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SCHULE/211: Montessori entwickelte ihre Pädagogik vor 100 Jahren (welt der frau)


welt der frau 1/2007 - Die österreichische Frauenzeitschrift

Marias Material
Maria Montessori entwickelte ihre Pädagogik vor 100 Jahren

Von Christine Haiden


Maria Montessori entwickelte aus ihrer Beschäftigung mit angeblich "schwachsinnigen" Kindern Arbeitsmaterialien, um das Lernen der Kinder über die Sinne zu stimulieren.


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Im Jahr 1906 stellte die italienische Ärztin Maria Montessori ihre Bildungsmethodik und Bildungsphilosophie für Kindergärten und Schulen vor. Seither diskutiert man, ob die Methode des Selbstlernens anhand von vorbereitetem Lernmaterial das Kind eher fördert oder eher behindert.

Montessori ging davon aus, dass das Kind einen eigenen Antrieb zum Lernen hat. Aufgabe der Erwachsenen, speziell der Lehrpersonen, sei es, die Interessen des Kindes wahrzunehmen und es entsprechend zu fördern. Der Leitsatz lautet: "Hilf mir, es selbst zu tun." Für diese Förderung hat Montessori eine Reihe von Arbeitsmaterialien entwickelt, die das Kind sinnlich stimulieren sollen. Ein offener, individueller Unterricht ist die Folge, die Lernentwicklung des Kindes wird durch geleistete Aufgaben und nicht durch Noten dokumentiert. Viele Eltern schätzen an der Montessoripädagogik, dass sie den eigenen Rhythmus und die eigenen Interessen eines Kindes in den Mittelpunkt stellt. So würde das Kind Selbstvertrauen und Selbstständigkeit erwerben.

Die Kritik an der Pädagogik der Italienerin hat verschiedene Facetten. Die Lernmaterialien sind nicht mehr zeitgemäß, lautet eine. Vor allem in der Mathematik käme man mit den Montessorimaterialien zu keinen ausreichenden Ergebnissen. Man kritisiert auch, dass Montessori das Spielen mit Lernmaterial verboten und nicht besonders viel von Fantasie und Kreativität gehalten habe. Außerdem würde mit der Methode des individuellen Lernens das Lernen in der Gruppe verhindert.

Mittlerweile hat die Montessoripädagogik in vielen Schulen als Ergänzung zum Regelunterricht Einzug gehalten. Gruppenunterricht wird mit Phasen des offenen Lernens kombiniert. Man nimmt sich die Freiheit, nicht streng nach der Lehre der Gründerin zu unterrichten, sondern neue Erkenntnisse in der Lernforschung mit den 1906 sicher revolutionären Lernkonzepten zu verbinden.

Weitere Infos:
www.montessori.at
www.wikipedia.org/Montessori


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Montessori für alle?
Regelschule oder Montessoriklasse - wer fördert Kinder besser?

Eine Umfrage von Eva Heistracher

Montessori-Pädagogik erfreut sich nach wie vor großer Aktualität und regen Interesses. In den Volksschulen ist die Nachfrage nach Plätzen in einer "Montessoriklasse" ungebrochen und übertrifft das Angebot bei Weitem.

Kein strenges Notenschema
Mag.a Irene Bäuchler, Softwareentwicklerin

Beim "Tag der offenen Tür" hat es unseren Sohn spontan in die Montessoriklasse gezogen. Die Kinder arbeiten hier in Teams und selbstmotiviertes Lernen steht eindeutig im Vordergrund. Wir finden es positiv, wenn die Kinder zunächst nur verbal beurteilt und nicht von Anfang an in ein strenges Notenschema gepresst werden. Noten sind ja immer subjektiv. Was sagen sie denn wirklich über ein Kind aus?


Individuelles Lerntempo
Brigitte Roider, Sonderpädagogin, und Martin Roider, Tischler

In den Montessoriklassen gefällt uns die Grundhaltung dem Lernen gegenüber: Kinder sind von Natur aus neugierig, haben Lernschübe, in denen sie besonders motiviert sind. Dem individuellen Lerntempo wird Rechnung getragen.

Die Enttäuschung war groß, als unsere Tochter nicht in die Montessoriklasse aufgenommen wurde. Doch nun geht sie gern in die Regelklasse. Wir versuchen ihr den Stress, den sie manchmal mit nach Hause bringt, zu nehmen und lassen ihr Freiräume, um ihren Interessen nachzuspüren. Sie darf viel selbst ausprobieren, auch wenn es ein wenig langsamer geht.


Wochenpläne erledigen
Axel Pichler, Vertragsbediensteter

Unser Sohn hat beschlossen, in die Regelklasse mit Musikschwerpunkt zu gehen. Der Unterschied zu einer Montessoriklasse ist hier meines Erachtens nicht mehr groß: Die Kinder haben Wochenpläne mit jeweils fünf Aufgaben, die innerhalb einer Woche zu erledigen sind, wobei die Kinder selbst entscheiden, wann sie was machen. Es gibt fächerübergreifende Projekte, bei denen sich die LehrerInnen die Unterrichtsstunden so einteilen, wie sie es brauchen. Bei den Unterrichtsmitteln haben sie Montessorimaterialien nachgebastelt, selbst organisiert oder zum Teil vom Elternbeitrag nachgekauft.

Natürlich hängt das alles von der Aufgeschlossenheit und vom Engagement der LehrerInnen ab.


Mischung der Methoden
Claudia Frauenlob, Religionspädagogin und Biobäuerin

Im Regelschulsystem ist mir diese subtile Form des Wettkampfes ein besonderer Dorn im Auge. Leider ist der Versuch, unserem Kind durch den Besuch einer Montessoriklasse diese Wettbewerbsdramatik zu ersparen, auf der ganzen Linie misslungen. Da die Montessoripädagogik in den weiterführenden Schulen nicht etabliert ist, gibt es ab der dritten VS-Klasse doch Noten. Zwei Schuljahre lang wird den Kindern eine heile Welt vorgetäuscht, mit den ersten Schularbeiten ist unsere Tochter dann aus ihrem Himmel gefallen.

Heute befürworte ich eine Vermischung der Methoden, Regelunterricht mit Elementen der Montessoripädagogik, wie sie an unserer Volksschule schon praktiziert wird.


Schwierige Umstellung
Mag.a Sonja Inwinkl, Pharmazeutin

Unser Sohn passte sehr gut in die Regelklasse, er ist immer sehr lebhaft gewesen und brauchte klare Anweisungen und Vorgaben. Er lernte nie mehr als nötig und wir konnten uns nicht vorstellen, dass er freiwillig mehr täte als unbedingt erforderlich. Bei einer alternativen Schulform hätte er die Freiräume sicher bis ins Letzte ausgekostet und sich ausgerastet.

Nach vier Jahren Montessoripädagogik stellt sich auch die Frage, wie es weitergeht. Der Umstieg ins sehr leistungsorientierte Gymnasium ist dann eine krasse Umstellung.


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Quelle:
welt der frau - Die österreichische Frauenzeitschrift,
Ausgabe 1/2007, Seite 10-11
mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und der Autorin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juli 2007