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MELDUNG/1329: Braucht Detroit einen neuen Helden? (SB)




Tony Harrison will die sterbende Metropole reanimieren

Detroits Blütezeit des Boxens mit dem legendären Kronk-Gym, Trainer Emanuel Steward und dessen Lieblingsschüler Tommy Hearns in den 80er Jahren mutet wie ein verwehender Traum aus einer goldenen Ära an. Damals blühte die "Autostadt" im US-Bundesstaat Michigan auf, fühlten sich ihre Bewohner mit der pulsierenden Metropole tief verbunden. Die Boxfans strömten zu Tausenden in die Joe Louis Arena, um ihre Helden anzufeuern. Heute siecht die zusehends verlassene Großstadt vor sich hin, beherrschen Angst, Trübsinn und Frustration den Alltag zahlloser verarmter Menschen. Immer mehr von ihnen kehren Detroit den Rücken, das 1980 rund 1,2 Millionen, 2010 jedoch nur noch knapp über 700.000 Einwohner zählte.

"Die Stadt Detroit braucht einen neuen Helden, und ich versuche, dieser zu sein!" Dieses Ziel ist Motor und Motivation des 23jährigen Halbmittelgewichtlers Tony Harrison, dessen Talent sein im Oktober 2012 verstorbener Trainer Emanuel Steward in den höchsten Tönen lobte. Vom neuen Star aus Detroit, der wie einst der ruhmreiche Tommy Hearns die Boxwelt auf den Kopf stellt, ist die Rede. Harrison, dessen Großvater Henry Hank in den 50er und 60er Jahren mit insgesamt 97 Profikämpfen für Unterhaltung sorgte, setzt alles daran, den Vorschußlorbeeren seines früheren Trainers gerecht zu werden und den gemeinsamen Traum vom Weltmeistertitel zu verwirklichen.

Um diesen Kurs unerschütterlich zu halten, mußte der in 16 Profikämpfen ungeschlagene Harrison beim "Showdown for Motown" im Masonic Temple den erfahrenen Grady Brewer besiegen, der auf 30 gewonnene und 17 verlorene Auftritte zurückblicken konnte. Wenngleich der Lokalmatador bereits dreizehn Gegner vorzeitig niedergestreckt hatte, galt sein Kontrahent in der anderen Ringecke doch als bislang schwerste Prüfung des jungen Gipfelstürmers.

Zwar hat der mittlerweile 43 Jahre alte Grady Brewer den Zenit seines Könnens längst überschritten, doch darf man ihn dennoch nicht auf die leichte Schulter nehmen. Der Veteran hat sich als Gewinner der ESPN-Fernsehshow "The Contender" einen Namen gemacht und kann sogar mit einem Sieg über den ehemaligen IBF-Weltmeister im Halbmittelgewicht, Cornelius Bundrage, aufwarten. Daß er noch immer ein Wort mitzureden hat, unterstrich Brewer im vergangenen Jahr, als er auf Osumanu Adama traf. Der Ghanaer setzte sich damals nur ganz knapp per Mehrheitsentscheidung der Punktrichter durch und sicherte sich damit den vakanten Interkontinentaltitel des kleinen Verbands IBO. Adama machte jüngst von sich reden, als er in Monte Carlo den amtierenden WBA-Weltmeister Gennadi Golowkin herausforderte, dessen außergewöhnlichem Können er allerdings nicht gewachsen war. [1]

Würde es Grady Brewer dank seiner enormen Erfahrung gelingen, den zwei Jahrzehnte jüngeren Lokalmatador in dessen Tatendrang zu bremsen? Er kam jedoch gar nicht erst dazu, seine Routine auszuspielen, da Tony Harrison sofort auf ihn eindrang und mit seinem schnellen Jab den Takt vorgab. Brewer sah sich augenblicklich in der Defensive und konnte erst gegen Mitte des Durchgangs einige Akzente setzen, als er seinen Gegner ein paarmal im Gesicht traf. Diese Schläge schienen Harrison nur noch mehr in Rage zu bringen, der daraufhin den Druck erhöhte und kurz vor der Pause ernst machte. Mit einem rechten Haken schickte er Brewer erstmals zu Boden und deckte ihn mit einem Schlaghagel ein, kaum daß er wieder auf die Beine gekommen war. Als nur noch wenige Sekunden zu boxen waren, fand sich der Außenseiter erneut auf den Brettern wieder, doch konnte er sich mit Müh und Not in die Pause retten.

Sichtlich angeschlagen und verunsichert kam Brewer zur zweiten Runde aus seiner Ecke, worauf Harrison den Kampf sofort von der Ringmitte aus weiter diktierte. Kaum war eine Minute verstrichen, als es zum dritten Niederschlag kam. Dennoch steckte der Außenseiter nicht auf und landete tapfer einige Treffer, die seinen Gegner jedoch nur kurzfristig zu irritieren vermochten. Wenig später war das Pulver des 43jährigen verschossen, der erneut zu Boden gehen mußte und dabei seinen Mundschutz verlor, der in den Zuschauerrängen landete. Noch immer gab sich Brewer nicht geschlagen und setzte seine aussichtslosen Bemühungen fort, wodurch er sich zwei weitere Niederschläge einhandelte. Kurz vor dem Pausengong hatte der Ringrichter endlich ein Einsehen und beendete den ungleichen Kampf, in dem Grady Brewer binnen zwei Runden nicht weniger als sechsmal auf den Brettern gelandet war.

Tony Harrison hat damit auch seinen Kampf Nummer 17 in souveräner Manier für sich entschieden und auf der Strecke inzwischen vierzehn Gegner vorzeitig in die Kabine geschickt. [2] Das macht aus ihm zwar noch keinen Helden, aber immerhin einen Boxer, der weiter davon träumen kann, eines fernen Tages als Retter Detroits gefeiert zu werden. Daß diese Stadt alles Erdenkliche, am wenigsten aber einen Helden braucht, steht auf einem andern Blatt.


Fußnoten:

[1] http://www.boxen-heute.de/artikel/5403-das-vermaechtnis-von-emanuel-stewardko-puncher-tony-superbad-harrison-auf-dem-weg-zum-ti.html

[2] http://www.boxen-heute.de/artikel/5411-detroit-braucht-einen-neuen-heldenko-king-tony-harrison-zerstoert-grady-brewer-in-der-zweiten-r.html

12. Februar 2014