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KOMMENTAR/039: "Hall of Fame" - Heldenwaschmaschine an der Heimatfront (SB)



Um der Bevölkerung die Umwandlung der Bundeswehr von einer Abschreckungs- und Verteidigungsarmee zur modernen Interventions- und Angriffstruppe mit globalem Auftrag verdaulich und die Militarisierung der Gesellschaft akzeptabel zu machen, bedarf es an der Heimatfront nicht unerheblicher Mühen. Damit Kriege am Hindukusch oder auf indirektem Weg über den Flughafen Leipzig/Halle, von wo Unmengen an Kriegsmaterial sowie Hunderttausende US-Soldaten u.a. in die Kriegsgebiete Irak und Afghanistan geflogen wurden und werden, geführt werden können, ohne daß sich massiver Widerstand in der Bevölkerung regt, müssen gesetzliche, politische und kulturelle Vorbehalte überwunden, neue Sprachregelungen durchgesetzt und latente Akzeptanzhaltungen mit Hilfe zivilgesellschaftlicher Mittel geweckt und verstärkt werden. Kurzum: Sozialtechniken zur Ankurbelung von Patriotismus, Heldenverehrung sowie nationaler Identifikationen und Gedenkkulturen liegen wieder voll im Trend und sind wichtige Voraussetzungen, um beispielsweise der steigenden Zahl von psychisch traumatisierten, körperlich versehrten oder getöteten Bundeswehrsoldaten gesellschaftlichen "Sinn" zu verleihen.

Der Bau eines Ehrenmals in Berlin für gefallene Bundeswehrsoldaten bei Auslandseinsätzen befindet sich kurz vor der Vollendung, die Wiedereinführung des Eisernen Kreuzes als Tapferkeitsauszeichnung der Bundeswehr für die Auslandseinsätze war bereits ernsthaft diskutiert worden. Im März vergangenen Jahres billigte Bundespräsident Horst Köhler (CDU) den Vorschlag eines Ordens für "außergewöhnlich tapfere Taten" durch den Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU). An eine Wiederbelebung des Eisernen Kreuzes sei aber nicht gedacht, vielmehr an eine Erweiterung des vorhandenen Ehrenzeichens der Bundeswehr, hieß es später beschwichtigend von höchster Stelle, nachdem zuvor der Präsident des Reservistenverbandes, Ernst-Reinhard Beck (CDU), die Verwendung des Eisernen Kreuzes, ungeachtet der Verbrechen, die in Bezug auf das nationalsozialistische Regime damit verbunden sind, gerechtfertigt hatte. Am 5. Juli wurden erstmals vier Soldaten mit dem neuen "Ehrenkreuz der Bundeswehr für Tapferkeit" ausgezeichnet. Der Wehrbeauftragte des Bundestags, Reinhold Robbe, nannte die Auszeichnung "positiven Patriotismus", der kein Heldenkult sei.

Daß Menschen vor soldatischen Ehrenmalen Schlange stehen, (Kriegs)Helden huldigen, vor staatlichen Hoheitszeichen Haltung annehmen, Orden ehrfürchtig bestaunen oder bei Hymnen mit stolzgeschwellter Brust national-feierliche Gefühle entwickeln, muß ihnen frühzeitig beigebracht werden. Das geschieht auf unterschiedlichsten Wegen, auch der Sport mit seinen Urkunden, Medaillen, Orden, Pokalen, Ikonen, Idolen, Glorifikationen und feierlichen Ritualen bietet dafür idealen Erziehungsunterricht und erzeugt tiefe Affinitäten.

Man mag es "Zufall" oder schlicht "Zeitgeist" nennen, fest steht, daß 2006 nicht nur das Verteidigungsministerium mit dem Bundespräsidialamt darüber zu beraten begann, wie man einen Orden für besondere Tapferkeit von Soldaten schaffen könnte, sondern auf Initiative des langjährigen Industriemanagers und Chefs der Deutschen Sporthilfe Hans Wilhelm Gäb auch die "Hall of Fame des deutschen Sports" ins Leben gerufen wurde. Vergangenes Jahr wurden dann anläßlich der Gründungsfeier in Berlin 40 Sportgrößen in die Ruhmeshalle aufgenommen. Die damalige Jury hatte es sich gerade noch verkneifen können, ausgemachte Parteigänger des nationalsozialistischen Terrorkriegs wie Carl Diem oder Karl Ritter von Halt auf das Ruhmesschild zu heben. Diem, Begründer der renommierten Deutschen Sporthochschule in Berlin und später in Köln, war zwar kein Mitglied der NSDAP, hatte aber 1940, nachdem die Wehrmacht Frankreich in einem Blitzkrieg überrannte, den Sport unverhohlen "als Büchsenspanner des Krieges" gefeiert und noch 1945 Jugendliche zum "finalen Opfergang für Führer und Vaterland" aufgerufen. NSDAP- und SA-Mitglied Ritter von Halt, der u.a. als Vorstandsmitglied der Deutschen Bank die SS großzügig mit Geldspenden bedachte, bekleidete als Sportfunktionär des Deutschen Reichs verschiedene nationale und internationale Ämter, nach dem 2. Weltkrieg stand er sogar jahrelang an der Spitze des westdeutschen NOK.

