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FORSCHUNG/200: Forschung in Bewegung (idw)


Julius-Maximilians-Universität Würzburg - 21.07.2016

Forschung in Bewegung


Die Neurowissenschaftlerin Barbara Händel untersucht den Zusammenhang von rhythmischer Bewegung und Wahrnehmung. Für ihre Arbeit erhält sie 1,5 Millionen Euro in Form eines Starting Grants vom Europäischen Forschungsrat.

Wenn Neurowissenschaftler untersuchen, welche Gehirnareale des Menschen bei bestimmten Prozessen aktiv sind, legen sie ihre Probanden beispielsweise gerne in einen Kernspintomographen. In die enge Röhre eingezwängt, dürfen diese sich nicht bewegen und sollen tunlichst die Augen geradeaus halten und nicht blinzeln. Auch andere Methoden, die die Gehirnaktivierung sichtbar machen, sind darauf angewiesen, dass sich die Versuchsperson so ruhig wie möglich hält.

Wie aussagekräftig sind die auf diese Weise gewonnenen Informationen über die in unserem Gehirn ablaufenden Prozesse für natürliches Verhalten? Diese Frage - neben zahlreichen anderen - erforscht Dr. Barbara Händel in den kommenden fünf Jahren am Lehrstuhl für Psychologie III der Universität Würzburg. Der Europäische Forschungsrat (ERC) hat ihr dafür Anfang des Jahres einen der begehrten "Starting Grants" bewilligt, der mit 1,5 Millionen Euro dotiert ist. Mit diesem Preis zeichnet der ERC exzellente Nachwuchswissenschaftler aus.

Bewegungslosigkeit ist unnatürlich

"Menschen bewegen sich ständig. Selbst wenn sie sitzen, verharren sie nicht in vollkommener Ruhe. Wenn doch, sind zumindest ihre Augen noch in Bewegung. So gesehen sind Experimente, bei denen sich die Teilnehmer absolut ruhig verhalten müssen und Augenbewegungen stark reglementiert sind, extrem unnatürlich." Was das für die Forschung und deren Ergebnisse bedeutet, dafür interessiert sich Barbara Händel. Oder, ganz allgemein: Wie beeinflusst Bewegung die Wahrnehmung des Menschen?

"Man weiß mittlerweile aus Experimenten vor allem mit Tieren, dass rhythmische Bewegungen einen Einfluss auf die unterschiedlichsten Gehirnaktivitäten ausüben", sagt die Neurowissenschaftlerin. So verändert sich beispielsweise bei Mäusen das Aktivierungsniveau von Neuronen, die für die Verarbeitung optischer Reize verantwortlich sind, in Abhängigkeit von der Geschwindigkeit, mit der sich die Tiere bewegen - und das überraschenderweise auch in völliger Dunkelheit, wenn sich der visuelle Input durch die Bewegung nicht verändert. Vereinfacht gesagt, scheint sich das Gehirn darauf einzustellen, dass es bewegungsbedingt Eindrücke anders verarbeiten sollte als in Ruhe.

Der technische Fortschritt macht's möglich

Ob dieser Befund auch auf den Menschen zutrifft, will Barbara Händel in den kommenden Jahren untersuchen. Der technische Fortschritt macht es möglich, dass sie ihr Projekt vorantreiben kann. "Früher mussten die Probanden stillsitzen, wenn wir mit Hilfe von EEG die Gehirnströme abgeleitet haben", erzählt die Wissenschaftlerin. Heute können die Versuchspersonen Kappen tragen, die ihre EEG-Daten drahtlos an das nächste Laptop schicken. Auch drahtlose Bewegungssensoren und spezielle Brillen, die die Augenbewegungen registrieren, sind portabel. "Es ist also möglich, Leute loszuschicken, die das ganze Equipment am Körper tragen, und auf diese Weise zu untersuchen, was im Gehirn bei Bewegung passiert", so Händel.

Ihrem Forschungsvorhaben liegt die Idee zugrunde, dass sich geplante, rhythmisch wiederkehrende Bewegungsabläufe auf die Wahrnehmung von Reizen aus der Außenwelt auswirken. "Da wir meist in Bewegung sind, entspricht es einer gewissen 'Grundlogik', dass sich auch unsere Wahrnehmungsprozesse darauf einstellen", so die Wissenschaftlerin. Dennoch gibt es für diese Theorie bislang nur erste Hinweise. In ihrem Forschungsprojekt will sie deshalb zunächst die Frage klären, ob es diese Mechanismen gibt und ob sie in der Wahrnehmung und in wahrnehmungsrelevanten Prozessen im Gehirn nachgewiesen werden können.

Als Grundlagenforschung bezeichnet Barbara Händel ihre Arbeit. Um eine konkrete Anwendbarkeit gehe es dabei nicht - auch wenn diese zumindest vorstellbar ist. "Wie das Gehirn seine Arbeitsweise unter Bewegung verändert, ist nicht nur für die Wahrnehmungsforschung von Interesse", sagt sie.

Die Erkenntnis, wie unsere Bewegungen mit Wahrnehmung zusammenhängen, kann für unterschiedlichste Forschungsbereiche wertvoll sein. So betreffen zum Beispiel viele degenerative Krankheiten sowohl die Motorik als auch die Kognition, und neuere Studien zeigen, dass Bewegungstraining zusammen mit auditorischer Stimulation die Wahrnehmungsleistungen von Parkinsonpatienten positiv beeinflussen kann.

Barbara Händels Werdegang

Barbara Händel ist vor wenigen Wochen von Frankfurt an die Uni Würzburg gewechselt. Dort war sie am Ernst Strüngmann Institute (ESI) for Neuroscience in Cooperation with Max Planck Society tätig. Ein Biologiestudium stand am Anfang ihrer wissenschaftlichen Laufbahn - zuerst in Regensburg, dann in Bielefeld, weil es dort den Schwerpunkt "Verhalten des Menschen" gab.

Nach dem Diplom (2002) wechselte Barbara Händel an die Uni Tübingen; am dortigen Zentrum für Neurologie erforschte sie in ihrer Doktorarbeit "Funktionelle Korrelate perzeptueller Entscheidungen beim Menschen". Im Anschluss daran ging sie für zwei Jahre an das F.C.Donders Centre for Cognitive Neuroimaging im holländischen Nijmegen.

Was sie dazu bewogen hat, jetzt von Frankfurt nach Würzburg zu wechseln? "Hier am Lehrstuhl läuft eine inhaltlich unglaublich spannende Forschung in den Bereichen Handlung und Wahrnehmung sowie deren Zusammenhängen", sagt sie. Mit ihren Kenntnissen über die neuronale Verarbeitung sensorischer Reize und ihren methodischen Fähigkeiten könne sie daran perfekt anknüpfen - was letzten Endes für alle Beteiligten äußerst befruchtend sei.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution99

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Gunnar Bartsch, 21.07.2016
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Juli 2016

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