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MELDUNG/2283: Mittelgewicht - Kampf um die Deutungshoheit ... (SB)



Saul "Canelo" Alvarez droht Gennadi Golowkin

Am 15. September kommt es in der T-Mobile Arena in Las Vegas zur Revanche zwischen Gennadi Golowkin und Saul "Canelo" Alvarez. Der 36jährige Kasache verteidigt dabei die Titel der Verbände WBA, WBC, IBF und IBO im Mittelgewicht gegen den neun Jahre jüngeren mexikanischen Herausforderer. Der ungeschlagene Weltmeister machte bei seinem letzten Auftritt am 5. Mai im StubHub Center in Carson kurzen Prozeß mit Vanes Martirosian, der bereits in der zweiten Runde die Segel streichen mußte. Golowkin baute seine Bilanz auf 38 Siege sowie ein Unentschieden aus und ist mit 20 erfolgreichen Titelverteidigungen in Folge der gegenwärtig am längsten amtierende Champion der Branche. Für "Canelo", der seit ihrem ersten Duell im September 2017 nicht mehr im Ring gestanden hat, stehen 49 Siege, eine Niederlage sowie zwei Unentschieden zu Buche.

Der erste Prestigekampf der Rivalen um die Vorherrschaft in der Gewichtsregion endete mit einem umstrittenen Unentschieden, obgleich der Kasache nach Auffassung der allermeisten Experten eine überlegene Vorstellung gegeben hatte. Ein krasses Fehlurteil bewahrte den Mexikaner vor einer Niederlage, der jedoch nicht umhin konnte, einer Revanche zuzustimmen. Er lehnte allerdings einen möglichen Termin im Dezember ab und bestand auf dem 5. Mai, doch wurde er zuvor bei zwei Trainingskontrollen positiv auf die verbotene Substanz Clenbuterol getestet und von der Nevada State Athletic Commission für sechs Monate gesperrt.

Wie Saul "Canelo" Alvarez jüngst erklärte, liefere der Verlauf des ersten Kampfs die Blaupause für die Revanche. Es sei nicht erforderlich, die Strategie grundsätzlich zu ändern, da eine Ergänzung völlig ausreiche. Er müsse lediglich die Zahl seiner Schläge pro Runde erhöhen, um alle Zweifel daran auszuräumen, daß er den Sieg verdient habe. Das klingt zwar durchaus plausibel, ist aber in seinem Fall viel leichter gesagt als getan. Der Mexikaner ist für seine Konditionsschwäche bekannt, die gegen Golowkin dazu führte, daß er nur in der ersten Minute jeder Runde loslegen konnte und sich danach erst einmal erholen mußte. Zudem wirkte er damals wesentlich muskulöser als jemals zuvor, was sein Kreislaufsystem zusätzlich zu belasten schien.

Der mutmaßliche Ansatz "Canelos", Körpermasse aufzubauen, um der gefürchteten Schlagwirkung des Kasachen standzuhalten, erwies sich als kontraproduktiv und wäre ohne die Hilfe der Punktrichter gescheitert, da Golowkin durchweg mehr Schläge ins Ziel brachte. Dem Vernehmen nach trägt Alvarez dieser Erkenntnis Rechnung, indem er nun sein Gewicht reduziert und an der Schnelligkeit seiner Fäuste arbeitet, die sein eigentlicher Trumpf ist. Vermutlich wird er abermals darauf setzen, mit schnellen Schlägen zu punkten, um sich dann sofort wieder aus der Affäre zu ziehen, dies aber im Unterschied zum ersten Kampf etwas länger in jeder Runde durchzuhalten. [1]

Einen offenen Schlagabtausch kann er sich nicht leisten, da Golowkins Treffer wesentlich gefährlicher als seine eigenen sind und ihn dies zudem über Gebühr ermüden würde. Also muß er die Punktrichter mit geschwinden Kombinationen beeindrucken, Konter des Kasachen tunlichst meiden und dessen Vorstößen möglichst geschickt ausweichen. Dieser taktischen Marschroute folgte er im ersten Kampf, doch mußte er dabei zu lange Pausen einlegen. Er profitierte indessen davon, daß der Weltmeister vorzugsweise aus der Distanz boxte, da er vor den schnellen Händen des Mexikaners auf der Hut war und keine Risiken einging. Golowkin jagte ihn nicht, um ihn zu stellen, sondern arbeitete einen Vorsprung heraus, der unter regulären Umständen ausgereicht hätte.

