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MELDUNG/2034: Nachschlag zum Kampf der Systeme (SB)



Shakur Stevenson unterliegt Robeisy Ramirez in Rio

Es sei ein überaus schmerzliches Gefühl, daß Kuba gewonnen habe, rang sich der US-amerikanische Bantamgewichtler Shakur Stevenson nach seiner Finalniederlage gegen Robeisy Ramirez unter Tränen eine erste Stellungnahme ab. Daß der 19jährige aus Newark mit dem Olympiasieg bei den Spielen in Rio de Janeiro vor Augen nach hartem Kampf knapp verloren hatte, macht seine tiefe Enttäuschung verständlich. Als besondere Schmach zu empfinden, einem Kubaner unterlegen zu, gibt seinem emotionalen Ausbruch jedoch eine nationalchauvinistische Schräglage. Sie seiner Jugend zuzuschreiben fällt insofern schwer, als er gerade wegen seines Alters den Kalten Krieg nur aus den Geschichtsbüchern kennt. Daß der drei Jahre ältere Ramirez 2012 in London die Goldmedaille im Fliegengewicht gewonnen hatte und sich nun zum zweiten Mal als Olympiasieger feiern lassen konnte, Stevenson also einem überragenden Boxer ein spektakuläres Gefecht mit knappem Ausgang geliefert hatte, verdient hervorgehoben zu werden.

Stevenson stand unter dem Druck hochgespannter Erwartungen, erstmals nach seinem erklärten Vorbild Andre Ward, der 2004 in Athen eine Goldmedaille im Halbschwergewicht gewonnen hatte, als Sieger in einem olympischen Boxturnier Geschichte zu schreiben. Vier Jahre später hatte Deontay Wilder in Beijing Bronze im Schwergewicht erkämpft, während die US-Staffel ansonsten leer ausgegangen war. Wie Ward hat auch Wilder längst Karriere im Profilager gemacht und ist heute WBC-Weltmeister in der Königsklasse. Bei den Spielen 2012 in London war das US-Männerteam auf einem Tiefpunkt angelangt, da es keine Medaille einfahren konnte. Hingegen sicherte sich die damals erst 17 Jahre alte Claressa Shields aus Flint in Michigan Gold im Mittelgewicht und diesen Erfolg wiederholte sie nun in Rio durch einen Finalsieg über die Niederländerin Nouchka Fontijn.

Während Robeisy Ramirez im Halbfinale einen schweren Kampf gegen den Usbeken Murodjon Achmadalijew absolviert hatte, trat Shakur Stevensons designierten Gegner Wladimir Nikitin nicht an, da er sich zuvor bei dem geschenkten Sieg über den Iren Michael Conlan Verletzungen zugezogen hatte. Dieser Vorteil schlug jedoch für den US-Amerikaner im Finale gegen den Kubaner nicht zu Buche, der ihm in einem hochklassigen Duell zweier Rechtsausleger das Nachsehen gab. Die beiden gingen von Beginn an heftig aufeinander los, wobei Stevenson seine Linke mehrfach ins Ziel brachte, während der etwas kleinere Ramirez aus der Nahdistanz unablässig zum Körper schlug. Die erste Runde ging bei allen drei Punktrichtern an den Kubaner, dessen höhere Aktivität honoriert wurde.

Den zweiten Durchgang sicherte sich Stevenson dank sehenswerter Kombinationen und gefährlicher Konter, so daß die dritte Runde über Gold oder Silber entscheiden mußte. Die Kontrahenten schenkten einander nichts, wobei Ramirez wiederum furios attackierte, während der US-Amerikaner eher auf gefährliche Einzeltreffer setzte. Am Ende sahen zwei Punktrichter den Kubaner in Front, während der dritte Ramirez den Zuschlag gab. Wie die Statistik von CompuBox bestätigte, sprach die höhere Schlagfrequenz eindeutig für Ramirez, der zudem in zwei von drei Runden auch etwas mehr Treffer erzielt hatte. [1]

Stevenson boxte eher wie ein Profi, der einen Kampf über zwölf Runden vor sich hat und deshalb etwas langsamer und bedachtsamer zu Werke geht. Hingegen war Ramirez optimal auf drei Durchgänge eingestellt, in denen er pausenlos Druck machen und schnell zuschlagen muß, will er die Oberhand gewinnen. Daher ist am knappen Urteil zugunsten des Kubaners nicht zu rütteln, der stets den Kampf suchte und Stevenson damit tendenziell überforderte. Dies zeigte sich insbesondere in der dritten Runde, als er unvermindert auf seinen Gegner eindrang und ihn zum Schlagabtausch aufforderte, doch der US-Amerikaner nicht darauf einging, sondern langsamer und eher aus der Defensive zum Zuge zu kommen versuchte. [2]

Shakur Stevenson wird längst von mehreren Promotern umworben, allen voran Floyd Mayweather, dessen vielbeachtete Anwesenheit in Rio explizit dem Vorhaben geschuldet war, den jungen Bantamgewichtler in sein Team zu holen. Gewehr bei Fuß steht aber auch Bob Arum, der auf bemerkenswerte Erfolge bei der Vermarktung früherer Olympiateilnehmer verweisen kann, wenn man beispielsweise an Oscar de la Hoya, Floyd Mayweather oder Miguel Cotto denkt. Nachdem man angesichts der Initiative Mayweathers damit gerechnet hatte, daß er auf Anhieb das Rennen um Stevenson machen würde, teilte dieser ausdrücklich mit, er habe nirgendwo unterschrieben, sondern kehre nach Hause zurück, um in aller Ruhe eine Entscheidung zu treffen. [3]

Stevenson hat ungeachtet seiner Finalniederlage mit seinem in den US-Medien aufmerksam verfolgten und kommentierten Auftritt in Rio de Janeiro zweifellos den Grundstein für eine Profikarriere gelegt. Dank seines Talents und der attraktiven Kampfesweise könnte er es weit bringen, wobei er auf die Dauer wohl einige Gewichtsklassen aufsteigen müßte, um das große Geld zu verdienen. Indessen kommen viele der populärsten und wohlhabendsten Boxer der Gegenwart aus den leichteren Limits, so daß sich eine weitere Erfolgsgeschichte anzubahnen scheint. Das größte Problem des 19jährigen aus New Jersey dürfte allerdings sein, sich nicht im Gespinst der Vorschußlorbeeren und auf ihn projizierten Erwartungen zu verheddern.

Daß das US-amerikanische Profigeschäft zugleich ein Auge auf den zweifachen Olympiasieger Robeisy Ramirez geworfen hat, liegt auf der Hand. Es fließen Krokodilstränen unter der Klage, daß es der Kubaner allenfalls zu einer weiteren Olympiateilnahme im Jahr 2016, ansonsten aber zu nichts bringen könne - sofern er sein Land nicht verlasse und sein Glück in den USA mache. Danach sieht es derzeit aber nicht aus, hätte Ramirez doch bereits nach seiner Goldmedaille von London die Gelegenheit suchen können, Kuba den Rücken zu kehren, um seine sozialisierte Ausbildung zu einem hervorragenden Amateurboxer fortan als sein persönliches Eigentum zu privatisieren und sich die Taschen zu füllen.


Fußnoten:

[1] http://www.espn.com/olympics/story/_/id/17354149/us-bantamweight-shakur-stevenson-loses-gold-medal-robeisy-ramirez

[2] http://www.boxingnews24.com/2016/08/robeisy-ramirez-shakur-stevenson-results/#more-215340

[3] http://www.boxingnews24.com/2016/08/shakur-stevenson-hasnt-signed-mayweather/#more-215351

22. August 2016


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