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MELDUNG/1875: Wermutstropfen im Siegerpokal (SB)



Deontay Wilder steht der Sinn nach Fury oder Klitschko

Deontay Wilder, der den WBC-Titel im Schwergewicht am 16. Januar gegen den Polen Artur Szpilka verteidigt, denkt längst über diesen Tag hinaus. Er spricht jedoch nicht vom russischen Pflichtherausforderer Alexander Powetkin, gegen den er eigentlich im Frühjahr 2016 antreten müßte. Dem in 35 Kämpfen ungeschlagenen US-Amerikaner steht vielmehr der Sinn nach dem Sieger der Revanche zwischen Tyson Fury und Wladimir Klitschko, wobei es für ihn keine große Rolle zu spielen scheint, wen von beiden er vor die Fäuste bekommt.

Gegen den 39 Jahre alten Klitschko spräche aus seiner Sicht allenfalls dessen Alter, da man im Falle des erhofften Sieges einwenden könnte, der Ukrainer habe inzwischen einer langen Karriere Tribut zollen müssen und sei nicht mehr auf der Höhe seines früheren Könnens. Der 27jährige Fury hingegen ist drei Jahre jünger als Wilder, was jegliche Bedenken hinsichtlich der körperlichen Verfassung des Briten aus dem Feld schlagen würde.

Wenngleich Powetkin beim World Boxing Council auf sein Vorrecht pochen wird, mit dem Weltmeister in den Ring zu steigen, könnte ihm eine lukrative Abfindung möglicherweise die Wartezeit versüßen. Ob der Sieger des Rückkampfs zwischen Fury und Klitschko große Lust verspürt, sich mit dem gefährlichsten Akteur der Königsklasse zu messen, der sämtliche Gegner bis auf Bermane Stiverne beim Titelgewinn vorzeitig geschlagen hat, steht auf einem anderen Blatt. Allerdings ließe sich mit kaum einer sonstigen Option derart viel Geld verdienen, zumal die Forderung immer lauter erschallt, es müßten endlich klare Verhältnisse geschaffen werden, indem die führenden Schwergewichtler aufeinandertreffen und die Titel zusammenführen.

Natürlich wäre auch der aufstrebende Brite Anthony Joshua keine schlechte Wahl, doch ist er dem breiteren Publikum in den USA praktisch unbekannt, so daß er sich dort schlecht vermarkten ließe. David Haye kehrt zwar nach dreieinhalb Jahren Pause Mitte Januar in den Ring zurück, doch muß sich erst einmal zeigen, wie es um seine physischen Voraussetzungen bestellt ist. Der ehemalige Champion aus London hat seit seiner Schulteroperation nicht mehr gekämpft und dürfte enorme Mühe haben, sich nach so langer Zeit konditionell wieder nach vorne zu bringen. Auch ist gerade in seinem Fall eine erneute Verletzung nicht auszuschließen, die jegliche Planungen zunichte machen könnte. Im übrigen hat Tyson Fury einen Kampf gegen Haye vehement ausgeschlossen, dem er noch heute vorwirft, ihr vor einiger Zeit geplantes Duell unter vermeintlich fadenscheinigen Ausreden abgesagt zu haben.

Der Sieger des am 16. Januar anberaumten Kampfs zwischen dem Ukrainer Wjatscheslaw Hlaskow und Charles Martin aus den USA um den vakanten IBF-Titel, den der Verband Fury abgenommen hat, ist zumindest aus Wilders Sicht trotz des Gürtels weniger attraktiv. Keiner der beiden bringt einen Namen mit, der die Kasse klingeln ließe, so daß dies für den WBC-Champion nicht mehr als eine wenig einträgliche Zwischenstation wäre. [1]

Da Wilder sowohl schneller als Fury und Klitschko zu Werke geht als auch wirksamer zuschlagen kann, hätte er beste Aussichten, den Sieg davonzutragen. Mit einer Größe von 2,01 m ist der US-Amerikaner zwar fünf Zentimeter kleiner als der Brite, doch müßte er dessen vergleichsweise schwachen Schläge kaum fürchten. Der Ukrainer schlug in der Vergangenheit einen gefährlichen linken Haken und konnte mit der Rechten gehörig nachlegen, doch scheint ihm diese Fähigkeit inzwischen abhanden gekommen zu sein. Schon bei seinem Punktsieg gegen Bryant Jennings im Frühjahr beschränkte er sich weitgehend auf den Jab, und selbst den schien er bei der Niederlage gegen Fury im November fast vergessen zu haben.

Seiner über die Jahre eingeschliffenen Strategie, sich die zumeist kleineren Gegner mit einem harten Jab vom Leib zu halten oder sofort zu klammern, wenn ihm der Kontrahent doch einmal näher kam, war gegen den riesigen Briten schlichtweg der Boden entzogen. Klitschko wirkte wie paralysiert, da er aufgrund der Größe und Reichweite Furys weder mit dem Jab an ihn herankam, noch sich bei seinen Klammerversuchen auf ihn legen konnte. Er zog sich im Gedränge auch noch Rißwunden zu, die seine oberste Maxime, auf keinen Fall getroffen zu werden, nur noch zu verfestigen schienen. Dies erlaubte es dem Herausforderer, unbehelligt herumzutanzen, Löcher in die Luft zu schlagen und zwischendurch dank seiner längeren Arme von oben herab genügend Treffer zu landen, um die Zettel der Punktrichter zu füllen.

Gegen Deontay Wilder sähe es für Klitschko noch schlimmer aus, da die körperlichen Verhältnisse ähnlich wären, der US-Amerikaner jedoch im Unterschied zu Fury präzise und wirksam zuschlagen kann. Auch der Brite hätte im Kampf mit Wilder schlechte Karten, da er einem Kontrahenten gegenüberstände, der keine Angst vor seinen harmlosen Schlägen hat, sondern ihn mit rasanten Wirkungstreffern angreift.

Sollte sich Klitschko bei der Revanche durchsetzen, wird er eher als Fury dazu neigen, im nächsten Schritt auf Nummer Sicher zu gehen und Wilder zu meiden. Allerdings neigt sich seine Karriere dem Ende zu, so daß ihm wenig Zeit bleibt, das allseits beschworene Gipfeltreffen über die Bühne zu bringen, ehe das Niveau seines Könnens unwiderruflich sinkt. Tyson Fury, der noch nie ein Kind von Traurigkeit war, würde sich wohl zu einer sofortigen Kampfansage an Wilder hinreißen lassen und vermutlich sogar überzeugt sein, auch den Amerikaner vermöbeln zu können. In seinem Fall eröffnete freilich ein innerbritischer Kampf gegen Anthony Joshua die lockende Alternative, mit einer leichter lösbaren Aufgabe große Kasse zu machen.

Angesichts dieser Rechnung mit vielen Unbekannten bleibt Raum zur Spekulation, von dem der professionelle Boxsport nicht weniger lebt als den Auftritten im Ring. Lichten wird sich der Nebel frühestens dann, wenn die Frage beantwortet ist, ob Tyson Fury als Weltmeister am Ende doch nur eine Eintagsfliege war. Eines steht jedenfalls schon heute fest: In den Siegerpokal bei der Neuauflage des ukrainisch-britischen Duells wird sich ein bitterer Wermutstropfen mischen, der die Züge Deontay Wilders trägt.


Fußnote:

[1] http://www.boxingnews24.com/2015/12/wilder-wants-fury-klitschko-winner/#more-203677

31. Dezember 2015


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