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FORSCHUNG/122: Wer äfft wen nach? (research*eu)


research*eu Sonderausgabe - Oktober 2008
Magazin des Europäischen Forschungsraums

Wer äfft wen nach?

Von Kirstine de Caritat


Schon lange ist die Bedeutung der Imitation im Lernprozess bekannt. Aber woher stammt dieses grundlegende Verhalten in der kognitiven und sozialen Entwicklung? 100 % angeboren, sagen amerikanische Forscher. Das ist nicht so sicher, meinen heute die europäischen Wissenschaftler des Edici-Projekts.


"An diesem Projekt arbeiten Forscher aus verschiedenen Disziplinen", erklärt Ludwig Huber, Koordinator von Edici(1). "Auch wenn wir Zeit investieren mussten, um auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen, konnten wir uns doch sehr originelle Versuche ausdenken." Verhaltensforscher, Entwicklungsbiologen, Neurophysiologen und Psychologen aus vier Ländern (AT, DE, HU, UK) haben Experimente mit Tieren durchgeführt, die auf die eine oder andere Weise dem Menschen nahestehen - Pinseläffchen im Hinblick auf die Phylogenese, Vögel, die in sozialen Gefügen leben wie Raben oder Papageien, und Hunde. Andere Forschungen wurden mit Kindern durchgeführt, die noch nicht sprechen konnten, mit gesunden Erwachsenen und mit Patienten mit neurologischen Störungen.


Aufmerksam sein, beobachten

Ein Experiment, bei dem es um den Vergleich des Maßes an Aufmerksamkeit zwischen unterschiedlichen Spezies geht, hat gezeigt, dass dieses zwischen den Individuen variiert. "Die Nachahmungsfähigkeit ist nicht angeboren. Jedes Individuum entwickelt diese durch Beobachtung der eigenen Handlungen und vor allem, indem es in eine Beziehung zum Anderen eintritt."(2) In Versuchen mit Pinseläffchen haben die Forscher zum Beispiel gezeigt, dass sich die Eltern sehr darum bemühen, ihre Jungen bei komplexen Aufgaben der Futtersuche zu unterstützen. Ein anderer Versuch hat gezeigt, wie spitzfindig Hunde sein können, wenn es um Nachahmung geht (siehe Bild).

Auch die Fähigkeiten 14 Monate alter Babys wurden verglichen. Dabei war entweder ein passiver Erwachsener dabei oder jemand, der sich aktiv mit dem Kind befasste - ihm zeigte und erklärte, was es machen sollte, mit ihm sprach, es beim Namen rief, auf Objekte zeigte, sicherstellte, dass es ihn anschaute. Die Ergebnisse waren nicht überraschend: Wenn man Kinder anleitet, haben sie ein natürliches Gespür dafür, diese Zeichen der sozialen Kommunikation richtig zu interpretieren.


Nachahmung und Bewusstsein

Andere Arbeiten betrafen die Aktivierung des menschlichen Gehirns. "Bisher dachte man, dass Nachahmung die wichtigste Fähigkeit ist, um zu verstehen, was die anderen machen. Ich beobachte und ahme dann nach. Die Arbeiten von Edici schlagen einen anderen Ansatz vor: Von Bedeutung ist, welche Kontrolle das Gehirn über das hat, was nachgeahmt wird." Der Mensch kopiert folglich nicht automatisch. Aufnahmen des Gehirns zeigen, dass sich die bei der Nachahmung aktive Zone mit derjenigen überlagert, die während der Mentalisierung aktiv ist: Das heißt, wenn man sich dessen bewusst ist, was in einem selbst oder im Kopf des Anderen vorgeht.

"Mit diesen Erkenntnissen könnten sich neue Perspektiven bei der Behandlung neurologischer Störungen eröffnen, wie zum Beispiel bei Autismus. Unsere Ergebnisse weisen auf einen neuen möglichen Ansatz für diesen Teil des Gehirns hin, der mit der Darstellung des Selbst und des Anderen zusammenhängt und mit der Fähigkeit, sich selbst vom Anderen abzugrenzen. Diese Forschungen könnten neue Wege für die Entwicklung neuer Therapien eröffnen - und dies zu verschiedenen neurologischen Dysfunktionen. Das ist natürlich sehr motivierend."

Kirstine de Caritat


Anmerkungen:

(1) Das Projekt Edici (Evolution, Development and Intentional Control of Imitation) gehört zur europäischen Initiative Nest Pathfinder, What it means to be human.
ftp://ftp.cordis.europa.eu/pub/nest/docs/4-nest-what-it290507.pdf

(2) Alle Zitate von Ludwig Huber.


info www.univie.ac.at/edici


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

In diesem Test muss der vormachende Hund (rechts) einen Ball in der Schnauze halten. Um ans Futter zu kommen, muss er mit seiner Pfote an einem Griff ziehen. Der nachahmende Hunde (sitzend), hat keinen Ball, kopiert aber auch nicht blind das Verhalten des anderen Hundes. Er wird seine Schnauze verwenden, weil das einfacher ist.


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Quelle:
research*eu Sonderausgabe - Oktober 2008, Seite 26
Magazin des Europäischen Forschungsraums
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. April 2009