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MELDUNG/2237: Mittelgewicht - ein überflüssiger Gürtel ... (SB)



Gennadi Golowkin über die Trophäe des Ring Magazine

Das Ring Magazine stand jahrzehntelang im Rang einer publizistischen Institution des Boxsports, in den Augen der Leserschaft legitimiert durch fachliche Kompetenz und eine jenseits der Winkelzüge von rivalisierenden Verbänden und Promotern angesiedelte Überparteilichkeit. Die Zeitschrift vergibt sogar einen eigenen Gürtel an den ihres Erachtens herausragenden Akteur jeder Gewichtsklasse, womit dem seit jeher von Experten und Fangemeinde ins Feld geführten Bedürfnis, den "wahren Champion" auf den Schild zu heben, symbol- und prestigeträchtig Genüge getan werden soll. Wenngleich nicht auszuschließen ist, daß ein kleiner Kreis kundiger Journalisten die Bürde dieses hohen Anspruchs schultern und die Zunft im Sinne aller Beteiligten befruchten könnte, zeichnet sich doch hinter dem verblassender Mythos der Fachzeitschrift eine offenkundige Verquickung mit Partialinteressen ab.

Gennadi Golowkin ist jedenfalls schlecht auf das Ring Magazine zu sprechen, womit er erfreulicherweise ein Ärgernis zur Sprache bringt, das die Spatzen schon lange von den Dächern pfeifen. Wie er geltend macht, sei er nun schon seit acht Jahren Weltmeister im Mittelgewicht, ohne jemals mit dem Ehrengürtel der Zeitschrift bedacht worden zu sein. Dem liege eine geschäftspolitische Entscheidung der Besitzer des Magazins zugrunde, die es ablehnten, ihn als Champion dieser Gewichtsklasse zu würdigen. Das sei indessen nicht sein, sondern ihr Problem, trägt er achselzuckend dem absurden Umstand Rechnung, daß die Zeitschrift seinen Erzrivalen Saul "Canelo" Alvarez als ihren Champion im Mittelgewicht führt und ihm den Gürtel überlassen hat.

Der Mexikaner erfreut sich dieses Rangs, seit er Miguel Cotto im November 2015 als WBC-Weltmeister entthront hat. Der Puertoricaner war damals keineswegs der schlechtere Boxer, kam aber körperlich gegen den nach dem nächtlichen Rehydrieren am Infusionstropf aufgeblähten und am Kampftag wesentlich schwereren Herausforderer schlichtweg nicht an. "Canelo" verteidigte den Titel im Mai 2016 gegen den ebenfalls physisch klar unterlegenen britischen Weltergewichtler Amir Khan. Gennadi Golowkin war nicht nur Weltmeister der Verbände WBA, IBF und IBO, sondern wurde auch Pflichtherausforderer beim WBC. Folglich hätte der Mexikaner seinen Titel gegen ihn verteidigen müssen, doch ergriff er die Flucht und wanderte ins Halbmittelgewicht ab, wo er im September 2016 Liam Smith, der als schwächstes Glied in der Kette der dortigen Champions galt, den Gürtel abnahm. Im Mai 2017 besiegte er dann seinen mexikanischen Landsmann Julio Cesar Chavez, wobei ein Limit vereinbart war, das dieser nur durch extreme Gewichtsreduzierung erreichen konnte. Chavez war denn auch im Ring derart ausgelaugt, daß er eine restlos enttäuschende Vorstellung gab und "Canelo" leichtes Spiel hatte.

Während Golowkin unterdessen auch Weltmeister des WBC geworden war und seine Titelsammlung ausgebaut hatte, blieb "Canelo" zwei Jahre dieser Gewichtsklasse fern, in der er keinen regulären Gürtel mehr innehatte. Warum ihn das Ring Magazine dennoch weiter als führenden Akteur in diesem Limit führte, ist absolut schleierhaft. Wenn der Kasache daraus den Schluß zieht, daß die Besitzer der Zeitschrift naheliegenden Fremdinteressen den Zuschlag geben, trifft er wohl ins Schwarze. Er feuert damit einen Schuß auf "Canelo" und die Golden Boy Promotions ab, deren Einfluß die einzig plausible Erklärung für den mißlichen Umstand ist, daß der Mexikaner immer noch den Gürtel des Ring Magazin besitzt, obgleich dieser zweifelsfrei Golowkin zustünde, wollte man den mit der Trophäe verbundenen Anspruch ernstnehmen.

Wäre dies der einzige Querschläger bei der Vergabe des Ehrentitels seitens der ehemals renommierten Publikation, könnte man bei viel gutem Willen von einem Fauxpas sprechen. Das ist jedoch nicht der Fall. "Canelo" durfte 21 Monate im Mittelgewicht pausieren, bis er sich endlich Golowkin im September 2017 stellte und von den Punktrichtern ein Unentschieden geschenkt bekam, das von Fans und Experten weithin als Fehlurteil eingestuft wurde. Selbst die glühenden Anhänger des Mexikaners in Las Vegas quittierten seine Behauptung nach dem Kampf, er sei der bessere von beiden gewesen, mit eisigem Schweigen. Auch der Brite Tyson Fury durfte den Gürtel des Ring Magazine, den er nach seinem Überraschungssieg gegen Wladimir Klitschko bekommen hatte, über zwei Jahre lang behalten, obgleich er ihn kein einziges Mal verteidigen konnte und seine Karriere unterdessen auf Eis lag. Parallel dazu waren Anthony Joshua (WBA, IBF) und Deontay Wilder (WBC) längst Weltmeister im Schwergewicht, ohne vom Ring Magazine berücksichtigt zu werden.

