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MELDUNG/1959: Strafe um der Strafe willen? (SB)



Lucas Browne nach positiver B-Probe suspendiert

Lucas Browne ist nicht mehr regulärer Weltmeister der WBA im Schwergewicht. Der Verband hat dem Australier den Titel aberkannt, nachdem auch in dessen B-Probe Spuren des verbotenen Steroids Clenbuterol nachgewiesen worden waren. Browne hatte den Gürtel am 5. März in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny durch einen Sieg in der zehnten Runde gegen den Usbeken Ruslan Tschagajew gewonnen. Nachdem bei der Dopingkontrolle die A-Probe positiv ausgefallen war, wartete die WBA zunächst das zweite Testergebnis ab, ehe Browne als Champion abgesetzt und für sechs Monate gesperrt wurde. Der Verband annullierte das Ergebnis des Kampfs und erklärte Tschagajew wieder zum regulären Weltmeister.

Nach seinem Sieg war Browne nach Australien zurückgekehrt, wo man ihn als ersten Schwergewichtsweltmeister des Landes wie einen Helden feierte. Diese Errungenschaft wird nun aus den Geschichtsbüchern getilgt. Seit Bekanntgabe des Ergebnisses der A-Probe hatte der Australier stets seine Unschuld beteuert und sich vor wenigen Tagen freiwillig dem Test an einem Lügendetektor unterzogen, der zu seinen Gunsten ausging. Tatsächlich sprechen alle nennenswerten Argumente für seine Version: Der 37jährige hatte darauf bestanden, daß die strengen Tests von der Voluntary Anti-Doping Association (VADA) in Las Vegas vorgenommen wurden. Zudem machte er geltend, daß Clenbuterol vor allem zur Gewichtsreduzierung verwendet wird, die im Schwergewicht keine Rolle spielt.

Überdies war eine Überprüfung vier Tage vor seiner Ankunft in Grosny negativ ausgefallen, was für seine Annahme spricht, daß er die fragliche Substanz über ein Getränk oder Nahrungsmittel vor Ort aufgenommen habe müsse, das ihm möglicherweise sogar absichtlich zugeführt worden sei. Da sich dieser Verdacht aber nicht belegen läßt, blieb dem Verband kaum eine andere Wahl, als ihn in Übereinstimmung mit dem Reglement zu sanktionieren. Wie der Präsident der WBA, Gilberto Mendoza, gegenüber ESPN.com dazu erklärte, habe Browne die Öffnung der B-Probe verlangt, deren Test ordnungsgemäß vorgenommen worden sei. Der Vorgang sei sehr bedauerlich, zumal es sich um den ersten Schwergewichtsweltmeister australischer Herkunft handle. Den Umständen entsprechend verhängte der Verband nur die Mindestsperre von einem halben Jahr.

Bei der Entscheidung habe man das negative Testergebnis unmittelbar vor dem Kampf, die geringfügige Menge der nachgewiesenen Substanz und das Fehlen jeglicher logischen wettbewerbsverzerrenden Gründe berücksichtigt, heißt es in der schriftlichen Stellungnahme der WBA. Andererseits habe Browne den Kampf unter dem Einfluß einer verbotenen Substanz bestritten, so daß man nicht ausschließen könne, daß der Sportler aus irrationalen Gründen einen tatsächlichen oder vermeintlichen Vorteil gesucht habe. Ob Browne die verbotene Substanz absichtlich oder unwissentlich zu sich genommen habe, ändere nichts an dem Umstand, daß der Boxer und sein Team die Verantwortung dafür tragen, was er zu sich nimmt. Die Einschätzung seitens des Verbands habe jedoch Einfluß auf die Dauer der verhängten Sperre gehabt.

Der Australier, für den nun 23 Siege sowie ein Kampf ohne Wertung zu Buche stehen, will alle weiteren Schritte seinem Anwalt überlassen. Er danke allen, die ihn unterstützt hatten, besonders aber seinen Landsleuten und Fans in Australien. Seine Sperre endet am 5. September, worauf er wieder in die Rangliste der WBA aufgenommen wird, sofern er sich bereiterklärt, im laufenden Jahr auf eigene Kosten stichprobenartig getestet zu werden. Theoretisch könnte Browne sein Glück auch bei einem anderen Verband suchen, da die Sportkommissionen nicht an die Suspendierung seitens der WBA gebunden sind.

