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MELDUNG/1716: Gewichtige Argumente für einen Außenseiter (SB)



Daniel Geale erheblich schwerer als Miguel Cotto

Wenn Miguel Cotto den WBC-Titel im Mittelgewicht am 6. Juni in Brooklyn gegen Daniel Geale verteidigt, wird er bis zu 7 kg leichter als der Herausforderer in den Ring steigen. Wie Geales Promoter Gary Shaw schätzt, werde der Australier nach dem Rehydrieren etwa 78 kg wiegen, die deutlich über der von Cotto geforderten Gewichtsgrenze von 71,2 kg beim offiziellen Wiegen liegen. Dieser Unterschied hinsichtlich der körperlichen Voraussetzungen könnte die boxerischen Vorteile mehr oder minder wettmachen, derentwegen der Puertoricaner bislang als Favorit in diesem Kampf gehandelt wurde.

Cotto, für den 39 Siege und vier Niederlagen zu Buche stehen, hatte den Titel im Juni 2014 gewonnen, als er Sergio Martinez in New York das Nachsehen gab. Der 40 Jahre alte Argentinier war damals nach zwei Operationen am rechten Knie und einer langen Verletzungspause in den Ring zurückgekehrt, wo ihn das nach wie vor nicht ausreichend funktionsfähige Gelenk in seinen Bewegungsmöglichkeiten gravierend einschränkte. Martinez hat seither keinen Kampf mehr bestritten und wird seine Karriere wohl in wenigen Tagen auch offiziell für beendet erklären.

Wenngleich der Puertoricaner eine gute Leistung bot, waren diese Umstände seines Aufstiegs zum Weltmeister wenig geeignet, in ihm einen würdigen Nachfolger des vormals führenden Akteurs im Mittelgewicht zu sehen. Statt alle Zweifel mit Titelverteidigungen gegen hochklassige Herausforderer aus der Welt zu schaffen, legte Cotto eine überlange Pause ein, während der er vergeblich auf ein Duell mit Floyd Mayweather spekulierte. Daß er nun als Champion eine Gewichtsgrenze vereinbart hat, die unter den maximal 72,5 kg des Mittelgewichts liegt, rief weitere Kritik auf den Plan. Überdies wählte er für seine erste Titelverteidigung mit Daniel Geale einen Gegner aus, der im vergangenen Jahr von Gennadi Golowkin in nur drei Runden geschlagen auf die Bretter geschickt worden war.

Gary Shaw macht dem Außenseiter mit den Worten Mut, Cotto habe dennoch eine schlechte Wahl getroffen. Neben dem beträchtlichen Gewichtsvorteil könne Geale eine Beweglichkeit ins Feld führen, die dem Weltmeister zu schaffen machen dürfte. Er rechne mit einem ähnlich schweren Kampf wie jenem gegen Austin Trout, den der Puertoricaner kaum zu fassen bekam. [1]

Miguel Cotto und sein Trainer Freddie Roach hatten vor einem Jahr Gennadi Golowkin die kalte Schulter gezeigt und statt dessen Martinez ausgesucht, der einen guten Namen mitbrachte, aber körperlich nicht mehr der alte war. Dieses Kalkül ging auf, worauf man offenbar in Daniel Geale eine weitere leichte Beute sah, bevor es im Herbst zu einem hochdotierten Kampf gegen Saul "Canelo" Alvarez kommen soll. Allerdings ist Golowkin nicht nur Superchampion der WBA und Weltmeister der kleinen IBO, sondern auch Pflichtherausforderer Cottos beim Verband WBC, so daß der Kasache schon eine Abfindung erhalten müßte, um vorübergehend auf sein Vorrecht zu verzichten. Cotto wird keinesfalls gegen ihn antreten, da er Gefahr liefe, vorzeitig auf dem Boden zu landen wie sämtliche Gegner des Kasachen in den letzten sechs Jahren.

Daniel Geale könnte dem Puertoricaner einen unverhofften Strich durch die Rechnung machen und ihm den Gürtel abnehmen. Dessen ungeachtet wird es wohl unter allen Umständen zum Kampf gegen "Canelo" Alvarez kommen. Wie dessen Promoter Oscar de la Hoya versichert, setze er sich auch dann mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln dafür ein, dieses Duell auf den Weg zu bringen, sollte einer der beiden Kontrahenten zuvor einen Kampf verlieren. Da sich Saul Alvarez gegen James Kirkland durchgesetzt hat, der sich als Gegner nach Maß für den Mexikaner erwies, ist nun Miguel Cotto an der Reihe, die vermeintliche Zwischenetappe anstandslos zu passieren. Stolpert er über den Australier, würde das wohl die Buchungen im Bezahlfernsehen beeinträchtigen. Andererseits verfügen Cotto mit seinen puertoricanischen Anhängern in New York und "Canelo" Alvarez mit der hispanischen Fangemeinde über derart viel Rückhalt beim zahlenden Publikum, daß sich ihr Kräftemessen selbst dann noch recht gut vermarkten ließe, hätten beide zuvor den kürzeren gezogen.

Für Gennadi Golowkin, den erwiesenermaßen besten Boxer des Mittelgewichts, verlöre der WBC-Titel seinen Reiz, käme Daniel Geale in dessen Besitz. Da der Kasache den Australier schon einmal überzeugend besiegt hat, wäre eine Revanche nicht sonderlich attraktiv. Behält Miguel Cotto den Gürtel, wird er Golowkin trotzdem weiter aus dem Weg gehen. Gleiches gilt für Saul Alvarez, sollte es im Herbst zu einem Kampf gegen den Puertoricaner kommen und er den Titel gewinnen. Oscar de la Hoya hat bereits angekündigt, daß man zwei Jahre verstreichen lassen wolle, bevor Golowkin ein Thema werde. Da diesen alle namhaften Gegner seiner Gewichtsklasse meiden, böte sich ein Ausflug ins Supermittelgewicht an, wo Carl Froch mangels Alternativen darüber nachdenkt, sich vor großer Kulisse in einer englischen Arena mit dem Kasachen zu messen. Da der Brite in jüngerer Zeit jedoch geradezu der Gegenentwurf eines Boxers ist, der Nägel mit Köpfen macht, ist auch diese Option bislang kaum mehr als bloße Spekulation.


Fußnote:

[1] http://www.boxingnews24.com/2015/05/cotto-could-be-out-weighed-by-15lbs-by-geale-on-june-6th/#more-193683

26. Mai 2015


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