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MELDUNG/1832: Tiraden im Schlingerkurs (SB)



Heute Ali, morgen Rücktritt - Tyson Furys Redeschwall

Seinem Naturell folgend und die finanziell einträgliche Bewerbung des kommenden Auftritts fest im Blick, läßt Tyson Fury keine maßlose Überzeichnung der eigenen Person und ominöse Andeutung vorgeblicher Zukunftspläne aus. Da Wladimir Klitschkos Talent nicht gerade in der Sparte unterhaltsamer Wortbeiträge erblüht, bleibt dem 2,06 m großen Briten das Feld weitgehend überlassen, unablässig schwadronierend verbalen Müll zu produzieren. Allerdings steht zu befürchten, daß diese Kampagne nicht so sehr von einem pragmatischen Geschäftssinn getrieben ist, der Worte in Geld zu verwandeln sucht, als vielmehr aus einer unerschöpflichen Quelle grenzenloser Selbstüberschätzung gespeist wird.

Daß er Klitschko am 28. November in Düsseldorf eine Abreibung verpassen und ihm die Gürtel abnehmen werde, verkündet Fury seit Anbeginn. Sollte er unterliegen, werde er die Boxhandschuhe sofort an den Nagel hängen, da er in diesem Fall im Schwergewicht nichts mehr zu suchen habe, schloß der Brite die Möglichkeit der eigenen Niederlage im Grunde aus. Neu ist hingegen die Botschaft, er sei der Muhammad Ali von heute, da es im gesamten zeitgenössischen Boxsport keinen gebe, der ihm das Wasser reichen könne. Nach dem Rücktritt Floyd Mayweathers breche eine neue Ära an, die seinen Namen tragen werde, so Fury. Am Abend seines Kampfs gegen Klitschko werde man den schillerndsten und umstrittensten Boxer seit Ali erleben, und darauf habe die Welt gewartet. Sollten ihm die Schuhe der Legende nicht passen, werde man noch eine Ewigkeit auf einen Nachfolger warten, da er weit und breit nur Roboter erkennen könne, die Befehle ausführten. Folglich brauche ihn die Welt, um die Landschaft des Schwergewichts von Grund auf zu verändern. [1]

Wenngleich es in der Branche zu den üblichen Gepflogenheiten zählt, möglichst viel Unsinn zu reden, aus dem das Schmiermittel einer erfolgreichen Vermarktung gewonnen wird, driften die Tiraden des 27jährigen Briten doch zunehmend ins Aberwitzige ab. Er hat Gegner wie Steve Cunningham, Joey Abell, Christian Hammer, Martin Rogan, Nicolai Firtha, Vinny Maddalone, Kevin Johnson, Neven Pajkic, Marcelo Luiz Nascimento und damit keinen einzigen Schwergewichtler der höchsten Kategorie geschlagen. Sein namhaftester Kontrahent war Dereck Chisora, den zu besiegen ihm den Titelkampf gegen Klitschko geschenkt hat. Sich dennoch mit Muhammad Ali zu vergleichen und zum Nachfolger Floyd Mayweathers zu erklären, mutet nachgerade peinlich an.

Als sei dieser Fehlgriff nicht abstrus genug, redet Fury inzwischen davon, er werde seine Karriere womöglich nach dem Sieg über Klitschko beenden. Das wirft zwangsläufig die Frage auf, ob er tatsächlich nicht weiß, was er will und daherredet, oder vielleicht laut darüber nachdenkt, wie er sich am glimpflichsten aus der Affäre ziehen könnte. Hatte der Brite früher versichert, er werde Wladimir Klitschko und Deontay Wilder auf die Bretter schicken, um sämtliche Gürtel in der Königsklasse zu vereinen, so scheint er inzwischen über einen Abgang mit gefüllten Taschen zu räsonieren. Wollte man ausnahmsweise ernstnehmen, was aus dem Munde Furys dringt, so müßte man vermuten, er habe nur noch den langersehnten großen Zahltag im Sinn und bereits die Segel gestrichen, noch bevor er zum ersten bedeutenden Kampf seiner Karriere in den Ring steigt.

Wie der Herausforderer behauptet, müsse man dem Champion den gebührenden Respekt zollen, da er gegen einen jüngeren und ambitionierten Kontrahenten antrete, der größer, stärker und schneller sei. Was Furys Ambitionen betrifft, scheint es um sie jedoch nicht zum besten bestellt zu sein, wenn er schon jetzt von einem Rücktritt spricht. Wenngleich es zutrifft, daß er jünger und größer als der Ukrainer ist, endet damit auch schon die Liste seiner Vorteile. Jünger und größer als Klitschko war auch der Pole Mariusz Wach, der dennoch keine Chance gegen den Weltmeister hatte. Tyson Fury ist definitiv langsamer als der Ukrainer, der zudem erheblich wirksamer zuschlagen kann. Hinzu kommt das schwache Kinn des Briten, der schon mehrfach von körperlich unterlegenen Gegnern auf die Bretter geschickt worden ist. Zählt man die Erfahrung und technische Überlegenheit des Weltmeisters hinzu, bleibt wenig übrig, was der Herausforderer für sich ins Feld führen könnte. [2]

Wollte man von einer neuen Ära im Schwergewicht nach dem künftigen Abschied Wladimir Klitschkos sprechen, so denkt man nicht an Tyson Fury, sondern an Deontay Wilder. Der US-Amerikaner ist schon heute stärker als der Brite einzuschätzen und diesem in jeder Hinsicht überlegen. Wenngleich er noch einige Jahre brauchen wird, um sein Können zu vervollkommnen, ist er der mit Abstand gefährlichste Rivale Klitschkos und dessen designierter Nachfolger. Wilder boxt nicht nur wesentlich besser als Fury, sondern redet auch längst nicht so viele Ungereimtheiten daher wie der Brite, dessen Laufbahn bereits bei der ersten substantiellen Anforderung zu enden droht.


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2015/11/fury-still-comparing-himself-to-muhammad-ali/#more-201351

[2] http://www.boxingnews24.com/2015/11/tyson-fury-says-he-might-retire-after-klitschko-fight/#more-201341

4. November 2015


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