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MELDUNG/2290: Mittelgewicht - Kino wie in alten Zeiten ... (SB)



Golowkin gegen "Canelo" in 450 Filmtheatern zu sehen

Am 15. September treffen Gennadi Golowkin und Saul "Canelo" Alvarez zu ihrer mit Spannung erwarteten Revanche aufeinander. Der Kasache verteidigt dabei die Titel der Verbände WBA, WBC und IBO im Mittelgewicht gegen den mexikanischen Herausforderer. Während der ungeschlagene Weltmeister 38 Kämpfe gewonnen und einen unentschieden beendet hat, stehen für seinen Gegner 49 Siege, eine Niederlage sowie zwei Unentschieden zu Buche. Interessierten Zuschauern stehen drei Möglichkeiten offen, das Geschehen im Ring live zu verfolgen. Wer in der Lage ist, tief in die Tasche zu greifen, wird versucht haben, sich eine der begehrten Eintrittskarten in der T-Mobile Arena in Las Vegas zu sichern. Dieses Vergnügen können sich jedoch nur relativ wohlhabende Fans leisten, da Auftritte derart namhafter Akteure sündhaft teuer sind. Mit knapp 90 Dollar auch nicht gerade billig, aber eher erschwinglich ist eine Buchung beim Sender HBO, der das Duell im Pay-TV ausstrahlt.

Als dritte Option bieten die Golden Boy Promotions gemeinsam mit Fathom Events landesweit eine Übertragung in 450 Kinos an, wie dies in den goldenen Tagen des Boxsports in den USA bei hochkarätigen Ereignissen gang und gebe war. Wer sich den Kampf allein ansehen und dies auf einer attraktiven Großleinwand genießen will, dürfte zum Kinobesuch neigen. Kostengünstiger ist natürlich eine gesellige Runde vor dem heimischen Bildschirm, bei der man sich die Gebühr teilen und vor allem ausgiebig darüber streiten kann, was die beiden Akteure zum besten geben und die Punktrichter davon halten.

Sollte der Kampf wider Erwarten über volle zwölf Runden gehen, kann man kann nur hoffen, daß die drei Punktrichter diesmal ihre Sache besser machen als dies beim ersten Aufeinandertreffen der Rivalen im September 2017 der Fall war. Damals sah ein Punktrichter Golowkin mit 115:113 in Front, was dem Geschehen im Ring noch am ehesten gerecht wurde, da der Kasache dominant zu Werke gegangen war. Ein anderer hatte 114:114 notiert, wobei diesem Unentschieden der Ruch eines Geschenks an den Mexikaner anhaftete. Den Vogel schoß jedoch Ringrichterin Adelaide Byrd ab, die "Canelo" mit 118:110 bedachte, ihm also zehn Runden zusprach, Golowkin aber nur zwei. Daraus resultierte in der Gesamtwertung ein Unentschieden, das selbst die eingefleischte Fangemeinde des Lokalmatadors, die vor Ort das Feld beherrschte, in Verwirrung zu stürzen schien. Denn als "Canelo" hinterher erklärte, er habe sich als Sieger gesehen, quittierte das Publikum diese Aussage mit eisigem Schweigen. Sollte es abermals zu einer so krassen Fehlentscheidung kommen, müssen die Kinobesitzer wohl um ihr Mobiliar fürchten.

Aufschlußreich ist die Ankündigung des Kampfs und seiner beiden Akteure auf der gemeinsamen Webseite der Veranstalter. Mexikos Canelo Alvarez habe die Boxwelt erobert und die Fans mit seiner actionreichen Kampfesweise, seinem Charisma und der Bereitschaft, sich den härtesten Herausforderungen zu stellen, für sich eingenommen, steht da zu lesen. Werbung hin oder her, sind diese Behauptungen doch mit diversen Fragezeichen zu versehen. Die Boxwelt hat Saul Alvarez eher nicht erobert, mußte er sich doch Floyd Mayweather 2013 klar nach Punkten geschlagen geben, der ihm dabei eine Lehrstunde erteilte. Bei seinen Siegen gegen Erislandy Lara und Austin Trout hatten ihn viele Experten und Fans auf der Verliererstraße gesehen, und das Unentschieden gegen Golowkin war definitiv ein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk zur brachialen Ehrenrettung des Mexikaners. "Canelo" ist zweifellos ein ausgezeichneter Boxer, der aber jedesmal enorme Probleme bekommt, wenn er einem hochklassigen Gegner gegenübersteht.

