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MELDUNG/2061: Verloren zwischen Wunsch und Wirklichkeit (SB)



James DeGale erklärt sich zum besten Supermittelgewichtler

Träumt nicht jeder Boxer davon, der allerbeste der Welt oder wenigstens seiner eigenen Gewichtsklasse zu sein? Und vor einem Kampf zu verkünden, daß man keinen Gegner fürchte, weil einem ohnehin niemand das Wasser reichen könne, ist allenfalls eine läßliche Sünde recht einfallsloser Werbung in eigener Sache. Wo sich jedoch der Verdacht aufdrängt, daß die Grenze zwischen Wunsch und Wirklichkeit verschwimmt, könnten kritische Einwände womöglich dazu beitragen, den Ball wieder flach zu halten.

Der alles überragende Akteur im Supermittelgewicht heißt James DeGale. Das zumindest behauptet der IBF-Weltmeister dieser Tage allenthalben, seit das Gipfeltreffen mit WBC-Champion Badou Jack am 14. Januar 2017 definitiv vereinbart ist. Um der Übertragung beim Sender Showtime willen reist der Brite sogar in die USA, wobei der letztendliche Austragungsort noch nicht feststeht. Für den 30jährigen DeGale, der 23 Auftritte gewonnen und nur einen verloren hat, steht so gut wie fest, daß er mit zwei Gürteln heimkehren wird. Der in Las Vegas lebende Schwede Badou Jack, für den 20 Siege, eine Niederlage sowie zwei Unentschieden zu Buche stehen, dürfte das zwangsläufig ganz anders sehen.

Legt man die letzten Kämpfe des Briten gegen Rogelio Mendez, Lucian Bute und Andre Dirrell zugrunde, kann von einer eindrucksvollen Dominanz James DeGales eher keine Rede sein. In allen drei Fällen kostete es den Weltmeister enorme Mühe, ein knappes Ergebnis zu seinen Gunsten herauszuarbeiten. Von einer Führungsposition in seinem Limit kann keine Rede sein, zumal er dafür zuallererst Badou Jack und dann auch noch Rivalen wie Callum Smith, Gilberto Ramirez, Fedor Tschudinow, Jesse Hart und Anthony Dirrell in die Schranken weisen müßte, die kaum schwächer als er einzuschätzen sind.

Wenngleich auch Badou Jack trotz seines Titels nicht als bester Boxer des Supermittelgewichts einzustufen ist, könnte er dem Briten doch enorme Probleme bereiten oder ihm gar die Butter vom Brot nehmen. Wer immer diesen Kampf gewinnt, hat zwar zwei der vier maßgeblichen Gürtel zusammengeführt, ist aber dennoch allenfalls auf dem Weg dahin, diese Gewichtsklasse anzuführen. Das gilt auch für den Bekanntheitsgrad beim breiteren Sportpublikum, wobei es kein Wunder ist, daß DeGale eigenen Angaben zufolge keinerlei Probleme damit hat, im Ausland anzutreten. Wie er versichert, genieße er den Auftritt vor der Anhängerschaft seines Gegners sogar, weil dies den Druck vermindere, unter dem er stehe.

Das dürfte nicht zuletzt damit zusammenhängen, daß er trotz seines Titels keineswegs ein populärer Star in Großbritannien ist. Obgleich er bei den Olympischen Spielen 2008 eine Goldmedaille gewonnen hat, gelang es ihm nicht, aus diesem Erfolg nach seinem Wechsel ins Profilager wirklich Kapital zu schlagen und eine große Fangemeinde um sich zu scharen. Seine Auftritte sind nicht sonderlich attraktiv, und da er selten vorzeitig gewinnt, bekommt man mehr Leerlauf als spektakuläre Aktionen zu sehen. [1]

Daß er alle Hände voll zu tun haben dürfte, sich gegen Badou Jack durchzusetzen, hindert James DeGale nicht daran, weit darüber hinaus zu denken und einen Kampf gegen Gennadi Golowkin im Munde zu führen. Daß der Kasache im Mittelgewicht antritt, dort mit dem Gürtel der WBO seine Trophäensammlung komplettieren möchte und bislang kein Interesse an einem Auftritt im höheren Limit zum Ausdruck gebracht hat, scheint den Briten nicht zu irritieren. Wenngleich Promoter Bob Arum von einem möglichen Kampf zwischen Gilberto Ramirez und Golowkin gesprochen hat, ist der Mexikaner trotz seines WBO-Titels in den USA nicht populär genug, um das Interesse des Kasachen zu wecken.

