Schattenblick →INFOPOOL →SOZIALWISSENSCHAFTEN → PÄDAGOGIK

SCHULE/331: Lernmotivation für kleine Männer (Agora - Uni Eichstätt-Ingolstadt)


Agora - Magazin der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, Ausgabe 2 - 2011

Lernmotivation für kleine Männer

von Klaudia Schultheis


Im Kunstunterricht Schmetterlinge malen, im Sportunterricht Schleiertänze aufführen - bleiben die "männlichen" Bedürfnisse von Jungen in der Grundschule auf der Strecke? Ein Forschungsprojekt untersuchte die Interessen von Jungen und Mädchen in den musisch-ästhetischen Fächern.


Gerade der Grundschule wird der Vorwurf gemacht, weiblich dominiert zu sein und damit Jungen zu benachteiligen. Der Hintergrund ist die durch die Schulleistungsstudien IGLU und PISA deutlich gewordene geringere Bildungsbeteiligung der Jungen. Mädchen liegen heute in den Schulleistungen im Durchschnitt vor den Jungen. Sie übertreffen die Jungen vor allem in der Lesekompetenz. Mädchen sind häufiger an den Gymnasien vertreten und erreichen höhere qualifizierende Abschlüsse. Dagegen sind Jungen häufiger an Hauptschulen zu finden und wiederholen öfters eine Klasse. Zugleich hat sich der Anteil der Lehrerinnen an den allgemeinbildenden Schulen in den letzten 40 Jahren stetig erhöht. So waren im Schuljahr 2009/2010 70,1 % aller voll- und teilzeitbeschäftigten Lehrkräfte in Deutschland weiblich.

Das schlechtere Bildungsabschneiden der Jungen wird deshalb auch häufig mit der "Feminisierung des Lehrerberufs" in Verbindung gebracht. In der Tat lässt sich ein Zusammenhang zwischen dem Anteil von weiblichen Lehrkräften und dem Bildungserfolg von Mädchen in den OECD-Staaten feststellen: Je mehr Lehrerinnen in einem Land unterrichten, desto erfolgreicher sind die Mädchen im Vergleich zu den Jungen. Empirisch nachgewiesen werden konnte die Annahme, dass das Geschlecht der Lehrkraft den Bildungserfolg von Jungen und Mädchen beeinflusst, jedoch nicht. Auch wenn es nicht am hohen Anteil der weiblichen Lehrkräfte liegt, wird der Grundschule doch der Vorwurf zuteil, sie gehe nicht auf die Bedürfnisse der Jungen ein. Der Basler Soziologe und Männerforscher Walter Holstein zitiert beispielsweise eine Berliner Mutter, die beklagt, dass die Kinder im Fach Deutsch Bienengeschichten lesen, im Kunstunterricht Schmetterlinge malen und im Sport Schleiertänze aufführen müssten. Dabei blieben die Jungen und ihre "männlichen Bedürfnisse" wie der Bewegungsdrang, sich Austoben beim Raufen und Fußballspielen usw. auf der Strecke. Die amerikanische Feministin Christina Hoff Sommers spricht sogar von einem "war against boys". Das mädchentypische Verhalten sei aufgrund der starken Mädchenförderung seit den 1970er Jahren zum Maßstab geworden und der Unterricht orientiere sich in seinen Inhalten und Methoden in erster Linie an den Interessen und Bedürfnissen der Mädchen.

In der Tat sprechen Beobachtungen dafür, dass die Grundschule in manchen Bereichen eher "mädchenorientiert" ist. So stellen eine Reihe von Studien zum Sachunterricht oder zum Lesen in der Grundschule Geschlechterunterschiede in den Interessen und Lernvoraussetzungen von Grundschulkindern fest. Nachweislich sind naturwissenschaftliche und technische Themen für Jungen interessanter als für Mädchen, werden aber im Sachunterricht der Grundschule zugunsten biologischer oder sozialkundlicher Themen vernachlässigt. Anstatt Tiergeschichten, Problemgeschichten und Märchen, die häufig den Grundschulleseunterricht dominieren, bevorzugen Jungen spannende Abenteuer, Heldengeschichten und Science Fiction. Auch die Unterrichtsmethoden berücksichtigen die Bedürfnisse der Jungen nach Eigentätigkeit wie z.B. Experimentieren und Hantieren mit technischen Geräten zu wenig.

Ein Forschungsprojekt am Lehrstuhl für Grundschulpädagogik und Grundschuldidaktik unter der Leitung von Frau Prof. Dr. Klaudia Schultheis und Dr. Iris Kühnl nahm diese Befunde zum Anlass zu fragen, inwieweit es Interessensunterschiede zwischen Jungen und Mädchen auch im musisch-ästhetischen Lernbereich der Grundschule, d.h. in den Fächern Kunst, Musik und Sport, gibt und worin diese bestehen. Befragt wurden 341 Grundschulkinder an 20 bayerischen Schulen im Schuljahr 2009/10.

