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MELDUNG/1988: Dem Munde nach ein Superheld (SB)



Chris Eubank will Gennadi Golowkins Schwächen erkannt haben

Chris Eubank jun. hat einen berühmten Vater, der einst Weltmeister im Mittelgewicht und Supermittelgewicht war. Für den 26jährigen Sprößling der britischen Legende stehen 22 Siege und eine Niederlage zu Buche, wobei sich die Namen seiner Gegner wie Dimitri Tschudinow, Gary O'Sullivan, Nick Blackwell und nun Tom Doran nicht gerade wie die Crème de la Crème der aktuellen Mittelgewichtsszene lesen. Für die Schlappe gegen Billy Joe Saunders hat er nicht Revanche genommen, und als er im Frühjahr Pflichtherausforderer des regulären WBA-Champions Daniel Jacobs geworden war, zog er einen Kampf um den britischen Titel gegen Blackwell vor. Als die beiden im März aufeinandertrafen, war Eubank von vornherein derart überlegen, daß er problemlos in der zehnten Runde die Oberhand behielt. Nick Blackwell zog sich dabei ein Blutgerinnsel im Gehirn zu, lag einige Zeit im Koma und hat seine Karriere beendet.

Obgleich Chris Eubank und sein Promoter Eddie Hearn für den Verzicht auf einen Kampf gegen Jacobs, den Schritt zurück auf die nationale Ebene und die Wahl eines schwachen Gegners harsch kritisiert worden waren, hat Eubank den Gürtel seither nicht niedergelegt, um sich anspruchsvolleren Aufgaben zu widmen. Er verteidigt den Titel am kommenden Samstag gegen Tom Doran, der zwar in 17 Auftritten ungeschlagen, aber noch schwächer als Blackwell einzuschätzen ist. Der Kampf wird in der Londoner O2 Arena im Vorprogramm der Titelverteidigung Anthony Joshuas gegen Dominic Breazeale ausgetragen.

Obgleich nur wenige davon ausgehen, daß Doran länger als sechs Runden standhalten wird, verkündete Chris Eubank auf der letzten Pressekonferenz vor dem Kampf, er wolle Weltmeister werden und sich zu diesem Zweck mit Gennadi Golowkin messen. Wenngleich viele den Kasachen bereits für den besten Boxer aller Gewichtsklassen hielten, habe er ihn unter die Lupe genommen und dabei nichts entdeckt, was er selbst nicht auch zustande bringe. Golowkin schlage zwar kräftig zu, doch was Schnelligkeit, Technik und Defensive betreffe, könne er Lücken beim Weltmeister ausmachen, die er sich zunutze machen wolle.

Außerdem habe er im Sparring mit Schwergewichtlern trainiert, deren Schläge ihm nichts anhaben konnten. Deshalb sei er zuversichtlich, auch die Treffer des Kasachen wegstecken zu können. Golowkin baue ausschließlich auf die Wucht seiner Schläge und die Einschüchterung aller Gegner. Er habe jedoch keine Angst vor ihm und werde ihm jeden seiner Treffer dreifach heimzahlen. Wie diese einfache Arithmetik zeige, könne ihn der Kasache nicht besiegen. Zuerst werde er sich dessen Skalp holen, dann im Mittelgewicht gründlich aufräumen und sich Saul "Canelo" Alvarez, Daniel Jacobs und Billy Joe Saunders vorknöpfen. [1]

Die Selbstüberschätzung des jungen Briten ist phänomenal, hat er doch in seiner Karriere noch keinen Gegner besiegt, der auch nur annähernd so gefährlich wie Gennadi Golowkin wäre. Der Kasache hat ihm allein schon eine lange und erfolgreiche Amateurlaufbahn voraus und sich dann im Profilager in einem Maße weiterentwickelt, von dem der Brite nur träumen kann. Golowkin ist in 35 Kämpfen ungeschlagen und Weltmeister der Verbände WBA, WBC, IBF und IBO im Mittelgewicht. Vor allem aber hat er seit sieben Jahren jeden Gegner vorzeitig besiegt und sich nie gescheut, die namhaftesten Kontrahenten herauszufordern. Seine Rolle als Schrecken der Konkurrenz beruht nicht auf psychologischen Tricks oder Imponiergehabe, sondern einer weithin gefürchteten boxerischen Überlegenheit.

Saul "Canelo" Alvarez, dank seiner riesigen mexikanischen Fangemeinde der aktuelle Superstar der Branche, geht Golowkin weiter aus dem Weg. Die Golden Boy Promotions fürchten verständlicherweise um ihr Zugpferd und wollen "Canelo" erst im Herbst 2017 gegen Golowkin antreten lassen, wie soeben offiziell bestätigt wurde. Da der Kasache folglich für seinen nächsten Auftritt einen anderen Gegner suchen muß, kommt Chris Eubank ins Spiel, der allen Ernstes zu glauben scheint, er könne dem Weltmeister das Wasser reichen. [2]

Gennadi Golowkin und sein Promoter Tom Loeffler haben bereits signalisiert, daß sie für diesen Kampf nach England kommen würden, der sich dort am besten vermarkten ließe. Eubanks Promoter Eddie Hearn zeigte sich zuversichtlich, was eine mögliche Austragung betrifft, fügte aber einschränkend hinzu, daß alle Beteiligten auch dazu bereit sein müßten. Diese Nebenbemerkung gibt ohnehin kursierenden Spekulationen neue Nahrung, Chris Eubank werde wiederum kalte Füße bekommen, wenn es ernst wird. Als er Daniel Jacobs haben konnte, nahm er Chris Blackwell. Was wird er tun, wenn ein Kampf gegen Golowkin plötzlich Gestalt anzunehmen droht?


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2016/06/eubank-jr-see-holes-golovkins-game-can-exploit/#more-212336

[2] http://www.boxingnews24.com/2016/06/eubank-jr-ill-take-golovkins-scalp-clean-division/#more-212290

23. Juni 2016


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