Und die Liste ließe sich fortsetzen. Jorge Linares, der wie "Canelo" bei Golden Boy unter Vertrag steht, trägt den Ehrengürtel im Leichtgewicht, wo nach Einschätzung der allermeisten Experten Mikey Garcia als führender Akteur zu nennen ist. Srisaket Sor Rungvisai ist zwar inzwischen der beste Boxer im Superfliegengewicht, doch trug er bereits den Gürtel des Ring Magazine, als Naoya Inoue dort noch antrat und ihm sicher überlegen war. Und schließlich wäre noch Ryochi Taguchi im Halbfliegengewicht zu erwähnen, den wohl niemand sonst als die unumstrittene Nummer eins dieser Gewichtsklasse ausweisen würde. [1]

Wie Gennadi Golowkin abschließend anmerkt, werde es nach der Revanche gegen "Canelo" Anfang Mai, so sie denn stattfindet, definitiv nur einen führenden Akteur im Mittelgewicht geben. Er ist fest entschlossen, bei dem am 5. Mai in der T-Mobile Arena in Las Vegas anberaumtem Duell die Entscheidung nicht abermals den Punktrichtern zu überlassen. Auch sein Trainer Abel Sanchez unterstreicht, daß sein Schützling hoch motiviert sei, sich für den Betrug zu revanchieren und "Canelo" auf die Bretter zu schicken. Er wolle dem Rivalen eine Lektion erteilen, die der nicht so schnell vergessen werde.

Das läßt erstens darauf schließen, daß Golowkin und Sanchez ungeachtet der positiven Dopingtests bei "Canelo" keinen Rückzug planen, sondern diesen Kampf austragen wollen. Zweitens erweckt der Trainer den Eindruck, als wolle er seinen Boxer diesmal von der Leine und mit aller Macht angreifen lassen. Abel Sanchez hatte in den Kämpfen gegen Kell Brook, Daniel Jacobs und Saul Alvarez auf die Taktik gesetzt, boxend zum Erfolg zu kommen und nicht in erster Linie ein vorzeitiges Ende anzustreben. Gegen "Canelo" hielt sich Golowkin in den ersten beiden Runden sichtlich zurück und boxte auch in der Folge vorwiegend mit dem Jab aus der Distanz, wie das schon im Kampf mit David Lemieux gut funktioniert hatte. Im Falle des Kanadiers machten die Punktrichter ihre Sache gut und würdigten die Überlegenheit des Kasachen. Hingegen bekam "Canelo" Runden gutgeschrieben, in denen er aufgrund seiner notorischen Konditionsprobleme nur eine Minute mit vollem Tempo boxen und nicht mehr als zwei bis drei gute Treffer landen konnte, ansonsten aber regelrecht ausgeboxt wurde.

Was die leidigen Dopingvorwürfe betrifft, schenken offenbar weder Sanchez noch Golowkin der Rechtfertigung des Mexikaners Glauben, die bei ihm nachgewiesenen Clenbuterol-Spuren seien auf den Verzehr verunreinigten Fleisches zurückzuführen. Wie Abel Sanchez nun nachgelegt hat, könne ein Boxer, der nicht mehr als ein bis zwei Kämpfe im Jahr bestreitet, durchaus solche Substanzen verwenden und rechtzeitig wieder absetzen, bevor im Trainingslager die Antidopingagentur VADA in Aktion tritt. Deshalb plädiere er in "Canelos" Fall für eine gründliche Untersuchung. Im professionellen Boxsport der USA testet die VADA bislang lediglich im Zeitraum von acht Wochen vor einem Kampf, so daß Substanzen wie Clenbuterol, die im Körper relativ rasch abgebaut werden, kaum nachweisbar sind.

Wenngleich "Canelos" Erklärung eher dünn anmutet, sollte auch in seinem Fall die Unschuldsvermutung gelten. Worauf die bei einem späteren Test nicht mehr gefundenen Spuren von Clenbuterol zurückzuführen waren, läßt sich nicht mit Sicherheit klären. Nun liegt die Entscheidung bei der zuständigen Sportkommission von Nevada, die dem Mexikaner angesichts der Bedeutung des Kampfs und der dabei zu erwartenden Unsätze aller Voraussicht nach unter gewissen Auflagen grünes Licht geben wird. Sollte das der Fall sein und Gennadi Golowkin die Oberhand behalten, wäre am Ende vielleicht sogar das Ring Magazine bereit, ihn als wahren Champion im Mittelgewicht zu würdigen.


Fußnote:

[1] www.boxingnews24.com/2018/03/golovkin-ring-magazine-hasnt-called-me-champion-and-ive-been-a-champion-for-8-years/#more-259178

15. März 2018


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