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KOMMENTAR/051: Obama-Feeling - bewaffnete US-Kräfte fallen in Kopenhagen ein (SB)



Die Olympischen Sommerspiele werden 2016 in Rio de Janeiro und damit erstmals in Südamerika ausgetragen. Das entschied vergangene Woche die 121. Vollversammlung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) in Kopenhagen. Die brasilianische Metropole setzte sich überraschend deutlich gegen die Mitbewerber Madrid, Tokio und Chicago durch.

"Als Präsident Rogge das Ausscheiden Chicagos in der ersten Runde verkündete, war sein Gesicht versteinert und grau. Damit hatte auch der oberste Olympier nicht gerechnet", heißt es in der FAZ (5.10.09, online). "Sicht- und hörbar" (Deutschlandfunk) sei Rogge die Peinlichkeit gewesen, die "Blamage der US-Bewerbung", die auch eine "Brüskierung" Barack Obamas, des mächtigsten Staatsmannes der Welt, sei, zu verkünden. Lediglich 18 der 94 IOC-Mitglieder stimmten für die Heimatstadt von Obama, der zuvor in einer pathetischen Rede ("Ich bitte Sie dringend, Chicago zu wählen. Ich bitte Sie dringend, Amerika zu wählen.") für sein Land geworben hatte.

Man sollte sich dieser Stunden erinnern, wenn die Medien rück- und vorwärtsgewandt Menschenrechtsverletzungen von Peking (Ausrichter der vergangenen Olympiade) und Sotschi (Gastgeber der Winterspiele 2014) anprangern werden. Die hiesige Berichterstattung lief an der Stelle zur Hochform auf, wo sie die heiße Luft, mit der sie Barack Obama zum "Charismatiker" und "Hoffnungsträger" aufgeblasen hatte, wieder etwas ablassen mußte, ohne sich politisch den Mund dabei zu verbrennen. Statt opportunistischem Jubel setzte es opportunistische Häme für Obama, der eine "schallende Ohrfeige" von den IOC-Funktionären erhalten habe, die "quer über den ganzen Atlantik" (FAZ) zu hören gewesen sei. "Wie schon Rogge zeigten sich später fast alle IOC-Mitglieder selbst schockiert über den Affront gegenüber dem US-Bewerber", berichtete Die Welt (3.9.09, online) in gewohnt serviler Sentimentalität.

Hinweise auf das menschenrechtswidrige US-Folterlager Guantánamo, das entgegen Wahlversprechen von Obama nun doch nicht innerhalb der vorgegebenen Fristen geschlossen wird, oder auf die gejagten, verstümmelten und umgebrachten Menschen, die der US-Kriegsführung in Ländern wie Irak, Afghanistan und Pakistan zum Opfer fallen, oder auf die Blutspuren, die inzwischen auch quer durch Europa verlaufen, da europäische Repressionsbehörden gemeinsame Sache mit der CIA bei außergerichtlichen Verschleppungen und der Folterung von sogenannten Terrorverdächtigen machten (oder noch machen), standen nicht auf den Stichwortzetteln der Medien, als Barack Obama in der von Abfangjägern begleiteten "Air Force One" in die dänische Hauptstadt einschwebte. Natürlich kam auch nicht die jüngst veröffentlichte Entscheidung der Obama-Administration zur Sprache, wonach Washington an den völkerrechtswidrigen Verschleppungen von Verdächtigen festhalten wolle, um sie im Ausland, etwa im Horrorgefängnis des US-Militärs auf dem afghanischen Luftwaffenstützpunkt Bagram, einzukerkern - angeblich ohne exzessive eigene Folter.

Nicht einmal der Merkpunkt "Gesundheitsreform", wegen der es zunächst hieß, Obama sei zu Hause "definitiv" unabkömmlich und müßte seine Gattin Michelle allein nach Kopenhagen schicken, wurde aufgeklärt. Wie das Deutsche Ärzteblatt bereits am 30. September in seiner Online-Ausgabe berichtete, ist eine staatliche Krankenversicherung für Geringverdiener im Finanzausschuß des US-Senats gescheitert. Damit werden die rund 47 Millionen bislang nicht abgesicherten US-Bürgerinnen und -bürger wahrscheinlich auch weiterhin keinen Zugang zu einer entsprechenden Krankenversicherung erhalten.

Daß sich Kopenhagen durch den Last-Minute-Besuch des "smarten Afroamerikaners" flugs in eine Garnisonsstadt unter US-amerikanischer Besatzung verwandelte, ließ sich allerdings nicht verbergen. "Seine olympische Dienstreise löst eine der größten Sicherheitsoperationen in Kopenhagens Geschichte aus. Mehr als 3000 Polizisten sind aufgeboten, dazu mehr als 250 bewaffnete Kräfte aus den USA", berichtete die Lausitzer Rundschau (2.10.09, online). Wie "friedlich" muß ein Politiker wie Obama sein, daß er seinen Auftritt im Kreise der Arrivierten und Adligen mit einer bewaffneten Privatarmee und eigenen Panzerautos absichern muß - also Maßnahmen, die weit über das hinausgehen, was ohnehin an verstärkten Sicherheitsvorkehrungen für die versammelten Staats- und Regierungschefs aufgeboten wurde?

