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MELDUNG/1065: Extrawürste machen den Kohl nicht fetter (SB)




Ausscheidungskämpfe und Miniturniere produzieren Verwirrung

Für die breite Mehrheit des Sportpublikums dürfte mehr oder minder unerfindlich sein, auf welche Weise es ein Boxer zum Pflichtherausforderer des Weltmeisters bringt. Wenngleich es in den Statuten der Verbände natürlich Regeln für alles und jedes gibt, sind doch die Zeiten lange passé, in denen schlicht der Ranglistenerste das Vorrecht genoß, innerhalb einer festgesetzten Frist gegen den Champion antreten zu dürfen. Heutzutage sind Ausscheidungskämpfe um diesen Spitzenplatz oder sogar Viererturniere gang und gäbe, wobei mitunter große Verwirrung darüber herrscht, wer sich eigentlich wofür qualifiziert hat.

Sucht man nach Gründen für die nicht selten chaotisch anmutenden Zustände, stößt man auf ökonomische Interessen der finanziell beteiligten Verbände und Promoter wie auch generell gesprochen den Versuch, der Branche durch zusätzliche Reize größere Attraktivität zu verleihen. Daß dieses Vorhaben nur bedingt und befristet gelingen kann, liegt auf der Hand: Man schöpft ja dabei aus keiner externen Quelle, sondern plündert die Substanz der Boxer zusätzlich aus. Qualitativ höherwertig wird der professionelle Boxsport dadurch nicht, zumal die Zuschauer die Inflation der Titel und Sonderkonditionen weniger denn je nachvollziehen können. Das dürfte sich auf längere Sicht als verhängnisvoll erweisen, da in immer schnellerer Taktfolge vorgebliche Spektakel aus dem Hut gezaubert werden, die Höherwertigkeit vorgaukeln, indem sie die Mehrzahl der Akteure und Ereignisse zur Banalität degradieren.

Im Schwergewicht machten sich im Juli 2012 nach der Niederlage des Pflichtherausforderers Tony Thompson gegen Weltmeister Wladimir Klitschko die bestplazierten Kandidaten in der IBF-Rangliste Hoffnungen, automatisch an die Spitze vorzurücken. Der Verband setzte jedoch wie schon mehrfach in der Vergangenheit ein Miniturnier mit vier Teilnehmern an, dessen Sieger nächster offizieller Herausforderer des Ukrainers werden sollte.

Der Pferdefuß eines solchen Turniersystems im Profiboxen ist die zeitliche Dauer, da zwischen den einzelnen Kämpfen jeweils etliche Monate verstreichen. Dadurch geht in der Regel die erhoffte Zuschauerbindung verloren, da von Experten abgesehen über derart lange Strecken kaum jemand mitverfolgt, daß immer noch derselbe Wettbewerb im Gange ist. Noch schwerwiegender ist die Gefahr, daß durch zwischenzeitliche Verletzungen, Streitigkeiten der Promoter und günstigere Alternativen für den einen oder anderen Teilnehmer Verschiebungen oder Absagen nie auszuschließen sind, die den Turniermodus obsolet machen.

In dem damals von der IBF festgelegten Quartett sollte in der ersten Runde der Bulgare Kubrat Pulev (Nummer 3) auf den Kubaner Odlanier Solis (Nummer 5) und der Pole Tomasz Adamek (Nummer 4) auf den Weißrussen Alexander Ustinow (Nummer 6) treffen. Ob Wladimir Klitschko jemals gegen den Turniersieger antreten würde, stand in den Sternen. Da der Ukrainer Superchampion der WBA und WBO sowie regulärer Weltmeister der IBF und IBO ist, hat er diverse Pflichtverteidigungen zu absolvieren. Abgesehen davon sucht er sich die Gegner vorzugsweise nach seinen eigenen Kriterien aus, unter denen die Vermarktbarkeit des Herausforderers an erster Stelle steht.

Anfang Oktober 2012 gewann der amtierende Europameister im Schwergewicht, Kubrat Pulev, in der Sporthalle Hamburg seinen Ausscheidungskampf gegen Alexander Ustinow. Dabei lieferte der 31 Jahre alte Bulgare aus dem Sauerland-Boxstall seinem 2,02 m großen und mit einem Gewicht von fast 139 kg körperlich weit überlegenen Gegner ein bravouröses Gefecht, das mit einem Abbruch in der elften Runde endete. Während Pulev damit in 17 Profikämpfen ungeschlagen blieb, mußte der bei K2 Promotions unter Vertrag stehende Ustinow in seinem 22. Auftritt die erste Niederlage hinnehmen. Dank dieses Erfolgs rückte der Bulgare an die Spitze der IBF-Rangliste vor.

