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GESELLSCHAFT/188: Meine, deine, unsere Kasse (WZB)


WZB Mitteilungen - Nr. 119/März 2008
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

Meine, deine, unsere Kasse
Das "eigene Geld" schafft nicht automatisch Gleichheit

Von Jutta Allmendinger und Kathrin Leuze


Bei vielen Paaren ist die Macht ungleich verteilt. Die Erklärung dafür scheint auf der Hand zu liegen: Es liegt an der ungleichen Verteilung von Geld zwischen den Partnern. Im traditionellen Patriarchat herrscht der männliche Familienernährer und Haushaltsvorstand aufgrund seines Einkommens über Frau und Kinder. Doch diese vom Erwerbseinkommen abgeleiteten Machtansprüche schwinden, seit mehr Frauen über ein eigenes Einkommen aus Erwerbstätigkeit verfügen. Das "eigene Geld" sei ein wichtiger, ja der Motor individueller Emanzipation - so lautet eine weit verbreitete Annahme. Es ermöglicht Frauen ein "eigenes" Leben, befreit von der finanziellen Abhängigkeit vom männlichen Ernährer. Damit beginnt sich auch die Eindeutigkeit der geschlechtsspezifischen Rollenverteilungen aufzulösen. Geld, so hat es den Anschein, kann insofern die Machtverhältnisse in Paarbeziehungen neu zu ordnen helfen.

Im Projekt "Gemeinsam leben, getrennt wirtschaften - Grenzen der Individualisierung in Paarbeziehungen" wird dieser Veränderungsprozess von "Geld und Liebe" untersucht. Die Ausgangsthese lautet, dass sich die Bedingungen für die Aufrechterhaltung der Geschlechterungleichheit grundlegend verändern, wenn beide Partner über das "eigene Geld" verfügen. Die qualitative Paneluntersuchung von Doppelverdienerpaaren zeigt aber, dass sich die Machtverhältnisse im Zusammenleben nicht automatisch durch die individualisierende Macht des Geldes verändern, hin zu einer neuen Balance. Partner schreiben ihrem eigenen Geld nämlich unterschiedliche symbolische Bedeutungen zu. Gerade diese Zuschreibungen und das daraus abgeleitete Geld-Arrangement entscheiden über das Maß der Individualisierung und das Maß an (Un-)Gleichheit.


Entscheidend ist das Beziehungskonzept

Heute gibt es Beziehungskonzepte, die sich wesentlich vom Beziehungstypus des traditionellen Familienernährermodells unterscheiden. Zwei idealtypische Beziehungskonzepte lassen sich bei Doppelverdienerpaaren unterscheiden: Individualistische Beziehungskonzepte folgen der Maxime, dem einzelnen Partner größtmögliche Handlungsoptionen offen zu halten. Die Beziehung wird als prinzipiell jederzeit auflösbares Sozialverhältnis gedacht. Dem entspricht das Modell eines "Gebens und Nehmens", in dem die Partner einander nichts schulden. Metaphorisch gesprochen, soll sich ihre Beziehungsbilanz zu jedem Zeitpunkt im Gleichgewicht befinden, es soll keine langfristig wirkenden ungleichen Verbindlichkeiten geben. Beide Partner müssen immer über eigenes Geld verfügen.

Kollektivistische Beziehungskonzepte orientieren sich dagegen am Sozialgebilde "Paar" als einer Institution, die auf der Idee der Gemeinschaftlichkeit beruht. Daraus folgt das Prinzip, dass der Bestand der Beziehung Vorrang hat vor individuellen Vorteilen. Dies macht die Möglichkeit einer Arbeitsteilung in der Beziehung leichter. Geben und Nehmen sind auf Gegenseitigkeit ausgerichtet und müssen nicht zu jedem Zeitpunkt exakt in Balance sein. Daher spielt die Frage der individuellen Verfügbarkeit von Ressourcen eine geringere Rolle als in individualistischen Konzepten.

