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MELDUNG/1906: Bogen der Ambitionen überspannt? (SB)



Chris Eubank legt den Rückwärtsgang ein

Chris Eubank jun., Sohn der gleichnamigen britischen Boxlegende, die jeden Schritt ihres Sprößlings mit Argusaugen verfolgt und bei allen Entscheidungen das letzte Wort zu haben scheint, hat eine absonderliche Kehrtwende vollzogen. Führte das familiäre Gespann bislang sogar Gennadi Golowkin im Mund, den zu besiegen es sich erstaunlicherweise in der Lage sah, so stößt die Wahl des nächsten Gegners auf wenig Verständnis. Der 26jährige Eubank hatte sich im Dezember in der siebten Runde gegen den überforderten Gary O'Sullivan durchgesetzt und war dadurch Pflichtherausforderer des regulären WBA-Weltmeisters im Mittelgewicht, Daniel Jacobs, geworden. Daher läge es nahe, daß der an Nummer zwei der WBA-Rangliste geführte Brite, für den 21 Siege und eine Niederlage zu Buche stehen, entweder von dieser Option Gebrauch macht oder gegen einen anderen hochklassigen Akteur antritt.

Als lege er den Rückwärtsgang ein, steigt Chris Eubank jedoch am 3. März in Kent mit dem Britischen Meister Nick Blackwell in den Ring, für den 19 Siege, drei Niederlagen sowie ein Unentschieden zu Buche stehen. Blackwell ist sich natürlich im klaren darüber, daß er die Rolle des Schlachtopfers übernehmen soll. Er kündigt dem Favoriten dennoch einen harten Kampf an und übt sich in Zuversicht, am Ende die Oberhand zu behalten. Wenngleich er auf dem Papier der Außenseiter sei, verfüge er doch über die erforderlichen Mittel, das Blatt zu seinen Gunsten zu wenden. Dieser Kampf sei in der Vergangenheit schon mehrfach im Gespräch gewesen, aber nicht realisiert worden.

Blackwell trifft den Nagel insofern auf den Kopf, als dieses Aufeinandertreffen vor einigen Jahren Sinn gemacht hätte. Inzwischen ist Eubank jedoch auf der Karriereleiter so weit nach oben geklettert, daß der Gürtel des Landesmeisters kein ernsthafter Ansporn für ihn mehr sein kann. Um so weniger wäre es eine attraktive Option, diesen Titel in der Folge im heimischen Umfeld für relativ wenig Geld zu verteidigen. Nick Blackwell taucht zwar an Nummer 15 der aktuellen WBC-Rangliste auf, hat aber bereits gegen Billy Joe Saunders, Max Bursak und Martin Murray verloren. Im Jahr 2014 trennte er sich unentschieden von Sergej Chomitski, doch standen ihm dabei wohlgesonnene Punktrichter zur Seite. Alles in allem ist er also nicht gerade ein harter Prüfstein für einen ehrgeizigen Kandidaten, der sich bereits als kommender Champion sieht.

Offenbar hat man im Lager Eubanks beschlossen, den Bogen der Ambitionen nicht zu überspannen oder wenigstens eine moderate Zwischenetappe einzuschieben, ehe man sich an die dicken Brocken heranwagt. Der Kampf gegen Blackwell ließ sich wohl unaufwendig arrangieren und dürfte den Favoriten vor keine Probleme stellen, denen er nicht gewachsen ist. Sollte es ihm vorübergehend an Selbstvertrauen fehlen, wovon bislang nicht das geringste zu erkennen war, kann er mit einem erfolgreichen Auftritt wieder Tritt fassen.

Daß es bei einer kurzen Episode auf niedrigerem Niveau bleiben soll, legt zumindest die Äußerung Eubanks nahe, er sei an einem Kampf gegen seinen Landsmann Amir Khan interessiert, sofern dieser am 7. Mai gegen Saul "Canelo" Alvarez die Oberhand behält und neuer WBC-Weltmeister im Mittelgewicht wird. Natürlich bleibe abzuwarten, wie Khan mit dem erheblich schwereren Gegner zurechtkommt. Es zeuge jedenfalls von großem Mut, als Weltergewichtler erstmals im Mittelgewicht anzutreten und es dabei auch noch mit einem Kontrahenten dieses Kalibers aufzunehmen. [1] Wenn Eubank zwar um den für ihn unterwertigen britischen Titel kämpft, aber zugleich eine Herausforderung Amir Khans in Erwägung zieht, falls dieser tatsächlich WBC-Champion werden sollte, braucht man sich wohl um seine Selbsteinschätzung keine größeren als die üblichen Sorgen zu machen.


Fußnote:

[1] http://www.boxingnews24.com/2016/02/chris-eubank-jr-face-nick-blackwell-march-5/#more-205137

9. Februar 2016


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