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MELDUNG/087: Konfliktforscher sehen anhaltend menschenfeindliche Situation in Deutschland (idw)


Universität Bielefeld - 12.12.2011

Bielefelder Konfliktforscher sehen anhaltend menschenfeindliche Situation in Deutschland


Ergebnisse der Langzeitstudie zu "Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit" vorgestellt


Die Menschen in Deutschland haben zunehmend das Gefühl, dass die Politik die Probleme des Landes nicht mehr regeln kann. Das hat Konsequenzen für die Meinungen über schwache Gruppen, denn sie werden zuerst Opfer der negativen Beurteilung der Lage. Die Abwertung von Obdachlosen, Arbeitslosen und Behinderten, aber auch die Fremdenfeindlichkeit steigen erneut an. Auch und besonders Besserverdienende grenzen sich vermehrt von ärmeren Mitgliedern der Gesellschaft ab, und Engagement und Solidarität werden immer stärker danach bemessen, ob sie sich auch wirtschaftlich lohnen. Das sind zentrale Ergebnisse der Langzeitstudie "Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" (GMF) des Instituts für interdisziplinäre Konflikt-und Gewaltforschung (IKG) der Universität Bielefeld. Die Studie hatte eine Laufzeit von zehn Jahren. Die Professoren Dr. Wilhelm Heitmeyer und Dr. Andreas Zick ziehen zusammen mit ihren Mitarbeitern am heutigen Montag in Berlin das Fazit und stellten den zehnten und letzten Band der Reihe "Deutsche Zustände" vor, in dem sie die Ergebnisse veröffentlichen.

Hinter dem Konzept "Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" steckt die Auffassung, dass Menschen andere Menschen abwerten, weil sie zu bestimmten Gruppen gehören, etwa, wenn sie aus einem anderen Land kommen, einer anderen Religion angehören, körperlich eingeschränkt oder wirtschaftlich besser- oder schlechter gestellt sind. Die Bielefelder Forscher gehen davon aus, dass Vorurteile gegenüber unterschiedlichen Gruppen ein Syndrom der "Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit" bilden, in dessen Zentrum eine Ideologie der Ungleichwertigkeit steht - also die Grundidee, dass sich jemand als Mitglied einer bestimmten Gruppe aufwertet, indem er Angehörige anderer Gruppen als weniger wert ansieht. Das Forschungsprojekt ist die weltweit größte Vorurteilsstudie, sowohl durch die zehnjährige Laufzeit als auch aufgrund der präzisen Unterscheidung verschiedener Vorurteile und ihrer Ursachen. Seit 2002 findet jährlich eine telefonische Befragung einer repräsentativen Auswahl der deutschen Bevölkerung statt. Im Mai und Juni 2011 wurden 2.000 Personen zu ihren Ansichten und Einschätzungen befragt.

In der abschließenden Untersuchung ihrer Daten des vergangenen Jahrzehnts befassen sich die Bielefelder Forscher damit, wie sich Vorurteile unter Menschen in Deutschland im vergangenen Jahrzehnt entwickelt haben. So analysieren sie, welche Faktoren maßgeblich sind, um Vorurteile unter den Deutschen zu erklären. Sie gehen auf die Frage ein, welche politischen Absichten Personen mit rechtspopulistischen Einstellungen haben, und sie versuchen, zu erklären, inwieweit die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland zu Orientierungslosigkeit und Fremdenfeindlichkeit führt. Darüber hinaus gehen die Wissenschaftler in dem neuen Buch auf aktuelle Problemlagen und Mechanismen ein, die mit Abwertung und Diskriminierung von schwachen Gruppen im Zusammenhang stehen.

Insgesamt beschreiben die Forscher vom IKG das zurückliegende Jahrzehnt als "entsichert", richtungslos und instabil. Der Verlust von Sicherheit sei demnach in allen zentralen Lebensbereichen erfahrbar: im politischen, sozialen, wirtschaftlichen und religiösen Bereich, ebenfalls im Bereich der Lebensstile. Der Zustand der Unsicherheit ist nach Ansicht der Forscher zur neuen Normalität geworden. Mit Blick auf die Folgen für Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit könne dieser Zustand als eine "explosive Situation als Dauerzustand" (Wilhelm Heitmeyer) beschrieben werden. Ereignisse mit Signalwirkung für diese Veränderungen sind laut den Forschern der 11. September 2001 mit seinen Folgen für die Islamfeindlichkeit, die Einführung von Hartz IV im Jahr 2005 oder auch die Krisen seit 2008 (Finanz-, Wirtschafts-, Fiskal-, und Schuldenkrise).

Das interdisziplinäre Institut für Konflikt- und Gewaltforschung ist Teil des Forschungsschwerpunkts "Menschliche Entwicklung, Konflikt und Gewalt" (Human Development, Conflict and Violence) der Universität Bielefeld. Der Schwerpunkt befasst sich mit den komplexen Vorgängen sozialer Konflikte und Gewalt und umfasst dabei unter anderem soziale Zusammenhänge und Institutionen, die menschliches Dasein und menschliche Entwicklung in verschiedenen Gesellschaften und Kontexten prägen.

Weitere Informationen unter:
http://www.uni-bielefeld.de/ikg/

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution56


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Bielefeld, Ingo Lohuis, 12.12.2011
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Dezember 2011