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FORSCHUNG/162: Wie wirksam sind internationale Interventionen gegen Vergewaltigungen im Kongo? (highlights - Universität Bremen)


"highlights" - Heft 35 / Winter 2017/2018
Forschungsmagazin der Universität Bremen

Wie wirksam sind internationale Interventionen gegen Vergewaltigungen im Kongo?


Die Demokratische Republik Kongo zählt zu den ärmsten Ländern der Welt. Ein schweres koloniales Erbe und jahrzehntelange Kriege und Krisen haben die Zivilbevölkerung zermürbt. In den vergangenen zehn Jahren kam das zentralafrikanische Land in die Schlagzeilen, weil Rebellengruppen, bewaffnete Milizen und die kongolesische Armee viele Vergewaltigungen an Frauen und Kindern begehen. Seitdem schaut die Weltöffentlichkeit genauer hin.


Insbesondere der UN-Sicherheitsrat hat dafür gesorgt, dass besonders viele Projekte und Programme gegen "sexuelle Gewalt in Konfliktkontexten" durchgeführt werden. Deren Wirksamkeit, die beabsichtigten und nichtbeabsichtigten Effekte, untersucht Dr. Alex Veit am Institut für Interkulturelle und Internationale Studien (InIIS). Der Politologe und Sozialwissenschaftler wird dabei von seiner Kollegin Lisa Tschörner unterstützt. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert das für drei Jahre konzipierte Projekt mit etwa 500.000 Euro.

"Wir wollen herausfinden, wie gut die Interventionen gegen sexuelle Gewalt vor Ort funktionieren, die ja weitab, an den Schreibtischen in Genf oder New York konzipiert werden", sagt Alex Veit. Insgesamt zweieinhalb Monate war er im Osten des Kongo unterwegs und führte Interviews auf allen Ebenen. Mit Staatsanwälten, Richtern, Polizei und Gefängnisdirektoren in den Provinzhauptstädten Bunia und Bukavu und mit einfachen Menschen, betroffenen Frauen und ihren Familien auf dem Land. Immerhin wurde im Jahr 2006 ein neues Gesetz rechtskräftig, das sexuelle Gewalt unter Strafverfolgung stellt. "Es gibt zwar Polizei, Gerichte und Gefängnisse", sagt Veit, "doch der Staat ist schwach, die Verwaltungen sind korrupt, es ist schwierig, zentrale Entscheidungen zu treffen und durchzusetzen." Im Osten des Landes brechen immer wieder bewaffnete Konflikte unter Beteiligung der Nachbarstaaten aus, denn der Kongo ist arm, aber reich an Bodenschätzen wie Kupfer, Gold und Coltan.


Sonderrecht mit Vorrang

Der größte Teil der internationalen Projekte gegen sexuelle Gewalt, die auch von Nichtregierungsorganisationen (NGO) getragen werden, kümmert sich um die medizinische Nachsorge und psychosoziale Betreuung der vergewaltigten Frauen. "Die Opfer werden ermutigt, Anzeige zu erstatten", sagt der Bremer Sozialwissenschaftler. Das Gesetz sei auch durch die weltöffentliche Aufmerksamkeit ein Sonderrecht geworden. Spezielle Polizeieinheiten und Staatsanwälte seien gehalten, diese Fälle vorzuziehen. Von internationaler Seite werde Rechtshilfe geleistet, Gerichtsgebühren für die Klägerinnen werden übernommen, so dass die Schwelle geringer sei, die Täter anzuklagen. Zwei Drittel der Untersuchungshäftlinge in einem Gefängnis in Bunia seien wegen sexueller Gewalt dort. Veit hat sich bei einem Besuch persönlich davon überzeugt. Wie die Zustände waren? Der Politologe, der schon viel gesehen hat und auch seine Doktorarbeit über den Kongo geschrieben hat, winkt ab. "Da länger einzusitzen ist ein klares Todesurteil. Die meisten kaufen sich aber vorher frei." Soviel zur Korruption in einem oligarchischen Staat.


