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KOMMENTAR/027: WADA-Code 2009 - Knechtschaftsdienste von Sabine Spitz (SB)



Man könnte die Uhr danach stellen: Kaum haben belgische Sportler, die Klage gegen die im neuen WADA-Code 2009 verankerte "Whereabout-Regel" führen, Unterstützung von der europäischen Politik signalisiert bekommen, wonach (laut Insiderinformationen gegenüber Reuters) die 27köpfige Datenschutzgruppe der Europäischen Kommission die umstrittene Ein-Stunden-Regelung (*) in vielerlei Aspekten als Verstoß gegen "EU-Datenschutzbestimmungen, auf Privatsphäre und Freiheit" bewertet, da machen die den repressiven Anti-Doping-Kampf unterstützenden Medien mobil und versuchen, den möglichen Erfolg der Sportler (ein genauer EU-Bericht steht noch aus) in sein Gegenteil zu verkehren. "Die Welt-Anti-Doping-Agentur müßte das Regelwerk ändern, was einen herben Rückschlag für den Anti-Doping-Kampf bedeuten würde. Die Schlupflöcher für Doper würden deutlich größer", läutete der Deutschlandfunk bereits im vorhinein die Alarmglocken.

Den Ausschlag für das sich anbahnende Ende der umstrittenen "Whereabout-Regeln" in Europa und damit wohl auch weltweit dürfte allerdings weniger auf die Sportlerproteste zurückgehen, die im Medienmainstream kaum eine Rolle spielen, als vielmehr auf die Interventionen der mächtigen Fußball-Dachverbände Fifa und Uefa. "Die führenden Organe von Fifa und Uefa lehnen die Haltung der Welt- Antidoping-Agentur (Wada) zur Meldepflicht und speziell zur genauen Nennung der Aufenthaltsorte von Mannschaftssportlern ab", hatten Europäische Fußball-Union und Weltverband schon im März klargestellt. Aufgrund der "fundamentalen Unterschiede" zwischen einem Einzelsportler, der allein trainiert und an einer beschränkten Anzahl Sportwettkämpfe teilnimmt, und einem Mannschaftssportler, der sich sechs Tage pro Woche im Stadion aufhält und damit einfach aufzufinden ist, forderten sie eine kollektive Meldepflicht, die sich auf die Mannschaft und das Stadiongelände bezieht. Für Spieler, die eine Sperre verbüßen oder längere Zeit verletzt sind, ist eine individuelle Meldepflicht ausnahmsweise zulässig, da diese Spieler nicht zwingend am täglichen Klubleben teilnehmen. Während der Saisonpause sollten Fußballer in ihrer "kurzen Urlaubsphase" grundsätzlich nicht den Meldeauflagen unterliegen. Nach einem kürzlichen Treffen mit der WADA, die auch unter dem Druck der EU-Entscheidungen steht, ist es Fifa und Uefa gelungen, ihren "Sonderweg" ohne Abstriche durchzusetzen. Demnach dürfen die Aufenthaltsorte der Spitzenspieler für eventuelle Dopingtests in einer Testphase bis 2010 kollektiv für die gesamte Mannschaft gemeldet werden.

Anstatt diese Steilvorlage des Fußballs zu nutzen und für Individualsportler und andere Mannschaftssportarten mindestens den gleichen Schutz der Persönlichkeitsrechte einzufordern, wurde die Renitenz der Fußballer, sich nicht in vollem Umfang zu Überwachungsobjekten der WADA-Kontrolleure machen zu lassen, fast durchweg als "Unterwanderung des Kontrollsystems" gegeißelt. Beispielhaft für eine aus Ignoranz und Fatalismus geborene Unterwürfigkeit, die ihr Heil nicht nur in der bedingungslosen Anpassung an die totalitären Direktiven der Dopingjäger sucht, sondern diese auch noch zu verbessern trachtet, sei diesbezüglich die Mountainbike-Olympiasiegerin Sabine Spitz genannt.

Bereits im Februar hatte sie in einem Spiegel-Interview (12.2.09) die Propaganda der WADA-Funktionäre, die verschärften Meldepflichten dienten dazu, die Chancen, Betrüger zu entlarven, zu vergrößern und die sauberen Sportler zu schützen, ebenso verteidigt wie die umfängliche Offenlegung der Privatsphäre. "Wir Sportler leben doch unter einem gewissen Generalverdacht. Das ist traurig, es ist aber nun einmal so", sagte die 37jährige Radsportlerin schicksalsergeben, um den Schicksalsgebern und Generalverdächtigern mit weiteren Vorschlägen zu Diensten zu sein: "Letztendlich müssten die Kontrolleure auch privatdetektivische Fähigkeiten entwickeln und aufgrund von Verdachtsmomenten Athleten auch mal auflauern." Darüber hinaus schlug sie dem Olympischen Sport vor, die Verbände stärker in die Pflicht zu nehmen: Wer keine Nachweise über die Aufenthalts-Meldepflicht und die Zusammenarbeit mit den zuständigen Institutionen liefert, soll aus dem olympischen Programm fliegen. Als "unproblematisch" bezeichnete sie ferner die Veröffentlichung ihrer Blutwerte im Internet: "Blutwerte sind für mich keine Intimsphäre."

Die Haltung des Fußballs kritisierend, forderte sie jüngst weitere Verschärfungen der derzeitigen Pflichten für Athleten. Die "Radsportlerin des Jahres 2008" ließ wissen, daß ihr die bisherigen Kontrollmaßnahmen mit Blutvolumen-Messungen, Blutprofilen und DNA- Abgleichen noch nicht weit genug gingen und forderte den gläseren Athleten, der sich auch einer Handy-Ortung nicht verweigert. "Im Sinne eines wirkungsvollen Kampfes gegen Doping ist Handy-Ortung auf freiwilliger Basis für mich absolut in Ordnung und würde für uns Athleten vieles vereinfachen. Wer nichts zu vertuschen hat, lässt sich uneingeschränkt kontrollieren", sagte Spitz, die sich damit endgültig für einen Nachkarriere-Job in den Überwachungsagenturen WADA und NADA empfohlen haben dürfte.