Beim Verband WBC traf der 30 Jahre alte Johnathon Banks am 17. November in einem Ausscheidungskampf auf seinen US-amerikanischen Landsmann Seth Mitchell. Nur dreieinhalb Wochen nach dem Tod seines Trainers und Mentors Emanuel Steward galt Banks, der unterdessen das Training Wladimir Klitschkos übernommen hatte, im Kampf gegen den vom Sender HBO aufgebauten Mitchell als Außenseiter. Dieser brachte nicht nur kompakte zehn Kilo mehr auf die Waage, sondern war auch in 25 Auftritten unbesiegt. Jonathon Banks konterte den anrennenden Gegner jedoch in der zweiten Runde perfekt ab und gewann überraschend durch Abbruch.

Parallel dazu wurde ein Duell zwischen Chris Arreola und Bermane Stiverne angesetzt, worauf die Sieger untereinander ausmachen sollten, wer sich als neuer Pflichtherausforderer mit WBC-Weltmeister Vitali Klitschko messen darf. Arreola und Stiverne sollten am 26. Januar 2013 in den Ring steigen, doch wurde dieser Kampf auf Grund diverser widriger Umstände inzwischen mehrfach verschoben.

Tomasz Adamek trat weder gegen den unterdessen wegen Inaktivität aus den Ranglisten gefallenen Kubaner Odlanier Solis, noch gegen den IBF-Ranglistenersten Kubrat Pulev an. Er plante zeitweise, sich mit dem Sieger der inzwischen vereinbarten Revanche zwischen Johnathon Banks und Seth Mitchell zu messen, doch war auch das nur eine von mehreren Optionen.

Um die Verwirrung vollzumachen, besiegte der ungeschlagene Brite Tyson Fury Anfang Dezember 2012 den erfahrenen US-Amerikaner Kevin Johnson, wobei aus nicht nachvollziehbaren Gründen ebenfalls von einem Ausscheidungskampf des WBC die Rede war. Am 20. April gibt Fury sein Debüt in den USA, wo er im Madison Square Garden auf Steve Cunningham, den früheren IBF-Weltmeister im Cruisergewicht, trifft. Da es sich definitiv um einen Ausscheidungskampf der IBF um den zweiten Platz der Rangliste handelt, könnte der Sieger anschließend auf den Bulgaren Kubrat Pulev treffen.

In einem Interview mit der BBC hat Vitali Klitschko jüngst erklärt, er werde im nächsten Schritt seine Pflichtverteidigung gegen Chris Arreola oder Bermane Stiverne bestreiten. Ob der Ukrainer mit Sicherheit davon ausgehen kann, daß nur der Sieger dieses Duells und kein anderer sein offizieller Herausforderer wird, ist allerdings ungewiß.

Die höchst unübersichtliche Situation führt fast zwangsläufig dazu, daß sich weitere Schwergewichtler Hoffnungen machen, auf den fahrenden Zug aufzuspringen. So hat sich der Kölner Manuel Charr angeboten, mit David Haye am 29. Juni in Manchester in den Ring zu steigen. Es ist nicht das erste diesbezügliche Angebot Charrs, der für sich geltend macht, Vitali Klitschko habe ihn seinerzeit in Moskau nicht wirklich besiegt. Er fordere eine Revanche gegen den Ukrainer und schlage deshalb eine Ausscheidung mit Haye vor, deren Sieger sich dann mit Klitschko messen könne.

Inzwischen hat jedoch Kubrat Pulev bestätigt, daß Gespräche mit David Haye für dessen Auftritt am 29. Juni geführt werden. Zwar sei der Brite ein gefährlicher Gegner, doch wohl nicht besser als er selbst, so der Bulgare. Wolle er sich weiterentwickeln, könne er eben nicht gegen mittelmäßige Kontrahenten antreten. Hayes Trainer und Manager Adam Booth will den Namen des Gegners bis Mitte April nennen. Pulev wäre als Ranglistenerster für den Briten in der Tat attraktiv, da der Sieger neuer Pflichtherausforderer bei der IBF werden könnte, sofern der Verband dieses Duell zum finalen Ausscheidungskampf erklärt. [1]

Fußnoten:

[1] http://www.boxen.de/news/kubrat-pulev-es-gibt-gespraeche-mit-david-haye-25715

5. April 2013