Nichtsdestotrotz hatte es sich die Jury, der prominente Mitglieder aus Staat und Kapital wie Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU), Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann oder der im Zuge der "Schmiergeldaffäre" zurückgetretene Siemens-Vorsitzende Heinrich von Pierer angehören, nicht nehmen lassen, posthum fünf Sportler - Dressurreiter und Sporthilfe-Vorsitzender Josef Neckermann, Rudolf Harbig (Leichtathletik), Sepp Herberger (Fußball), NOK-Präsident Willi Daume und Gustav Kilian (Rad), die Mitglieder der NSDAP und somit Repräsentanten des Hitler-Regimes gewesen waren - in die "Hall of Fame" aufzunehmen.

Einer, der sich naturgemäß nicht mehr gegen seine Vereinnahmung für den kapitalistischen Heldenzirkus wehren konnte, war der Ringer Werner Seelenbinder. Der leidenschaftliche Kommunist, Arbeitersport-Idol der 1920er und 30er Jahre, der nichts mit dem bürgerlichen Sport und den von ihm repräsentierten Werten am Hut hatte, starb 1944 unter dem Fallbeil der Nazis und wird sich wohl jetzt dafür im Grab umdrehen, zusammen mit NSDAP-Mitgliedern an die moderne Heldenwand des Internets projiziert zu werden. Als lebender Alibiathlet zur vermeintlichen Würdigung des DDR-Sports, der dem BRD-Sport bekanntlich um etliche Erfolge voraus war, wurde Schwimmer Roland Matthes nominiert - alle anderen 39 Nominierten waren westdeutsche Athleten!

Daß später die erfolgreiche ostdeutsche Kanutin Birgit Fischer in die aktuell 44 Namen zählende "Hall of Fame" aufgenommen wurde und weitere Nominierungen von "Ossis" noch in diesem Jahr geplant sind (von den 36 Namensvorschlägen sind 12 ehemalige DDR-Athleten), u.a. die Aufnahme von Radsportlegende Gustav-Adolf "Täve" Schur (PDS), mag hinreichen, die Kritiker wieder versöhnlich zu stimmen - schließlich haben die "Ossis" nun ebenfalls etwas, worauf sie stolz sein können, alles war ja auch nicht schlecht im "Stasi- und Dopingstaat" DDR ...

Eins steht jedenfalls fest: Im Zuge des um sich greifenden Geschichtsrevisionismus und mit Blick auf gegenwärtige sowie zukünftige Kriege fällt es den deutschen Funktionseliten offenbar viel leichter, Vorbehalte gegenüber "doping- und stasibelasteten" Sportlern und Funktionären der DDR geltend zu machen, als den nationalsozialistischen Parteigängern, natürlich auch im Sport, die Ehrenbezeugung zu verweigern.

Der Anstoß, den die Konzernpresse daran nahm, daß in der "Hall of Fame" Parteibuch-Nazis zu Symbolfiguren des Sports aufsteigen, war allenfalls pflichtgemäß und tat dem Treiben keinen Abbruch. Wer wollte es auch wagen, sich mit der geballten Macht des sportpolitischen Establishments, das sich als Unterstützer und Wahlverein in der Ruhmeshalle tummelt, anzulegen?

Wenn schon Reservisten-Chef Ernst-Reinhard Beck den Menschen weismachen kann, daß es sich beim Eisernen Kreuz um eine Auszeichnung "für besondere Tapferkeit, besonderen Mut, besondere Einzelleistungen" (Die Welt, 5.3.08) handele, dann sollte es den sportpolitischen Statthaltern kapitalistischer Produktion und Reproduktion doch ein leichtes sein, die Athleten auf dem untersten Nenner des Konsenses als "Persönlichkeiten" zu verkaufen, "die durch ihren Erfolg im Wettkampf und durch ihren Einsatz für die Ideen des Sports Geschichte geschrieben haben".