Gennadi Golowkin ist sich im klaren darüber, daß er in Las Vegas nicht noch einmal auf die Punktwertung vertrauen darf, sondern wenn irgend möglich eine vorzeitige Entscheidung herbeiführen muß. Er weiß aber auch, wie geschickt "Canelo" ausweichen kann, so daß der Angreifer ins Leere schlägt, sich verausgabt und offen für Konter ist. Man darf also gespannt sein, welcher Vorgehensweise Golowkin und sein Trainer Abel Sanchez den Zuschlag geben werden, um im zweiten Anlauf auch offiziell für klare Verhältnisse zu sorgen.

Wenngleich "Canelo" nach wie vor auf seine riesige mexikanische Fangemeinde beiderseits der Grenze zählen kann, deren Begeisterung für seine Auftritte das Fundament seiner prominenten Stellung im Boxgeschäft legt, hat seine Reputation gelitten. Als er sich nach dem schmeichelhaften Unentschieden beim ersten Kampf zum wahren Sieger erklärte, quittierte sein Heimpublikum in der T-Mobile Arena diese dreiste Behauptung mit einem Schweigen, das Bände sprach. Die Zuschauer hatten gesehen, wie er von Golowkin ausgeboxt worden war, und waren nicht bereit, diesen Eindruck zu ignorieren und den Verlauf schönzureden.

Noch schwerer wogen dann die positiven Testergebnisse, da der Verdacht im Raum stand, "Canelo" helfe mit unzulässigen Mitteln nach, um sich Vorteile zu verschaffen. Wenngleich er dies stets entschieden von sich wies und das Ergebnis der Dopingproben auf den Verzehr belasteten Fleisches in Mexiko zurückführte, hatte sein Ruf doch erheblichen Schaden genommen. In der Summe der Ereignisse tendierte die Einschätzung mehrheitlich dahin, daß Golowkin der gefährlichere Boxer sei und er ihn fürchten müsse. Wenngleich sein Promoter Oscar de la Hoya nichts unversucht ließ, die Deutungsmacht zurückzugewinnen, fiel doch auf, daß die Verlautbarungen der Golden Boy Promotions zu "Canelo" stärker als in der Vergangenheit mit skeptischen bis kritischen Kommentaren versehen wurden.

Um aus dieser Defensive zu kommen, meldet sich Saul Alvarez nun häufig in den sozialen Medien mit Kurzberichten über seine Vorbereitung zu Wort. Er sei bereits in ausgezeichneter Verfassung, schneller als je zuvor, Golowkin könne sich auf etwas gefaßt machen. Die jüngsten Kurzmitteilungen erweckten sogar den Eindruck, "Canelo" habe tatsächlich vor, es mit dem Kasachen Fuß an Fuß auszutragen. [2] Solche Andeutungen sind jedoch eher Signale an die Fangemeinde und die Berichterstattung als ernstzunehmende Hinweise auf eine geplante Vorgehensweise. Der Mexikaner wird seinem Gegner nicht den Gefallen tun, vor ihm stehenzubleiben und sich Schlag um Schlag mit ihm zu messen, da er das nicht lange überstehen würde. Während Gennadi Golowkin die schwierige Aufgabe erwartet, einem ständig entweichenden Kontrahenten nachzusetzen und ihn zu stellen, hat Saul "Canelo" Alvarez das Problem zu lösen, sich geschickt aus dem Staub zu machen, ohne den Eindruck zu erwecken, er laufe ständig weg.


Fußnoten:

[1] www.boxingnews24.com/2018/08/canelo-has-blueprint-to-beat-golovkin/#more-268474

[2] www.boxingnews24.com/2018/08/canelo-sends-message-to-ggg-im-coming-for-you/#more-268449

11. August 2018


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