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MELDUNG/376: Können wir gezielt vergessen? (idw)


Universität Regensburg - 17.01.2017

Können wir gezielt vergessen?


Eine Forschergruppe der Universität Regensburg um Prof. Dr. Karl-Heinz Bäuml, Lehrstuhl für Experimentelle und Angewandte Entwicklungspsychologie, untersuchte in einer experimentellen Studie, wie lange absichtlich herbeigeführte Aktualisierungen im Gedächtnis bleiben. Sie fanden heraus, dass nicht mehr benötigte Informationen dauerhaft vergessen werden können.

Erfolgreiche Aktualisierungen sind ein zentraler Baustein des menschlichen Gedächtnisses. Wenn im Gedächtnis neue Information, z. B. ein neues Computerpasswort, an die Stelle veralteter Information - das alte Passwort - treten soll, wird die alte Information dabei nicht einfach überschrieben. Stattdessen wird der Zugriff auf die veraltete Information erschwert und so das Erinnern der neueren Information erleichtert. Zahlreiche frühere Befunde zeigten, dass Menschen zumindest kurzfristig ihr Gedächtnis auf diese Weise aktualisieren können. Es war jedoch weitgehend unklar, wie lange diese Effekte andauern und welche kognitiven Prozesse ihnen zugrunde liegen.

Die Regensburger Forschergruppe um Prof. Dr. Karl-Heinz Bäuml und Dr. Magdalena Abel untersuchte in einer Serie von Experimenten an insgesamt 360 Versuchspersonen, wie langlebig Effekte von bewusst herbeigeführter Gedächtnisaktualisierung sind. Die Versuchsteilnehmenden mussten sich zwei Wortlisten einprägen. Ein Drittel der Teilnehmenden erhielt nach dem Lernen der ersten Liste den Hinweis, sich diese Liste weiter zu merken und sich noch weitere Wörter einzuprägen. Das zweite Drittel der Teilnehmenden erhielt den Hinweis, die erste Liste wieder zu vergessen; dazu wurde ein Computercrash simuliert und die Probanden wurden darauf hingewiesen, dass das Experiment leider neu gestartet werden müsse. Das letzte Drittel der Versuchspersonen wurde nach dem Lernen der ersten Liste aufgefordert, sich für eine Minute vorzustellen, durch ihr Elternhaus zu gehen und dazu eine kleine Skizze zu erstellen; derart absichtlich herbeigeführter mentaler Kontextwechsel führt in der Regel ebenfalls zu einem schlechteren Erinnern des vorausgehenden Materials. Nach einer Wartezeit von 3 Minuten, 20 Minuten oder 24 Stunden wurde ein Erinnerungstest durchgeführt, in dem sich die Versuchsteilnehmer an die Wörter der beiden Listen erinnern sollten.

Die Ergebnisse der Studie demonstrieren, dass der Vergessenshinweis an die Teilnehmenden ein Vergessen der veralteten Information nach allen drei zeitlichen Intervallen erzeugte. Im Gegensatz dazu erschwerte der durch die Vorstellungsaufgabe erzeugte Kontextwechsel nur kurzfristig das Erinnern der ersten Liste. Diese Befunde dokumentieren erstmals, dass absichtlich erzeugte Aktualisierungen des Gedächtnisses durchaus nachhaltig sein können. Sie werfen Licht auf die Frage, welche kognitiven Mechanismen einer erfolgreichen Gedächtnisaktualisierung zugrunde liegen.

Die Befunde der Regensburger Studie verbessern das Verständnis von Aktualisierungsprozessen im menschlichen Gedächtnis. Sie stützen und ergänzen frühere Ergebnisse der Forschergruppe von Prof. Dr. Bäuml. Die beobachtete Nachhaltigkeit des Aktualisierungseffekts legt auch seine Einsetzbarkeit im pädagogischen Kontext nahe. Dazu sollten weitere Experimente im praxisnahen Kontext erfolgen.

Die Studie ist in der Januarausgabe der Zeitschrift: "Journal of Memory and Language" unter dem Originaltitel: "Testing the context-change account oft list-method directed forgetting: The role of retention interval" erschienen (DOI: 10.1016/j.jml.2016.06.009).

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution87

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Regensburg, Claudia Kulke M.A., 17.01.2017
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Januar 2017

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