Die Datenerhebung fand mittels eines Fragebogens statt, der nach der Beliebtheit jedes einzelnen Faches und einzelner Fachinhalte fragte, zum anderen aber auch Hintergrundinformationen bezüglich möglicher Einflussfaktoren auf die Einschätzung und Interessen zu jedem Fach erhob. Die Auswertung der Daten erfolgte mit Unterstützung des Lehrstuhls für Statistik der Mathematik (Prof. Dr. Bischoff) und verwendete Hypothesentests über relative Häufigkeiten, den Chi-Quadrat-Test über Häufigkeitsverteilungen und Tests über die Unabhängigkeit von Merkmalen. Darüber hinaus wurde der Korrelationskoeffizient nach Spearman errechnet.

Die Ergebnisse sind für die einzelnen Fächer des musisch-ästhetischen Bereiches sehr unterschiedlich. So zeigt sich das Fach Sport in der Grundschule insgesamt ausgeglichen hinsichtlich seiner geschlechtsspezifischen Ausrichtung. Das Geschlecht spielt hier keine Rolle für die Beliebtheit des Faches, relevant ist vor allem die Beliebtheit der Lehrkraft. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass gerade im Fach Sport, an der Gesamtzahl männlicher Grundschullehrer gemessen, überproportional viele männliche Lehrkräfte unterrichten. Darüber hinaus gelingt es im Fachbereich Sport auch die Inhalte so zu gestalten, dass damit sowohl die Interessen von Jungen als auch von Mädchen abgedeckt werden.

Im Fach Kunsterziehung hingegen spielt das Geschlecht eine Rolle, da Mädchen das Fach stärker mögen als Jungen. Neben dem Geschlecht spielt hier die Beliebtheit der Lehrperson eine wichtige Rolle. Die Inhalte des Faches laufen insgesamt Gefahr, zu sehr an den Interessen von Mädchen orientiert zu sein, was auch daran liegen könnte, dass in Kunsterziehung deutlich weniger Männer unterrichten als in Sport. Es werden zwar Inhalte aufgegriffen, die sowohl von Jungen als auch von Mädchen positiv bewertet werden. Jedoch kommen die Interessen von Jungen eindeutig zu kurz, da von Jungen präferierte Inhalte, wie z.B. das auch im bayerischen Lehrplan enthaltene Arbeiten mit Foto, Film oder PC, im realen Unterricht der Grundschule deutlich unterrepräsentiert sind.

Das problematischste Fach des musisch-ästhetischen Bereiches scheint jedoch Musik zu sein. Musik zeigt eine starke einseitige Ausrichtung an den Interessen der Mädchen. Dabei spielt auch das Geschlecht der Lehrperson eine wichtige Rolle, da die Beliebtheit des Faches mit der Beliebtheit der Lehrperson korreliert. Zu berücksichtigen ist, dass in Musik besonders wenige Männer unterrichten. Zudem sind die Themen sind stark mädchenorientiert. Es gibt keinen Unterrichtsinhalt, in dem die Schülerinnen und Schüler sich aktiv mit Musik auseinandersetzen und der von beiden Geschlechtern in gleichem Maße präferiert wird. Darüber hinaus fällt nur ein einziger Inhalt in den Interessensbereich von Jungen. Es handelt sich dabei um das Trommeln in einer Trommelgruppe, das in der Regel nur selten im Grundschulmusikunterricht angeboten wird. Für den Musikunterricht ist dies ein sehr einseitiges Ergebnis, das noch stärker als im Kunstunterricht, für eine überproportional starke Orientierung des Faches an den Interessen der Mädchen spricht.

Die Untersuchungsergebnisse machen insgesamt deutlich, dass der musisch-ästhetische Bereich in der Grundschule in den Bereichen Kunst und Musik die Interessen und Präferenzen von Jungen zu wenig berücksichtigt. Dennoch ist festzustellen, dass die Mädchen das am meisten auf sie zugeschnittene Fach, nämlich Musik, am wenigsten schätzen. Auch für die Mädchen ist das Fach Sport - wie für die Jungen - der klare Favorit. Damit lassen sich eindeutig Kunst und Musik als Problemfelder des musisch-ästhetischen Bereichs identifizieren. Gegenwärtig ist nicht davon auszugehen, dass sowohl Jungen als auch Mädchen vom Kunst- und Musikunterricht so angesprochen werden, dass durch die Berücksichtigung vorhandener Interessen und Präferenzen eine angemessene Lernmotivation aufgebaut werden kann. Insofern müssten die Ausrichtung und inhaltliche Gestaltung der beiden Fächer im Hinblick auf den Anspruch eines geschlechtergerechten Unterrichts überprüft werden.


Prof. Dr. Klaudia Schultheis ist seit 1998 Inhaberin des Lehrstuhls für Grundschulpädagogik und Grundschuldidaktik.


*


Quelle:
Agora - Magazin der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt
Ausgabe 2/2011, Seite 24 - 25
Herausgeber: Der Präsident der Katholischen Universität, Prof. Dr. Richard Schenk
Redaktion: Presse- und Öffentlichkeitsreferat der KU, 85071 Eichstätt
Tel.: 08421 / 93-1594 oder -1248, Fax: 08421 / 93-2594
E-Mail: pressestelle@ku-eichstaett.de
Internet: www.ku-eichstaett.de

AGORA erscheint einmal pro Semester und kann kostenlos bezogen werden.


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Dezember 2011