Wohlgemerkt, hier soll nicht gegen die fraglos respektablen Leistungen der sportlichen Protagonisten polemisiert, sondern das Augenmerk auf ihre politische Instrumentalisierung gelegt werden. Die Ikonisierung von Mitläufern und Profiteuren nationalsozialistischer Machtergreifung im Sport kreuzt sich nicht von ungefähr mit Kampagnen, die den neoliberalen Strukturwandel sowie die nationalistische Restauration der Gesellschaft mit Hilfe von Verdummungsfeldzügen wie "Du bist Deutschland" oder "positivem Patriotismus" (siehe Fußball-WM 2006) betreiben. Sport war zu allen Zeiten und unter allen Macht- und Herrschaftsverhältnissen ein Mittel zur Massenmobilisierung und -indoktrination. Daß zu den Vorschlaggebern, wer alles einen Platz in der "Hall of Fame des deutschen Sports" bekommen soll, nicht nur Mitglieder der Stiftung Deutsche Sporthilfe und des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) gehören, sondern auch des Verbands Deutscher Sportjournalisten (VDS), spricht Bände, wie perfekt Medien mit Sport, Wirtschaft und Politik bei der Erzeugung eines "kollektiven Gedächtnisses" harmonieren. Daß Adidas, der zweitgrößte Sportartikel-Konzern der Welt, die Ruhmeshalle maßgeblich sponsert, sei nur nebenbei erwähnt. Hier reichen sich Marken-PR und Geschichts-Branding auf perfekte Weise die Hände.

Daß die Ruhmeshalle des deutschen Sports nach amerikanischem Vorbild "Hall of Fame" genannt wird, zeigt zumindest, daß man hierzulande in puncto Verehrung von Sport- und Kriegshelden noch einiges nachzuholen hat. Mögen die Verletzungs- und Invalidenzahlen des Leistungs- und Spitzensports denen der USA prozentual in etwa gleichen, so hat Deutschland bei den erst jüngst wieder verliehenen Tapferkeitsorden an seine Soldaten sowie bei der Leichenzählerei noch einigen Nachholbedarf. Während das "Land der Patrioten", das seine Kriegsbereitschaft mit einer schier ungeheuerlichen Symbiose aus sportlich-ziviler und militärischer Helden- und Gedenkstättenkultur wachhält, rund 740 während des Afghanistankrieges und rund 4.300 während des Irakkrieges gefallene Soldaten zählt, stehen in Deutschland seit 1990 bislang "nur" 85 tote Soldaten bei Auslandseinsätzen zu Buche, davon 35 in Afghanistan.

Die "Hall of Fame des deutschen Sports" stellt ein Instrument der Herrschenden dar, die Gesellschaft auf eine altneue Heldenverehrung einzustimmen, die sich von begründeten Vorbehalten gegenüber Nazi-Parteigängern einerseits und der Militarisierung der Gesellschaft andererseits auf sportlich-lockere Art zu befreien trachtet. Sinn und Zweck dieser Einrichtung ist es eben nicht, sich kritisch mit der politischen Hin- und Herkunft von Sportlerbiographien oder der instrumentalen Rolle des Leistungs- und Spitzensports in der kapitalistischen Gesellschaft auseinanderzusetzen, was jede Form der Glorifizierung von vornherein verbieten würde, sondern die Widersprüche in der Ruhmeshalle zu begraben. Ebenso wie im Sport ein funktionalistisches Bild von seinen Leistungseliten vorherrscht, um so die Athleten als apolitische Helden ihrer Passion oder Profession feiern zu können, versucht die Bundeswehr, ihre Soldaten auf simple Auftragnehmer oder Befehlsempfänger, die doch nur einen guten Job am Hindukusch machen wollen, zu reduzieren. "Sie sind ständig bereit, zur Erfüllung ihres Auftrags Gesundheit und Leben zu riskieren", begründete Reservisten-Chef Ernst-Reinhard Beck, warum er sich für einen neuen Tapferkeitsorden für Bundeswehr-Soldaten einsetzte.

Fragt sich nur, wessen Leben und Gesundheit! Infolge des Nato-Angriffs unter deutscher Kriegsbeteiligung 1999 auf Jugoslawien, des seit 2001 in Afghanistan wütenden Krieges unter Bundeswehrbeteiligung sowie logistischer Unterstützung beim völkerrechtswidrigen Irak-Krieg starben und sterben unzählige Menschen in fremden Ländern, denen die hiesigen Blockflötenparteien sicherlich kein Ehrenmal setzen werden. Das verdeutlicht den Verblendungscharakter jedweder Art von Ruhmeshallen, in denen stets die Sieger des vorherrschenden Systems auf den Leibern all der Verlierer, Vergessenen und Verstoßenen thronen, gleich ob im Sport oder Krieg.

19. Juli 2009