Auch daß er sich den anspruchsvollsten Bewährungsproben gestellt habe, darf bezweifelt werden. Er ist gut zwei Jahre lang vor Golowkin weggelaufen und hat sogar den WBC-Titel im Mittelgewicht niedergelegt, um nicht gegen den Kasachen antreten zu müssen, der damals nebenbei Pflichtherausforderer dieses Verbands war. Zudem sollte man nicht vergessen, daß "Canelo" vorzugsweise gegen körperlich unterlegene Kontrahenten geboxt war, da er als Meister des Abkochens samt anschließender Rehydration gilt. Er brachte stets das geforderte Gewicht auf die Waage und wirkte am Kampfabend doch so aufgebläht, als trete er zwei Limits über dem Gegner an. Das geht oftmals schief, da die meisten Boxer eine solche Tortur mit einem Substanzverlust bezahlen müssen. Nicht so der Mexikaner, der dieses Verfahren bislang recht gut zu verkraften scheint. Allerdings ist er ohnehin für notorische Konditionsprobleme bekannt und boxt zumindest in Kämpfen, die ihn restlos fordern, nur jeweils eine Minute pro Runde mit vollem Tempo, um dann den Rest der Zeit kürzer zu treten.

Und wie wird der Weltmeister auf der Webseite angekündigt? Gennadi Golowkin sei ein kasachischer Profiboxer, der gegenwärtig die Titel der Verbände WBA, WBC, IBF und IBO im Mittelgewicht führe, heißt es lapidar. Gemessen an der enthusiastischen Beweihräucherung "Canelos" klingt das fast schon gewollt herablassend, als sei der Kasache nichts weiter als ein zugereister Allerweltsboxer, der die Gürtel für Saul Alvarez warm und zur Abholung bereithält. Davon abgesehen trifft es nicht zu, daß Golowkin noch IBF-Champion ist. Der Verband hat ihm den Titel aberkannt, da er ihn nicht fristgerecht gegen den Pflichtherausforderer Sirhai Derewjantschenko verteidigen konnte.

Gennadi Golowkin wollte die Revanche gegen "Canelo" bereits im Dezember 2017 austragen, doch der Mexikaner zog nach dem schweren Kampf eine längere Pause bis zum 5. Mai 2018 vor. Dann kam Saul Alvarez Ende Februar jedoch eine Dopingkontrolle in die Quere, als er im Trainingslager zweimal in kurzer Folge positiv auf die verbotene Substanz Clenbuterol getestet wurde. Er führte dies auf den Verzehr verunreinigten Fleisches zurück, wurde aber nach einer Anhörung für ein halbes Jahr suspendiert. Der Kampf im Mai mußte abgesagt werden, worauf Golowkin zu diesem Termin ersatzweise in Carson, Kalifornien, gegen Vanes Martirosian antrat, den er bereits in der zweiten Runde besiegte. Die IBF setzte ihm eine Frist, seine Pflichtverteidigung zu absolvieren, die er jedoch nicht austragen konnte, da er in Verhandlungen über die Revanche mit "Canelo" im September stand. Wäre dieser nicht im Frühjahr ausgefallen, hatte der Kasache genügend Zeit gehabt, sich im Anschluß auf Derewjantschenko vorzubereiten. Wenn man so will, hat "Canelos" positive Dopingprobe Golowkin den IBF-Titel gekostet. [1]

Die Revanche dürfte dazu führen, einen klaren Sieger zu ermitteln. Die Ankündigung des Mexikaners, er werde Golowkin ausboxen, unter Druck setzen und schließlich vorzeitig bezwingen, steht auf tönernen Füßen. Zum einen müßte er dafür seine Konditionsprobleme endlich in den Griff bekommen haben, zum anderen die Größe und Reichweitenvorteile des Kasachen kompensieren. In ihrem ersten Kampf bekam "Canelo" unentwegt den harten Jab des Gegners zu spüren, sobald er versuchte, Druck zu machen. Zudem mußte er vor der gefürchteten Rechten des Weltmeisters auf der Hut sein, so daß er es vorzog, ihm nicht allzu nahe zu kommen. Um einen Niederschlag zu erzielen, müßte er wesentlich beherzter als in ihrem ersten Kampf angreifen, was freilich leichter gesagt als getan ist. Der Kasache ist auch für seine enormen Nehmerqualitäten bekannt und mußte noch nie in seiner Karriere zu Boden gehen. Von einzelnen Treffern wird er sich daher kaum beeindrucken lassen. Auch dürfte es schwerlich gelingen, Golowkin über längere Fristen unter Druck zu setzen. Der Brite Kell Brook und Daniel Jacobs aus New York haben das versucht, was ihnen jedoch nur sporadisch und für kurze Fristen gelang. Stets wendete der Kasache wenig später das Blatt, ging wieder in die Offensive und diktierte das Geschehen im Ring. "Canelo" und sein Team werden sicher nicht ruhen, bis sie eine taktische Marschroute entwickelt haben, die mit gewissen Erfolgsaussichten verbunden ist. Sie bekommen es jedoch mit einem Champion zu tun, der es diesmal nicht auf die Punktrichter ankommen lassen will und sich daher kaum damit begnügen wird, den Gegner zwölf Runden lang auszuboxen. Wie der Mexikaner das überstehen will, ohne ständig das Weite zu suchen, steht in den Sternen.


Fußnote:

[1] www.boxingnews24.com/2018/08/canelo-vs-golovkin-2-available-in-over-450-movie-theaters-on-sept-15/

1. September 2018


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