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GESELLSCHAFT/181: Single-Risiko für Bessergebildete besonders groß (idw)


FernUniversität in Hagen - 17.12.2007

Nicht nur Weihnachten alleine:

Single-Risiko für Bessergebildete besonders groß


Weihnachten steht vor der Türe. Bei rund 14 Millionen Einpersonen-Haushalten - in Städten lebt sogar die Hälfte der Menschen alleine - bleibt vielen nur die Hoffnung, mit Freunden zu feiern. Doch Freundschaften zu schließen wird für viele immer schwieriger und kann sogar vom Bildungsstand abhängen. Anders, als man zunächst wohl vermutet, ist die Gefahr, Single zu bleiben, mit höherer Bildung größer.

"Bessergebildete haben es heute schwerer als Menschen mit mittlerer Bildung, Beziehungen aufzubauen", hat Dr. Jochen Hirschle herausgefunden, als er Wege zu neuen Kontakten untersuchte: "Partnerschaft und Beruf sind bei Bessergebildeten oft eng miteinander verzahnt." Dr. Hirschle ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter der "Ernsting's family-Stiftungsprofessur für Soziologische Gegenwartsdiagnosen" von Prof. Dr. Holger Lengfeld an der FernUniversität in Hagen.

Bessergebildete sind vom Single-Bleiben besonders bedroht, wenn sie nicht (mehr) in den Bildungsprozess eingebunden sind: "Sie sind bei der Suche nach dauerhaften Freundschaften und intimen Beziehungen sehr stark auf die Institutionen und Organisationen fixiert, in denen sie arbeiten oder lernen", so Dr. Hirschle, "andere Wege zu finden fällt ihnen oft schwer."

Dabei dürfte es im Zeitalter der Mobilität doch eigentlich kein Problem sein, jemanden kennenzulernen. "Das stimmt nicht mehr", so Hirschle: Früher, als das Leben noch durch die lokale Gemeinschaft geprägt war, fand man Partnerin oder Partner häufig durch Familie, Freunde, Nachbarn, Verein oder Kirche. Durch die Auflösung solcher Strukturen im Zuge der Globalisierung und Individualisierung gehen jedoch zunehmend wichtige Netzwerke verloren, in denen man Freunde von Freunden und Bekannte von Bekannten kennenlernen kann: "Nicht nur in Großstädten, sondern auch in ländlichen Regionen, weil immer mehr nur noch 'vor sich hin wohnen'."

Zwar haben sich die Treff-Möglichkeiten durch steigende Mobilität vervielfacht. Gleichzeitig ist jedoch die soziale Distanz größer geworden: "Dass man sich mit einer anderen Person an einem Ort befindet, reicht keineswegs aus, mit ihr in sozialen Kontakt zu treten." Man bleibt häufig auch in Gesellschaft allein.

Einfacher hat es, wer lokalen Gemeinschaften angehört und dadurch die Möglichkeit hat, auszugehen, sich z. B. mit Freunden in Kneipen, Bars oder Discotheken zu treffen, um so weitere Kontakte knüpfen zu können: "Hallo, das ist..." Viel mehr Probleme hat, wer auf Karriere setzt, so dass sich Leben und Denken in erster Linie um (Aus-)Bildung oder Arbeit drehen: Andere Menschen lernt er oder sie in Schule, Hochschule oder Unternehmen kennen.

Diese beiden Typen konnte Jochen Hirschle empirisch Bildungsschichten zuordnen: 32 Prozent aller Befragten mit Abitur fanden ihre Partner in Bildungs- und Berufseinrichtungen, aber nur 17 Prozent derjenigen mit Haupt- und Realschulabschluss. Diese wiederum knüpften zu 60 Prozent ihre Partnerschaft in Freundeskreis, Disco oder Kneipe - was nur 41 Prozent der Abiturienten gelang. Abiturienten, die nach Abschluss ihrer Berufsausbildung ohne Partnerschaft verbleiben oder durch Trennung zum Single werden, haben geringere Chancen als andere Bildungsgruppen, eine neue Partnerschaft zu schließen.

Hirschle hat festgestellt, dass Menschen mit höherem Bildungsgrad abends viel seltener ausgehen. Sind Akademiker also ungesellig? "Nein", sagt der FernUni-Wissenschaftler, "sie haben ein anderes Freizeitverhalten, treffen sich häufiger mit einigen wenigen engen Freunden zu Hause, lesen, oder sie arbeiten abends länger und fangen morgens später an." Wer im Beruf stark gefordert wird, steckt bei gemeinschaftlichen Unternehmungen leichter zurück. Gerade Bessergebildete sind, z. B. als Führungskräfte, beruflich besonders mobil. Kontakte können diese Menschen schon aus zeitlichen Gründen viel leichter dort aufbauen, wo man lernt oder arbeitet.

Darüber hinaus sind die Möglichkeiten des Ausgehens häufig auch an die Einbindung in lokale Netzwerke gekoppelt. Ist man beruflich mobil, kann man sie viel schlechter aufbauen und pflegen, so dass Ausgehen häufig auch aufgrund mangelnder lokaler Einbindung verhindert wird "Man geht ja nicht gerne alleine weg." Darüber hinaus werden durch Mobilität bereits gewachsene Freundschaftsnetzwerke häufig wieder aufgelöst: "Dies kann die Gelegenheiten, neue Kontakte zu knüpfen und zu pflegen, erheblicher vermindern."

Die moderne Gesellschaft behindert aber nicht nur Kontaktaufnahmen, sie hilft auch selbst, die Defizite auf anderen Wegen zu beheben. In diesem Zusammenhang muss man etwa die virtuellen, häufig kommerziellen Single-Börsen sehen: "Auch wenn sie jedoch möglicherweise neue Partnerschaftsmärkte eröffnen, so stellen sie doch für viele lediglich einen Ersatz für nicht mehr existente lebensweltliche Gelegenheiten des Kennenlernens dar".

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution151


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
FernUniversität in Hagen, Gerd Dapprich, 17.12.2007
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Dezember 2007