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GESELLSCHAFT/189: Wenn der Fiskus Ehen stiftet (WZB)


WZB Mitteilungen - Nr. 119/März 2008
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

Wenn der Fiskus Ehen stiftet
Liebesheiraten werden durch progressive Steuern begünstigt

Von Kai A. Konrad und Kjell Erik Lommerud


"Mann trifft Frau. Sie verlieben sich." Das ist der Stoff unzähliger Romane, vom Groschenroman bis zur Weltliteratur. Die Protagonisten sind oft Seelenverwandte, und widrige Umstände stehen dem gemeinsamen Glück im Weg. In Shakespeares "Romeo und Julia" sind es Familienfehden. In Jane Austens "Stolz und Vorurteil" stehen der Liebe von Elisabeth und Darcy Standesunterschiede im Weg. Die Heirat des wohlhabenden Darcy mit Elisabeth wäre für ihn gesellschaftlich und wirtschaftlich ein Abstieg.

Heiraten zwei Menschen mit unterschiedlichem wirtschaftlichen Hintergrund, kommt es in der Ehe zu einem wirtschaftlichen Ausgleich. Diese Umverteilung lässt sich nicht vermeiden, weil die Eheleute viele Dinge gemeinsam tun und nutzen, vom gemeinsamen Urlaub über die gemeinsame Wohnung bis hin zu den gemeinsamen Kindern, in deren Ausbildung sie investieren. Liebesheiraten zwischen wirtschaftlich unterschiedlich gestellten Menschen sind heute keine Seltenheit mehr. Einkommensunterschiede können Ehen aber auch verhindern. Der wirtschaftlich stärkere Partner müsste sich bei der Heirat damit abfinden, Teile seines höheren Einkommens mit dem Ehepartner zu teilen. Ist er dazu nicht bereit, kommt die Ehe nicht zustande. Die mit der Ehe verbundene "Glücksrente" ginge verloren. Liebesheiraten sollten aus wohlfahrtsstaatlicher Perspektive aber nicht an Einkommens- und Vermögensunterschieden scheitern. Die Glücksrente Heiratender ist dabei ganz beachtlich. Glücksforscher haben diesen Ertrag bestimmt und in Einkommensäquivalente umgerechnet. Der Stand der Ehe steigert das Glücklichsein im Durchschnitt wie ein Einkommenszuwachs um etwa 70.000 britische Pfund pro Jahr in England und 100.000 US-Dollar in den USA.

Für die Frage, wer wen heiratet, sind verschiedene Faktoren und gesellschaftliche Institutionen wichtig, die sich im politischen und gesellschaftlichen Prozess wandeln und gestalten lassen. Liebesheiraten werden begünstigt, wenn Einkommens- und Vermögensunterschiede durch eine progressive Besteuerung verringert werden: Zwei Menschen, bei denen die Chemie stimmt oder die eine Leidenschaft für die gleichen Dinge in der Freizeit haben und ähnliche Werte und Weltanschauungen teilen, die aber über eine sehr unterschiedliche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit verfügen, können ruhig heiraten, wenn es eine stark nivellierende Einkommensumverteilung durch Steuern gibt. Dem wirtschaftlich stärkeren Partner würde durch die Steuer ohnehin viel von seinem Einkommen genommen, wenn er nicht heiratete. Eine Besteuerung, die die unterschiedliche Leistungsfähigkeit ausgleicht, macht das Zustandekommen der Ehe deshalb wahrscheinlicher. Umverteilende Besteuerung hat also eine ehestiftende Wirkung. Und diese Wirkung ist unter wohlfahrtstheoretischer Perspektive auch wünschenswert.

Bei der Bestimmung des optimalen Umfangs der steuerlichen Umverteilung spielen naturgemäß viele Aspekte eine Rolle. Die ehestiftende Wirkung ist nur einer von vielen Effekten. Bevor Menschen entscheiden, ob sie einander heiraten, müssen sie sich kennenlernen. Wer in einer modernen Gesellschaft auf wen trifft, hängt von den "Matching-Institutionen" dieser Gesellschaft ab. Mögliche Partner lernen sich oft in Schule, Universität, am Arbeitsplatz, in Sport- oder Freizeitvereinen, auf Musikkonzerten oder in der Kirche kennen. Darüber hinaus gibt es Institutionen, deren primäres Ziel die Eheanbahnung ist. Dazu gehören neben klassischen und internetbasierten Partnerbörsen auch Veranstaltungen wie zum Beispiel Debütantinnenbälle.