Die Art des Beziehungskonzepts beeinflusst das Geld-Arrangement eines Paares, also die Entscheidung darüber, welche "Währungen" welchen Wert haben. Das lässt sich durch die Unterscheidung von Reproduktions- und Extensionsgeld verdeutlichen. Reproduktionsgeld ist Geld, das dem Zweck gewidmet ist, die materiellen und symbolischen Leistungen zu erbringen, die aus Sicht des Paares notwendig sind, um die Beziehungswirklichkeit als gemeinsame Beziehungskultur zu entwickeln und zu leben, von der Wohnung bis hin zum gemeinsamen Ausgehen. Extensionsgeld ist Geld, das dem einzelnen Partner zur freien Verfügung bleibt und daher der potenziellen Distinktion, Positionierung, Selbstentfaltung des Individuums dient, sei es durch einen eigenen, charakteristischen Lebensstil außerhalb der Paarbeziehung (zum Beispiel durch eigene Freizeitaktivitäten) oder durch direkt an den Partner bzw. an die gemeinsame Beziehung adressierte Inszenierungen (zum Beispiel in Form überraschender Großzügigkeitsgesten).

Kollektivistische Beziehungskonzepte räumen dem Reproduktionsgeld einen hohen Stellenwert ein. Das heißt, dass in kollektivistischen Beziehungskonzepten Geld eine beziehungsstiftende Funktion hat. Nur wenn nichtmonetäre Werte oder Leistungen wie Anerkennung, Zuneigung oder Eltern-Liebe auch durch "Erkauftes" ausgedrückt werden, zum Beispiel durch ein gemeinsames Wellness-Wochenende, funktioniert die Beziehung.

In individualistischen Konzepten spielt dagegen das Extensionsgeld die Hauptrolle. In Beziehungen, in denen beide Partner individualistische Beziehungskonzepte vertreten, ist im idealtypischen Modellfall Geld nicht konvertierbar durch nichtmonetäre oder symbolische Beiträge zur Beziehung. Jeder führt seine eigene Kasse, für Gemeinsames eingesetztes Geld über das Nötigste hinaus gibt es nicht.


Risiken in Krisensituationen

Beide idealtypischen Geld-Arrangements können aber zu spezifischen Zwängen und neuen Ungleichheiten führen. Da ein individualistisches Beziehungskonzept auf die strikte Geldtrennung setzt, werden Krisen wie Arbeitslosigkeit oder Schulden des einen Partners nicht durch einen solidarischen Ausgleich bewältigt, selbst wenn das ökonomisch möglich wäre. In der Krise zeigt sich das Problem: Dieses Beziehungskonzept geht von der Annahme aus, dass die von beiden Partnern konsequent angestrebte symmetrische Lebenssituation dauerhaft gegeben ist. Ist das aufgrund eines größeren individuellen Problems oder eines Schicksalsschlags nicht mehr der Fall, scheitert die Individualisierung beider Partner - und mit ihr das Beziehungskonzept.

Bei kollektivistischen Beziehungskonzepten ergibt sich ein anderes Problem. Hier wird die Beziehung nicht als Ressource betrachtet, die es zu optimieren gilt, um so auch die Chancen der Selbstoptimierung zu erhöhen. Vielmehr gilt es, die Beziehung selbst durch individuelle Beiträge zu fördern. Aufgrund der Verfügbarkeit von Reproduktionsgeld können Krisen, die einkommensrelevant sind, scheinbar flexibler bewältigt werden. Geld ist konvertierbar in Nicht-Geld. Doch auch hieraus folgt eine Individualisierungsdynamik, die - nicht unähnlich zur Problematik individualistischer Konzepte - für die Lebenspartner dem Prinzip des "Alles oder Nichts" entspricht. Wahrgenommene Ungleichheiten zwischen den Lebenspartnern können nur so lange toleriert werden, wie sie für die gemeinsame Beziehung sinnvoll sind. Beim kollektivistischen Beziehungskonzept ist eine Individualisierung der Partner möglich, aber nur, wenn sie gleichgerichtet ist.

Macht- und Ungleichheitsverhältnisse zwischen Partnern resultieren also nicht nur aus der (Nicht-)Verfügbarkeit von eigenem Geld. Wesentlich sind das Beziehungskonzept und das Geldarrangement des Paares. Je näher die Beziehung am individualistischen Beziehungskonzept liegt, umso wichtiger ist die dauerhafte Ressourcengleichheit beider Partner - und umso unwichtiger wird eine gemeinsame Kasse. Je näher die Beziehung am kollektivistischen Beziehungskonzept liegt, umso wichtiger wird das für Gemeinschaftliches ausgegebene Geld - und umso unwichtiger ist eine Kasse, mit deren Hilfe die eigene Individualität gepflegt wird.