Nicht beabsichtigte Wirkung auf dem Land

Während das Gerichtswesen effektiv nur in den Städten funktioniere, sei es auf dem Land schwieriger. Gerade in den von Rebellen und Milizen kontrollierten ländlichen Gebieten kommt es weiter zu vielen Vergewaltigungen. Doch es sind keine Polizisten und keine Gerichte vor Ort, um dagegen vorzugehen. Alex Veit und Lisa Tschörner haben wahrgenommen, dass Regierung und die lokale NGO-Szene immer wieder die Bevölkerung aufrufen, sich mit dem Problem auseinanderzusetzen und nicht die Augen zu verschließen. "Betroffene Frauen sind stigmatisiert und werden nicht selten von ihren Familien verstoßen", sagt der Wissenschaftler. Bei ihren ethnografischen Beobachtungen und Interviews auf dem Land haben die Bremer Forscher eine Entwicklung beobachtet, die so nicht beabsichtigt war: Das Gesetz wird häufig in familiären Streitigkeiten als Druckmittel eingesetzt. So werden auf dem Land Mädchen häufig sehr jung in traditionellen Zeremonien verheiratet. "Sie werden nicht in die Schulen geschickt, weil das Gebühren kostet. Dieses Privileg wird häufig nur den Söhnen zugestanden, die einmal das Land der Eltern erben werden. Da macht es auch ökonomisch Sinn, die Töchter früh in andere Familien einzugliedern." Doch was passiert, wenn die Familien in Streit geraten, zum Beispiel über die Bezahlung des Brautpreises? Mit dem Gesetz zur Verfolgung von sexuellen Straftaten haben sie ein neues Druckmittel, indem sie eine Vergewaltigung ihrer minderjährigen Tochter anzeigen. Auf dem Lande seien die unintendierten Wirkungen der juristischen Verfolgung sexueller Gewalt vielleicht sogar größer als die intendierten. "Aufgrund unserer früheren Forschung zu Interventionen hatten wir viele unbeabsichtigte Effekte erwartet." Die Idee war es, konfliktbezogene sexuelle Gewalt zu ahnden, und vor Ort werde etwas ganz anderes daraus. "Es ist ein stark politisch, moralisch und sozial aufgeladenes Thema."


Entwicklungen in der Stadt

Auch in der Stadt seien Entwicklungen zu beobachten, die so nicht vorgesehen waren. Das Stichwort heißt "verbotene Liebe". Veit schildert, dass durch die Unsicherheiten bei aufflammenden militärischen Konflikten, denen die Bevölkerung in den Provinzen ausgesetzt ist, immer mehr Menschen abwandern. "Die Verstädterungstendenz beschleunigt sich durch den Krieg." Damit würden traditionelle Moralvorstellungen von den sich emanzipierenden jungen Leuten hinterfragt. So suchen sie ihre Partner selbst. Da kann es sein, dass Minderjährige eine Beziehung mit sexuellem Kontakt beginnen. "Meist verklagen die Eltern des Mädchens den jungen Mann wegen Vergewaltigung, um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten." Eine Untersuchung in Schulen habe ergeben, dass insbesondere die Jungen davor Angst haben.


Disziplinierung der Armee

Hat das Gesetz und seine Umsetzung mit internationaler Unterstützung also gar nichts gebracht? Nur nicht absehbare Nebeneffekte? "Nein", sagt Alex Veit. "Es gibt einen tatsächlichen Erfolg. Die größte Tätergruppe war die kongolesische Armee selbst." Der Staat habe mit internationaler Hilfe stark in die Disziplinierung der Soldaten investiert. Und das zeige auch die gewünschten Effekte. Es sei gelungen, die Armee stärker unter Kontrolle zu bringen. "Aber nur bis zu einem gewissen Dienstgrad, denn dann greifen wieder Korruption und undemokratische Willkür. An höhere Dienstgrade traut sich keiner ran."


Studierende vor Ort einbeziehen

Teamleiter Alex Veit und seine Mitarbeiterin Lisa Tschörner veröffentlichen laufend ihre Forschungsergebnisse in Fachzeitschriften, um die Erkenntnisse auch auf internationaler Ebene für Politik und Gesellschaft nutzbar zu machen. Im Herbst plant der Politologe eine Tour durch Universitäten des Kongo. Er wird Vorträge halten, seine Zwischenergebnisse vorstellen und für seine Thesen das Feedback testen. Außerdem wird er an der Universität von Bunia ein Methodenseminar unterrichten und Studierende in seine Arbeit einbeziehen. Sie sollen Interviews durchführen und somit Multiplikatoren der Bremer Forschungen werden.


Dr. Alex Veit
Institut für Interkulturelle und Internationale Studien
Tel.: +49 421 218-67471
E-Mail: veit@uni-bremen.de
www.iniis.uni-bremen.de/personen/projekte

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Quelle:
highlights - Forschungsmagazin der Universität Bremen
Heft 35 / Winter 2017/2018, Seite 10-15
Herausgeber: Rektor der Universität Bremen
Redaktion, Texte:
Karla Götz, Text Seite 24-29
Kai Uwe Bohn
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Internet: www.uni-bremen.de/universitaet/presseservice/publikationen/highlights.html
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Dezember 2017

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