In all diesen Institutionen werden die potenziellen Partner typischerweise nicht zufällig, sondern sehr selektiv miteinander zusammengebracht. Debütantinnenbälle dürften der Prototyp von Institutionen sein, in denen versucht wird, junge Menschen mit ähnlichem wirtschaftlichen Hintergrund zusammenzubringen. Das Matching erfolgt dort also entlang der Einkommensdimension. In der Tendenz wird so gewährleistet, dass Prinz und Aschenputtel sich gar nicht erst begegnen. Treffen also nur Menschen mit ähnlichem wirtschaftlichen Hintergrund aufeinander, dann spielen Einkommensunterschiede als Ehehindernisse keine große Rolle, selbst wenn diese Unterschiede in der Gesellschaft insgesamt sehr groß sind. In einer so organisierten Gesellschaft hat dann umverteilende Steuer auch keine besonders ehestiftende Wirkung.

Anders ist es, wenn sich junge Menschen über soziale Grenzen hinweg zu gemeinsamen Aktivitäten treffen, weil sie übereinstimmende Interessen haben. Parteiversammlungen, Woodstock und andere Rock-Konzerte, Gottesdienste oder Friedensdemonstrationen sind vielleicht gute Beispiele. Menschen mit solchen Gemeinsamkeiten könnten aus einer Ehe vielleicht eine hohe Glücksrente ziehen, haben aber oft einen sehr unterschiedlichen wirtschaftlichen Hintergrund. Verhindern die wirtschaftlichen Unterschiede das Zustandekommen der Ehen, gehen diese Glücksrenten verloren. Umverteilende Besteuerung kann solche Hindernisse abbauen und ist dann besonders wünschenswert. Matching-Institutionen, die Menschen mit solchen Gemeinsamkeiten zusammenbringen, und eine umverteilende Besteuerung unterstützen sich gegenseitig in ihren positiven Wirkungen.

Die Bedeutung umverteilender Besteuerung hängt also von der Art der Matching-Institutionen ab. Institutionen, die Menschen mit ähnlichen Präferenzen zusammenbringen, sind komplementär zur Besteuerung und verstärken deren positive Effekte. Institutionen, die Menschen gleicher wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit zusammenbringen, sind eher substitutiv zur umverteilenden Besteuerung. Besteuerung hat keine ehestiftende Funktion, wenn sich ohnehin nur Personen mit gleichem oder ähnlichen wirtschaftlichen Hintergrund treffen.

Welcher Typ von Matching-Institution gesellschaftlich vorherrscht, ist für die gesamtgesellschaftliche Einkommens- und Vermögensverteilung von Bedeutung. In einer Gesellschaft, in der Ehen auf Debütantinnenbällen gestiftet werden, wird einer Einkommensangleichung durch Heirat wirtschaftlich Ungleicher entgegengewirkt. In einer Gesellschaft mit Matching-Institutionen, die Menschen mit gleichen Präferenzen zusammenbringen, heiraten wirtschaftlich Ungleiche. Dies führt in der Tendenz zu einer geringeren gesamtwirtschaftlichen Einkommensungleichheit. Steuerpolitik kann diese positive Wirkung auf die Einkommensverteilung in einer Gesellschaft verstärken. Entscheidend bleibt aber, ob eine Gesellschaft Gelegenheiten bietet, dass Aschenputtel ihren Prinzen überhaupt treffen kann.


Kai A. Konrad, Jahrgang 1961, ist seit 1994 Professor an der Freien Universität Berlin und seit 2001 Direktor der WZB-Abteilung "Marktprozesse und Steuerung". Zuvor hatte er in München, Bonn, Bergen (Norwegen) und an der University of California at Irvine gelehrt. Er ist Mitglied im Beirat des Bundesministeriums der Finanzen. Zuletzt erschien sein gemeinsam mit Beate Jochimsen herausgegebener Band "Der Föderalstaat nach dem Berlin- Urteil", Frankfurt a.M.: Peter Lang. kkonrad@wzb.eu

Kjell Erik Lommerud, geboren 1956, ist seit 1996 Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Bergen (Norwegen). Er befasst sich unter anderem mit Aspekten der Globalisierung, Industrie- und Gewerkschaftsfragen sowie Problemen der Staatsfinanzen. In den letzten Jahren war er regelmäßig Gast am WZB. kjell.lommerud@econ.uib.no

Literatur
Kai A. Konrad, Kjell Erik Lommerud, Love and Taxes, and Matching Institutions, 31 S. (WZB-Bestellnummer SP II 2008-04)


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Quelle:
WZB Mitteilungen Nr. 119, März 2008, Seite 9-10
Herausgeberin:
Die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung
Professorin Jutta Allmendinger Ph.D.
10785 Berlin, Reichpietschufer 50
Tel.: 030/25 49 10, Fax: 030/25 49 16 84
Internet: http://www.wz.eu

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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. April 2008