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MELDUNG/2053: Bestürzender Einblick in Tyson Furys Gemütsverfassung (SB)



Schwergewichtschampion legt gravierende psychische Probleme offen

Der britische Schwergewichtsweltmeister Tyson Fury hat vor wenigen Tagen in einem Interview mit dem "Rolling Stone" eingeräumt, in der jüngeren Vergangenheit jede Menge Kokain konsumiert zu haben. Es sei schließlich sein Leben, und er könne machen, was er wolle. Außerdem handle es sich um keine leistungssteigernde Substanz. Er habe seit Monaten nicht mehr trainiert, jede Nacht getrunken und durchlebe eine tiefe Depression. Verglichen damit, daß er keinen Lebensmut mehr habe, sei der Kokainkonsum belanglos. Man habe ihm eine bipolare Störung attestiert, er sei manisch-depressiv. Er hoffe sehr, daß ihn jemand umbringe, bevor er selber Hand an sich lege, gab der 28jährige Brite einen bestürzenden Einblick in seine Gemütsverfassung.

Diese Offenlegung seiner psychischen Probleme könnte das zunehmend widersprüchliche und kaum noch nachvollziehbare Verhalten Furys zumindest plausibler machen, hat er doch kürzlich in den sozialen Netzwerken seinen Rücktritt erklärt und dies wenige Stunden später auf demselben Weg widerrufen. Da Kokain laut Dopingliste zu den verbotenen Substanzen gehört und in Furys Probe vom 22. September nachgewiesen wurde, sagte er am folgenden Tag den Rückkampf gegen Wladimir Klitschko unter Verweis auf "gesundheitliche Probleme" ab. Er könnte von der Antidopingagentur VADA verlangen, daß seine B-Probe getestet wird, was nach dem offenherzigen Interview im "Rolling Stone" allerdings wenig erfolgversprechend wäre.

Der in 25 Kämpfen ungeschlagene Brite hatte im November 2015 durch einen einstimmigen Punktsieg über Wladimir Klitschko in Düsseldorf die Titel der Verbände WBA, IBF, WBO und IBO gewonnen. Wie sich rückblickend zeigt, führte dieser Wendepunkt in seiner Laufbahn nicht in Richtung einer vielbeachteten und hochdotierten Ära als Champion, sondern geradewegs ins Verhängnis. Fury sagte eine für den 9. Juli vereinbarte Revanche mit der Begründung ab, er habe sich eine Verletzung am Fußgelenk zugezogen. Schon damals kursierten Gerüchte, er sei körperlich nicht in der Verfassung, in den Ring zu steigen. Der Brite bestätigte nun im Interview, daß er schon im Mai das Training eingestellt sich mit seelischen Problemen herumgeschlagen habe.

Eigenen Angaben zufolge bringt Fury derzeit so viel Gewicht auf die Waage, daß er vermutlich vier oder fünf Monate intensiven Trainings samt entsprechender Lebensführung bedürfte, um sich wieder in eine angemessene körperliche Verfassung zu bringen. Voraussetzung wäre die feste Entschlossenheit, sich ausschließlich auf diese Vorbereitung zu konzentrieren und die sportlichen Ziele uneingeschränkt an die erste Stelle zu setzen. Ob der Brite in Zukunft noch einmal dazu in der Lage sein könnte, steht in den Sternen. Vordringlich sind derzeit ohnehin ganz andere Probleme. [1]

Die britische Boxkommission berät auf einer Sitzung am 12. Oktober darüber, ob sie Tyson Fury die Lizenz entzieht. So verfuhr das aufsichtsführende Gremium 2010 im Falle Ricky Hattons, als dieser längere Zeit keinen Kampf mehr bestritten hatte und im Verdacht stand, Kokain konsumiert zu haben. Der Generalsekretär der Kommission, Robert Smith, wollte sich vor der anstehenden Sitzung natürlich nicht festlegen und erklärte lediglich, man werde alle relevanten Fakten erörtern und danach weitere Schritte beschließen. Unabhängig davon obliege es den Verbänden WBA und WBO, Fury gegebenenfalls die Titel abzuerkennen, sofern er sie nicht von sich aus niederlege. Theoretisch gesehen hätten sie im Falle eines Lizenzentzugs auch gar keine andere Wahl, da er die Titel dann nicht verteidigen könne, legt Smith die aus seiner Sicht zwangsläufige Konsequenz nahe.

Ricky Hatton, der ehemals Weltmeister im Halbwelter- und Weltergewicht war und selbst lange mit seiner Abhängigkeit von Alkohol und anderen Drogen zu kämpfen hatte, bietet Fury Hilfe bei der Bewältigung seiner aktuellen Probleme an. Er wisse aus eigener leidvoller Erfahrung nur zu gut, was Tyson derzeit durchmache, und hoffe sehr, daß dieser die notwendige Unterstützung bekomme, da er diese Probleme nicht allein lösen könne. Deshalb habe er ihm eine entsprechende Nachricht zukommen lassen, aber bislang noch keine Antwort erhalten, was ihm Sorgen bereite.

Unterdessen hat der ehemalige Federgewichtschampion Barry McGuigan angeregt, daß die aufsichtsführenden Gremien Ressourcen bereitstellen sollten, um Sportlern mit psychischen Problemen Unterstützung zukommen zu lassen. Vielleicht sollten sich die Verantwortlichen zusammensetzen und ernsthaft darüber nachdenken, entsprechende Beratungs- und Behandlungsangebote einzurichten, so McGuigan. Das wäre nicht kostspielig und käme nicht zuletzt Sportlern zugute, die ja nicht immer ein Vermögen verdienten, aber auf solche Hilfe angewiesen seien.

Anthony Joshua, der von Tyson Fury des öfteren unter heftigen Beschimpfungen angegangen worden ist, trägt das dem Kollegen zumindest in seinen öffentlichen Äußerungen nicht nach. Vielmehr verlieh der amtierende IBF-Weltmeister im Schwergewicht seiner Zuversicht Ausdruck, daß Fury in den Ring zurückkehren werde. Tyson sei talentiert, ein Kämpfer und auf seine ganz spezielle Art ein Gewinn für den Boxsport. Deshalb sei ihm zu wünschen, daß er bald wieder zu dem zurückkehre, was er am besten könne. [2]

Was die aktuelle Entwicklung in der Schwergewichtsszene betrifft, hängt diese zunächst einmal davon ab, ob Fury die Titel zeitnah aberkannt werden. Sollte das der Fall sein, dürfte Joshua noch in diesem Jahr auf Wladimir Klitschko treffen, wobei dann möglicherweise alle Gürtel bis auf die Trophäe des Verbands WBC zur Disposition stehen könnten.


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2016/10/tyson-fury-admits-cocaine-use/#more-218730

[2] http://www.espn.com/boxing/story/_/id/17727045/anthony-joshua-expects-tyson-fury-make-comeback

7. Oktober 2016


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