Das Wahlvolk jedenfalls hatte schon in aller Frühe zu spüren bekommen, was es heißt, wenn sich der Commander-in-chief per Blitzvisite die Ehre gibt. Weil Kopenhagen wegen der Vielzahl von Absperrungen (die Kanaldeckel waren schon vorher zugeschweißt worden) und der zusätzlichen Sicherheitsvorkehrungen eine stundenlange Lähmung bevorstand, mußten die Herrschaften früher als geplant ihre warmen Hotelbetten verlassen, um nicht im Sicherheitsgürtel hängenzubleiben. Die "überbordenden Sicherheitsmaßnahmen" für Obamas Blitzbesuch in Dänemark hätten einige seiner Kollegen verstimmt, vermutete das französische IOC-Mitglied Guy Drut nach dpa-Angaben. Ob das den Ausschlag gab?

Diese Vermutung ist so richtig und falsch wie die Behauptung, Brasilien habe bei seinem fünften Anlauf, Olympia-Ausrichter zu werden, damit die entscheidenden Stimmen gewonnen, daß es glaubhaft darstellen konnte, die Zeit sei nun reif dafür, den neben Afrika einzigen weißen Fleck auf der olympischen Kontinentalkarte zu tilgen. Schon eher dürfte das IOC überzeugt haben, daß die "fünftstärkste Wirtschaftsmacht der Welt", wie es in Rios Präsentation hieß, mit 14 Milliarden Dollar das größte Investitionsvolumen aller Bewerbungen vorhält. Als einziger Kandidat jemals hatte Brasilien zudem einen Bankier, nämlich den Chef der Staatsbank, in der offiziellen Olympiadelegation akkreditiert, der dann auch mit den tollsten Wirtschaftszahlen renommierte. Und last but not least dürfte das IOC überzeugt haben, daß Brasilien zusicherte, Sicherheitsprobleme in Rio de Janeiro mit einem neuen Polizeisystem anzugehen, für das fünf Milliarden Euro (!) bereitstünden.

Daß es sich bei all den genannten Zahlen und Angaben um wohlfeile öffentliche Trugbilder handelt, um riesige Wirtschaftsprojekte, die sich später wie durch Zauberhand verteuern, sowie innovative Herrschaftstechniken zu legitimieren, hat die Vergangenheit nur allzuoft gelehrt, ohne daß das auf Sport und Unterhaltung abonnierte Konsumentenvolk aus seinem emotionalen Taumel erwacht wäre. Entsprechend wurde in der gesamten Olympia-Hofberichterstattung ausgeblendet, daß Rio de Janeiro bereits im April damit begonnen hatte, eine drei Meter hohe, eisenarmierte Betonmauer, die etwa 40 Favelas in einer Länge von über elf Kilometern teilweise einsäumen soll, durch die hierzulande vor allem als "Karnevals-Stadt" mit schönem Strand und Sambafeeling wahrgenommene Elendsmetropole zu ziehen. Ökoideologisch formvollendet wird dieser weitere Schritt zur Ghettoisierung der Slums, der die Viertel der Armen noch effektiver von denen der Reichen trennen und zudem den Blicken der (Olympia-)Touristen entziehen soll, offiziell damit, daß man verhindern will, daß sich die Slums weiter ausbreiten und den angrenzenden Regenwald zerstören. Bei wem die "Öko-Mauer" dennoch Zweifel weckt, der wird mit dem nachgeschobenen Argument zur Ordnung gerufen, daß man mit der "Schutzmauer" natürlich auch Kriminellen, vor allem aber den Drogen-Banden, die die Wälder als Fluchtraum und Aufmarschgebiet für die Invasion benachbarter Favelas nutzen, in denen sie den Drogenhandel übernehmen wollen, das Handwerk erschweren möchte.

Die sozialen und ökonomischen Zwangs- und Notlagen der mehr als eineinhalb Millionen Menschen, die in der Stadt am Zuckerhut in 900 Favelas hausen, waren bei der Präsentation in Kopenhagen ebensowenig ein Thema wie die rasante Zunahme von Armut, Obdachlosigkeit und Hunger in den Vereinigten Staaten. Dies als Täuschung der IOC-Delegierten zu werten, unterstellt, es ginge beim Präsentationswettbewerb der Kandidatenstädte um etwas anderes als um eine perfekt inszenierte Kulissenschieberei, die nicht von Anfang an durch die Akzeptanz und Teilhaberschaft der (sport)politischen Eliten und ihrer Medienagenten getragen wäre.

11. Oktober 2009