Dasselbe gilt auch für James DeGale, was sich selbst bei einem Sieg über Badou Jack im Januar nicht grundlegend ändern würde. Eingedenk dessen, wie lange eine Ausnahmeerscheinung wie Golowkin gebraucht hat, um eine Anhängerschaft in den USA aufzubauen, bedürfte es weit mehr als eines überzeugenden Auftritts des Briten, um anhaltende Aufmerksamkeit des US-amerikanischen Publikums wachzurufen. Dennoch fabuliert DeGale von einem Megakampf, in dem er als Außenseiter gehandelt werde, wofür Golowkin geradezu ideal sei. Wenngleich es sehr schwer wäre, den Kasachen zu besiegen, habe er doch phantastische Chancen, dies zu bewerkstelligen. Golowkin sei nämlich für einen Mittelgewichtler nicht allzu groß und wäre bei einem Aufstieg in die höhere Gewichtsklasse körperlich klar unterlegen. [2]

Offenbar sind DeGale seine knappen und teilweise umstrittenen Siege zu Kopf gestiegen, wenn er nun meint, Golowkin dank vermeintlicher körperlicher Vorteile schlagen zu können. Er habe Schwächen bei dem Kasachen gesehen, die er definitiv gegen ihn kehren könne, stellt der Brite kühne Behauptungen auf, bleibt aber wohlweislich jede nähere Erklärung schuldig, worum es sich dabei handeln könnte. Letztlich spielt das auch keine Rolle, da es ohnehin nicht zu diesem Kampf kommen wird. Gennadi Golowkin wird aller Voraussicht nach gegen Daniel Jacobs antreten, den regulären Weltmeister der WBA, die dieses Duell angeordnet hat. Wenngleich sich die Verhandlungen zwischen den beiden Lagern bislang schwierig gestalten, ist Golowkin insofern daran gebunden, als er den Titel des WBA-Superchampions nicht einfach niederlegen und sich anderen Aufgaben zuwenden möchte.

Der Kasache hat sich vorgenommen, alle vier maßgeblichen Titel im Mittelgewicht zusammenzuführen, wozu ihm nur noch der WBO-Gürtel fehlt. Deshalb stünde nach Jacobs der Brite Billy Joe Saunders an, der eine leichte Beute für Golowkin wäre. Saunders behauptet zwar wie sein Landsmann James DeGale, er würde sich liebend gern mit dem Kasachen messen, macht aber jedesmal einen Rückzieher, wenn es ernst wird. Einen so gut wie ausgehandelten Kampf ließ er im letzten Moment platzen, indem er maßlos überzogene Gagenforderungen nachschob. Mitte September 2017 soll es dann endlich zu einem lukrativen Kampf zwischen Gennadi Golowkin und Saul "Canelo" Alvarez kommen, der zweifellos einer der absoluten Höhepunkte des Jahres wäre.

"Canelo" und sein Promoter Oscar de la Hoya versprechen das Blaue vom Himmel herunter, daß dieser Kampf stattfinden werde. Dasselbe haben sie jedoch in der Vergangenheit schon so oft behauptet, ohne entsprechende Taten folgen zu lassen, daß man sich auf ihr Wort in dieser Angelegenheit nicht im geringsten verlassen kann. Das Muster ist im Grunde stets dasselbe: Akteure wie James DeGale oder Billy Joe Saunders, die mehr oder minder chancenlos gegen Golowkin wären, führen dessen Namen im Munde, um sich wichtig zu machen. Wo jedoch Nägel mit Köpfen gemacht werden sollen, nehmen die prominentesten Konkurrenten die Beine in die Hand und suchen unter fadenscheinigen Ausflüchten das Weite, um dem Kasachen nicht im Ring begegnen zu müssen.


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2016/10/degale-vs-jack/#more-219945

[2] http://www.boxingnews24.com/2016/10/degale-see-weakness-golovkin/#more-219962

29. Oktober 2016


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