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MELDUNG/1031: Säbelrasseln für Britannia - Fury will seinen Landsmann rächen (SB)




Thompsons Sieg in Liverpool hat die Karten neu gemischt

Die Rivalität zwischen britischen und US-amerikanischen Schwergewichtlern ist so alt wie der professionelle Boxsport selbst. Der müßige und kaum zweifelsfrei zu klärende Streit um die Frage, wer den modernen Boxsport erfunden habe, lieferte einst die Begleitmusik zu einer Reihe spektakulärer Duelle diesseits und jenseits des großen Teichs. Nachdem sich mangels konkurrenzfähiger Akteure von der Insel jahrzehntelang allenfalls geschichtsinteressierte Experten für dieses Thema interessiert hatten, setzte in jüngerer Zeit die frische Blüte britischer Hoffnungsträger die alte Frage wieder auf die Tagesordnung. David Haye und Dereck Chisora, die mit Wladimir respektive Vitali Klitschko in den Ring stiegen, dazu aufstrebende Nachwuchstalente wie Tyson Fury und David Price, um nur die bekanntesten Protagonisten zu nennen, werteten Britannien wieder zu einer Hochburg der Königsklasse auf.

Vor seiner Reise nach Liverpool galt der US-amerikanische Schwergewichtler Tony Thompson als ein Boxer, der mit dem Karriereende vor Augen ein letztes Mal seinen schwindenden Ruf zu Markte trage. Man traute ihm allenfalls zu, sich achtbar gegen den aufstrebenden Briten David Price zu schlagen und mit fliegenden Fahnen unterzugehen. Ein Konter aufs Ohr des Lokalmatadors in der zweiten Runde hat alles verändert. Plötzlich steht der US-Amerikaner, der seit der Niederlage gegen Wladimir Klitschko im Juli 2012 keinen Kampf mehr bestritten hatte, wieder im Rampenlicht und kann selbstbewußt Forderungen stellen.

Wie Thompson nun unterstreicht, werde es nur eine Revanche geben, sofern Price bereit sei, in den USA anzutreten. Was immer im Vertrag ihres Liverpooler Kampfs stehe, interessiere ihn nicht mehr. Sie hätten ihm ohnehin viel zu wenig bezahlt, zieht der US-Amerikaner kräftig vom Leder. Er sei nur aus einem Grund nach England gereist: Dort winkte ihm die Chance, seiner Karriere einen Schub zu verleihen, und diese Gelegenheit habe er genutzt. Strebe man im Lager des Briten tatsächlich einen Rückkampf an, müsse man ihm auch bezahlen, was er wert sei, so Thompson.

Im Vorfeld des Kampfs gegen David Price hatte sich der US-Amerikaner mit der Aussage in die Nesseln gesetzt, man solle Doping im Boxsport zulassen, da ein Verbot ohnehin keine abschreckende Wirkung habe. Wenngleich das keine Kritik am Antidopingregime als solchem war, reichen selbst solche skeptischen Meinungsäußerungen inzwischen aus, moralische Instanzen aller Art auf den Plan zu rufen. Folglich sah sich Thompson genötigt, einige verbindliche Worte nachzuliefern, um nur ja nicht den Eindruck zu erwecken, er sei aus eigennützigen Gründen gegen Dopingkontrollen.

Daß er nach einer solchen Äußerung nicht ganz ungeschoren davonkommen würde, sei ihm schon klar gewesen, so der US-Amerikaner. Obgleich nichts davon im Vertrag stand, habe man ihm eine Nadel in den Arm gestochen. Er habe jedoch die ganze Aufregung geduldig über sich ergehen lassen, da ihm ein solcher Test nichts ausmache. Bei ihm werde man nichts finden, zumal man ohnehin nur seinen Bauch sehen müsse, um zu wissen, daß ihm alle künstlichen Mittel abhold seien.

Beim Interview nach seinem Sieg in Liverpool hatte Tony Thompson eine Herausforderung an Tyson Fury ausgesprochen, den einzig ungeschlagenen britischen Schwergewichtler mit Titelambitionen. Der in 20 Profikämpfen unbesiegte Fury trifft am 20. April im New Yorker Madison Square Garden auf den ehemaligen Cruisergewichtsweltmeister Steve Cunningham. Er ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen, werbewirksam den britischen Nationalstolz zu beschwören, indem er Thompson eine gehörige Tracht Prügel ankündigte. Wenngleich ein möglicher Kampf gegen den US-Amerikaner in weiter Ferne liegt, sprach Fury martialisch von Rache für seinen Landsmann David Price. Er werde sich zuerst Cunningham vorknöpfen und danach Thompson auf die Bretter schicken, der steinalt sei und bereits zweimal vorzeitig verloren habe. Dieser Großvater werde für seinen Erfolg in Liverpool bezahlen, sobald er ihn vor die Fäuste bekomme.

Davon abgesehen, daß Thompsons Triumph die Pläne Furys durchkreuzt haben dürfte, ein spektakuläres Duell mit Price zu inszenieren, sind die verbalen Ausfälle gegen den US-Amerikaner zwar branchenüblich, doch nicht gerade erhellend. Anläßlich des überraschenden Erfolgs eines wesentlich älteren und körperlich klar unterlegenen Boxers wie Tony Thompson ließen sich doch sachkundigere Überlegungen anstellen, als einem "Großvater" Prügel anzudrohen.

27. Februar 2013