Beim Titelkampf in Grosny bot der Australier eine enorme kämpferische Leistung, nachdem ihn Tschagajew zunächst dominiert und kurz vor Ende der sechsten Runde niedergeschlagen hatte. Als der Usbeke konditionell nachließ, kam Browne zwar besser zur Geltung, schien aber eine Niederlage nach Punkten kaum abwenden zu können. Doch in der zehnten Runde wendete sich überraschend das Blatt, als er den Titelverteidiger mit einem Volltreffer auf die Bretter schickte. Tschagajew kam rechtzeitig wieder auf die Beine, mußte aber in der Folge widerstandslos eine Serie weiterer Treffer über sich ergehen lassen, bis Ringrichter Stanley Christodoulou dazwischenging und ihn aus dem Kampf nahm.

Wie es hieß, habe Ruslan Tschagajew nach dieser Niederlage seine Karriere beendet. Die jüngste Entwicklung könnte ihn jedoch veranlassen, die Boxhandschuhe wieder anzuziehen. Sollte das der Fall sein, müßte er sich erneut mit dem Pflichtherausforderer Fres Oquendo befassen, den er im Juli 2014 in Grosny umstritten nach Punkten besiegt und sich damit den Titel gesichert hatte. Der Puertoricaner hat vor allem wegen einer Schulterverletzung seither nicht mehr im Ring gestanden, so daß sich Tschagajew gute Chancen ausrechnen könnte, ihn erneut in die Schranken zuweisen. Die WBA hat jedenfalls beiden Lagern eine Frist von 30 Tagen gesetzt, sich über die Konditionen des Kampfs zu einigen, der binnen 120 Tagen ausgetragen werden muß. Sollten die Verhandlungen scheitern, wird er Verband eine Versteigerung der Austragungsrechte ansetzen.

Da die WBA bislang mit einem Superchampion, einem regulären Weltmeister sowie einem Interimschampion in abgestufter, aber nicht ganz eindeutiger Rangfolge drei Titelträger pro Gewichtsklasse geführt hat, sah sich der Verband wachsender Kritik ausgesetzt. Der berechtigte Einwand nicht nur an die Adresse der WBA, diese Diversifizierung trage nicht unmaßgeblich zur Verwirrung des Sportpublikums bei und sei der Akzeptanz des Boxsports abträglich, ist offenbar nicht ohne Folgen geblieben. So hat die WBA angekündigt, sie wolle die Zahl ihrer Weltmeister auf einen einzigen pro Gewichtsklasse reduzieren.

Mendoza zufolge soll in diesem Sinne der Sieger des Kampfs zwischen Tschagajew und Oquendo im nächsten Schritt auf den Interimschampion treffen. Diesen Rang nimmt derzeit der Kubaner Luis Ortiz ein, der im August oder September auf Alexander Ustinow trifft. Wer sich in diesem Miniturnier durchsetzt, bekommt es mit dem Superchampion zu tun, der am 9. Juli bei der Revanche zwischen Tyson Fury und Wladimir Klitschko ermittelt wird. Man darf gespannt sein, ob dieser langfristig angelegte Plan angesichts seiner diversen Unwägbarkeiten tatsächlich umgesetzt wird. [1]

Zieht Tschagajew indessen den sportlichen Ruhestand vor, würden Luis Ortiz und Alexander Ustinow sofort um den vakanten regulären Titel kämpfen. Der Sieger müßte anschließend gegen Fres Oquendo antreten, so daß zumindest schon einmal der Interimschampion abgeschafft wäre. Von diesem Modus abgesehen wäre wünschenswert, daß Lucas Browne nach Ablauf seiner Sperre noch einmal Gelegenheit bekommt, auf die eine oder andere Weise um den Titel des hoffentlich einzigen WBA-Weltmeisters zu kämpfen. [2]


Fußnoten:

[1] http://espn.go.com/boxing/story/_/id/15525817/lucas-browne-stripped-heavyweight-title-positive-b-sample

[2] http://www.boxingnews24.com/2016/05/lucas-browne-stripped-wba-world-heavyweight-title/#more-209943

15. Mai 2016


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