Diese Aspekte der Paarbeziehungen müssen bei Fragen nach dem Einfluss des Geldes im Privaten berücksichtigt werden. Letztlich geht um die Frage, ob zunehmende Teilnahme am Erwerbsleben uns optimistisch stimmen kann (Mehr Wahlfreiheit! Mehr Gleichheit!) oder eher pessimistisch (Mehr Streit! Mehr Stress!).


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Wie Paare mit Geld umgehen

Das Projekt "Gemeinsam leben, getrennt wirtschaften - Grenzen der Individualisierung in Paarbeziehungen" ist Teilprojekt des Sonderforschungsbereichs 536 "Reflexive Modernisierung". Das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Projekt untersucht seit 1999 die Geldarrangements von Paaren, um Aufschluss über die geschlechtsspezifischen Macht- und Ungleichheitsmuster im privaten Beziehungsalltag zu erhalten. Der Schwerpunkt der dritten und letzten Forschungsphase (2005-2009) liegt dabei auf der quantitativen Überprüfung der qualitativ gewonnenen theoretischen Erkenntnisse sowie auf der Frage, welche Zusammenhänge sich zwischen den Geldarrangements von Paaren in verschiedenen Bevölkerungsgruppen und dem aktuellen Wandel des Sozialstaats erkennen lassen. Die als qualitatives Panel von 2000 bis 2007 und als standardisierte Paaruntersuchung 2007/2008 konzipierte Studie wird in Kooperation mit der Universität Augsburg, dem AB Nürnberg sowie unter Mitwirkung vom INFAS Institut für angewandte Sozialforschung Bonn erstellt.


Projektleitung: Prof. Jutta Allmendinger, Ph.D. (WZB), Prof. Dr. Werner Schneider (Universität Augsburg), Prof. Dr. Wolfgang Ludwig-Mayerhofer (Universität Siegen);

Projektmitarbeiter und -mitarbeiterinnen: Dr. Andreas Hirseland (IAB), Dr. Kathrin Leuze (WZB), Caroline Ruiner (Universität Augsburg)

Projekthomepage:
www.philso.uni-augsburg.de/soziologie/sozkunde/index.html


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Jutta Allmendinger ist seit 2007 Professorin für Bildungssoziologie und Arbeitsmarktforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin und Präsidentin des WZB. Sie forschte und lehrte am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung und an der Harvard Business School, habilitierte sich 1993 an der FU Berlin und war Professorin für Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München (1992-2007). Von 2003 bis 2007 leitete sie das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit.
jutta.allmendinger@wzb.eu

Kathrin Leuze studierte Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München und wurde an der Graduate School of Social Sciences der Universität Bremen in Sozialwissenschaften promoviert. Von 2005 bis 2007 arbeitete sie im Sonderforschungsbereich "Staatlichkeit im Wandel" der Universität Bremen. Seit 2007 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am WZB im Projekt "Gemeinsam leben, getrennt wirtschaften".
kathrin.leuze@wzb.eu


Literatur
Werner Schneider, Andreas Hirseland, Jutta Allmendinger, Christine Wimbauer, "Jenseits des männlichen Ernährermodells? Geldarrangements im Beziehungsalltag von Doppelverdienerpaaren", in: Sabine Berghahn (Hg.), Unterhalt und Existenzsicherung: Recht und Wirklichkeit in Deutschland, Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2007, S. 213-229

Werner Schneider, Andreas Hirseland, Wolfgang Ludwig-Mayerhofer, Jutta Allmendinger (2005), "Macht und Ohnmacht des Geldes im Privaten - Zur Dynamik von Individualisierung in Paarbeziehungen", in: Soziale Welt, Jg. 56, Heft 2/3, 2005, S. 203-22


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Quelle:
WZB Mitteilungen Nr. 119, März 2008, Seite 6-8
Herausgeberin:
Die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung
Professorin Jutta Allmendinger Ph.D.
10785 Berlin, Reichpietschufer 50
Tel.: 030/25 49 10, Fax: 030/25 49 16 84
Internet: http://www.wz.eu

Die WZB-Mitteilungen erscheinen viermal im Jahr
(März, Juni, September, Dezember)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. April 2008