Vor dem Hintergrund eines Streites mit den deutschen Cross-Country- Bikern Lado und Manuel Fumic, die sich nicht dem neuen Meldesystem unterwerfen wollten und die "totale Überwachung" und "permanente Verletzung" ihrer Menschenwürde kritisierten, hatte Spitz bereits im Mai 2008 zusammen mit 37 Mountainbikern einen offenen Brief lanciert, in dem sie das vorherrschende Kontrollsystem guthieß: "Wir sind uns darüber im Klaren, dass das Ausfüllen der Whereabout-Formulare, respektive das Updaten im Internet, eine aufwändige Tätigkeit ist. Eine unangemessene Verletzung unserer Persönlichkeitsrechte können wir hier aber nicht erkennen. Schon gar nicht fühlen wir uns dabei behandelt wie Schwerverbrecher."

Nüchterne Analyse scheint nicht die Stärke von Sabine Spitz zu sein. Ansonsten würde ihr auffallen, daß der bereits mehrfach von ihr in der Öffentlichkeit geäußerte und scheinbar so selbstevidente Stehsatz, "Wer nichts zu vertuschen hat, lässt sich uneingeschränkt kontrollieren", zu den Standardfloskeln gehört, mit denen die Sicherheitspolitiker die schrittweise Einschränkung und Aushebelung der Bürgerrechte vorantreiben.

Einmal abgesehen davon, daß gerade im juristischen Fallensystem des organisierten Sports, in dem die Unschuldsvermutung aufgehoben und die Beweislastumkehr zu Lasten des Athleten praktiziert wird, es bereits zahlreiche Beispiele gibt, bei denen der Athlet trotz Wohlverhaltens in die Verdachtsmühle geriet und sanktioniert wurde und es darum sehr wohl Anlaß gibt, den Monopolverbänden und Überwachungsagenturen mit ihren selbstgesetzten Richtlinien, Statuten und Rechtsnormen zu mißtrauen, impliziert die Floskel "Wer nichts zu vertuschen hat..." bereits einen Erzwingungsakt von grundlegender Art. Ob jemand nichts oder etwas zu vertuschen hat - in beiden Fällen wird er verdächtigt und muß sich rechtfertigen. Das Vertuschungs-Postulat setzt eine Instanz voraus, gegenüber der man etwas verbergen könnte, ohne daß sie als maßgeblicher Gewaltakteur, der die Bedingungen diktiert, in der Floskel explizit in Erscheinung tritt. Statt dessen verbleibt der generalisierte Verdacht, der Zwang zur Rechtfertigung und die Bringschuld allein beim zu kontrollierenden Individuum ("wer").

Mögen sich Spitz und Konsorten auch subjektiv nicht wie Schwerverbrecher "fühlen" - was sensiblere Menschen sicherlich anders empfinden würden -, so geraten sie objektiv dennoch als "potentielle Betrüger" in die Überwachungs- und Kontrollroutinen der zuständigen Agenturen und müssen sich den Verhaltensauflagen und Testprozeduren mit allen sozialen und körperlichen Konsequenzen - auch subtiler oder uneingestandener Subordination - fügen. Das betrifft ebenfalls den zwanghaften Umstand, dies als "notwendig" oder "unproblematisch" zu rationalisieren, was nichts anderes bedeutet, als die stets drohende Sanktionsgewalt in einer abgewandelten, gewissermaßen vorweggenommenen Form der Denk- und Verhaltensanpassung an die Fremddirektiven dennoch zu erdulden. Die höhere Ordnung administrativer Verfügungsgewalt manifestiert sich gerade darin, daß der Athlet die Suggestion, die unsichtbare Kette der Fremdkontrolle sei ein "Freigang", so vollständig adaptiert, daß er sie gegen Skeptiker und Kritiker, die diesen "Freigang" anzweifeln, zu verteidigen beginnt - eben um sich nicht mit den vorherrschenden Kontrollgewalten anzulegen, die Konformismus mit Erlaubnis belohnen. Im Gegensatz zu "Verbrechern auf Freigang", die durchaus realisieren, daß sie an die elektronische Fußfessel zwangsweise gebunden sind, besteht die qualifiziertere Form der Repression darin, daß der Athlet sich "freiwillig" der Handyortung unterwirft und sich demnächst wohl auch "freiwillig" einen Kontrollchip einpflanzen läßt.

Der zweite Halbsatz "... lässt sich uneingeschränkt kontrollieren" ist unschwer als Versuch zu erkennen, den Behörden bedingungslose, ja sklavische Unterwürfigkeit zu signalisieren, damit es zu keiner Exekution der angedrohten Strafen kommt. Im bürgerlich- rechtsstaatlichen Sinne heißt "uneingeschränkt" soviel wie ohne Rechtsvorbehalt, ohne juristische Gegenwehr. Die Kontrollbehörde behält volle Handlungsgewalt und kann tun und lassen, was sie will, während der Athlet hofft, durch den demonstrativen und vorauseilenden Verzicht jedweder Gegenwehr seine Häscher gnädig zu stimmen. Nichts anders als die vollständige Entmündigung des Athleten, dessen Rolle vom Überwachungsregime determiniert wird, meint die Spitzsche Knechtschafts-Formel.


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(*) Siehe auch Schattenblick-KOMMENTAR/020: WADA-Code 2009 - Kriegserklärung an die Athleten

19. April 2009