers diskutierten, sein Nationalteam zurück. Während es sich der Deutsche Fußballbund schon einmal leisten kann, ein fest eingeplantes Länderspiel seiner Nationalelf gegen Chile kurzfristig abzusagen, weil den trauernden Kickern der Freitod ihres Torwarts Robert Enke noch zu nahe war, scheinen menschliche Regungen wie Mitgefühl, Betroffenheit und Trauer für die Spieler aus Westafrika nicht zu gelten. Sie sollen auf dem Platz einfach weiterfunktionieren, selbst wenn sie Stunden zuvor noch mitansehen mußten, wie die Kugeln der Angreifer in die Unterleiber, Waden und Nieren ihrer Freunde und Kollegen drangen. "Wir wurden beschossen wie Hunde", berichtete Spieler Thomas Dossevi. "Wir schrien alle, riefen nach unseren Müttern, heulten am Telefon, wir dachten, unsere letzte Stunde hätte geschlagen", sagte Mannschaftskapitän Emmanuel Adebayor im BBC. Unter Tränen erklärte Afrikas Fußballer des Jahres 2008 seinen Abreisewunsch damit, daß er gesehen hatte, "wie ein Mitspieler mit einer Kugel im Körper schrie, dann bewußtlos wurde und das alles".

Tatsächlich steht der "Krieg ohne Schüsse", wie der englische Schriftsteller George Orwell den Spitzensport einst zu definieren pflegte, in Wechselbeziehung zum Sozialkrieg in der Gesellschaft. Fußballer sind nicht nur auf dem Spielfeld Material von Sportindustrie und -wissenschaft, sondern auch Soldaten des gesellschaftlichen Hegemonialprinzips, unter keinen Umständen politischen Kräften oder kriegerischen Konflikten zu weichen, die die vorherrschende Ordnung in Frage stellen könnten. Hätte die Afrikanische Föderation nicht nur dem Drängen Togos, sondern auch anderer Afrika-Cup-Teilnehmer nach einer Beendigung des Turniers nachgegeben, hätten nicht nur die CAF, für die der Cup die bedeutendste finanzielle Einnahmequelle darstellt, sowie Angola einen gewaltigen Prestigeverlust erlitten, sondern der gesamte Kontinent. Schließlich galt der Afrika-Cup, nachzulesen in deutschen Zeitungen, als "Generalprobe für die Fußballweltmeisterschaft in Südafrika" im kommenden Juni, der ersten auf dem afrikanischen Kontinent überhaupt. Die Bestrafung Togos und die Mißachtung individuellen Leids dient vor dem Hintergrund, daß vor allem die westlichen Industriestaaten um die Sicherheit der WM-Spiele fürchten, auch dem Zweck, den Krieg an dieser Front zu gewinnen, die Reihen fest geschlossen zu halten und jedes Ausscheren zu unterbinden. Wer als Fußballspieler Fahnenflucht begeht und angesichts der traumatischen Umstände nicht mehr bereit ist, auf dem sportlichen Schlachtfeld seine Arbeit zu verrichten, wird von den Sportverbandsoffizieren unerbittlich zur Rechenschaft gezogen. Abtrünnigkeit darf keine Schule machen, das gilt spätestens seit den tödlichen Anschlägen von München 1972, als IOC-Präsident Brundage bei der Trauerfeier die Losung ausgab, "The games must go on!". Die weltberühmt gewordene Formel faßt das Credo der Sport- und Politikwelt zusammen, daß man erpresserischen Terrorakten nicht nachgeben dürfe, da man sie sonst in einen Sieg fanatischer Terroristen verwandelte.

Die durchkapitalisierte Megamaschine des Sports hat inzwischen aber wegen ihres kommerziellen Overkills und des totalitären Anti-Doping-Kampfes selbst arge Legitimationsprobleme. Hieß es früher, als noch ein idealistisches Bild vom Sport auf der einen Seite und Politik auf der anderen Seite vorherrschte, "Sport im Würgegriff der Politik", so müßte es heute heißen, "Sport im Würgegriff der Sicherheitspolitik". Vor dem Hintergrund der Terror- und Weltordnungskriege heutiger Prägung werden die "friedlichen Oasen" des Sports zunehmend selbstverständlicher zu polizeilichen und militärischen Aufmarschgebieten mit bleibenden Konsequenzen für die sicherheitsstaatliche Verfaßtheit der Ausrichterländer umfunktioniert. Wurden die Olympischen Spiele 2004 in Athen noch als "Spiele im Hochsicherheitstrakt" verspottet, so kann es heute keine Sicherheitsmaßnahme zu wenig geben, um die Sportspektakel vor potentiellen Anschlägen zu schützen. "Ich war nie ein großer Freund einer WM in Südafrika oder überhaupt auf dem afrikanischen Kontinent, solange Sicherheitsaspekte nicht zu hundert Prozent geklärt sind", heizte Bayerns neuer Präsident Uli Hoeneß unlängst die Diskussion an, nachdem er die Vergabe der WM an Südafrika als "eine der größten Fehlentscheidungen" von FIFA-Chef Joseph Blatter gebrandmarkt hatte. Zwar hagelte es sogleich Kritik, daß sich Vergleiche zwischen Angola und Südafrika verböten, doch der Zweck war erfüllt, die Sicherheitsfrage hypertrophiert. Der Anschlag auf Togos Fußballspieler und die exorbitante Kriminalitätsrate in Südafrika, die man auch als Krieg zwischen Arm und Reich bezeichnen könnte, führt dazu, daß der elitäre Sport einmal mehr zum Vehikel herrschaftlicher Interessensparteien wird, die inmitten des Elends und umsäumt von schwerbewaffneten Ordnungskräften einen Fußballzirkus des Friedens inszenieren wollen. Nicht die Sorge um das Wohl der gebeutelten Bevölkerung steht dabei im Vordergrund, sondern die Frage, ob die sportlichen Leistungseliten der Wohlstandsländer, ihre Schlachtenbummler und Berichterstatter mit heiler Haut vom Kap der Guten Hoffnung davonkommen.

9. Februar 2010