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FORSCHUNG/103: Entwicklungshilfe durch Tourismus (Agora - Uni Eichstätt-Ingolstadt)


Agora - Magazin der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt
Ausgabe 1 - 2010

Entwicklungshilfe durch Tourismus

Von Harald Pechlaner und Christopher Reuter


Gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit GTZ untersuchten Studierende der Geographie im indischen Bundesstaat Uttarakhand, wie nachhaltiger Tourismus auf regionaler Ebene zu einem dauerhaften Wirtschaftsfaktor werden kann.


Die Zahlen zum wirtschaftlichen Wachstum in Indien sind schon seit Jahren beeindruckend gut und auch nach dem Dämpfer infolge der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise werden für den Subkontinent für das neue Jahrzehnt konstant BIP-Wachstumsraten von über fünf Prozent erwartet. Wobei vor allem der Inlandskonsum der stetig wachsenden indischen Mittelschicht als Motor der Entwicklung gilt. Auch der Tourismus spielt in der indischen Wirtschaft eine große Rolle und beschäftigt Schätzungen zufolge bereits heute rund 25 Millionen Menschen. Es wird erwartet, dass der Tourismus zukünftig die höchsten Wachstumsraten generieren wird und es infolgedessen sogar zu größeren Engpässen bei den Übernachtungskapazitäten kommen könnte (Jauhari, 2009 und Kaul/Gupta, 2009). Die Planungskommission für den elften Fünfjahresplan rechnet für den Zeitraum von 2007 bis 2012 allein bei der Inlandsnachfrage mit einem jährlichen Wachstum von 8,8 Prozent. Bei den internationalen Gästeankünften ist Indien hingegen weltweit nur an 47. Stelle und man geht davon aus, dass auf jeden ausländischen Gast 80 inländische Reisende kommen. Eine große Rolle spielen dabei Pilgerreisen und religiöse Festivitäten wie die Kumbh Mela, die 2010 in Haridwar im Bundesstaat Uttarakhand stattfindet und als größtes religiöses Fest weltweit gilt.

Haridwar gehörte auch zu den Orten, die im September 2009 von einer 23-köpfigen Gruppe von Studierenden der Geographie unter der Leitung von Prof. Dr. Harald Pechlaner und Christopher Reuter (M.A.) im Rahmen einer dreiwöchigen Exkursion in den Norden Indiens bereist wurden. Während im Vorfeld die touristischen Hochburgen des "Goldenen Dreiecks" (Delhi, Jaipur und Agra) besucht wurden und zum Abschluss der Reise der Weg zum Sitz der Exilregierung des Dalai Lamas in Dharamsala und der heiligen Stadt der Sikhs - Amritsar - führte, stand vor allem auch ein Kooperationsprojekt mit der GTZ (Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit GmbH) im Mittelpunkt des Interesses. Basis des viertägigen Projektes war der Sitz des Projektes RED (Regional Economic Development) der GTZ in Dehradun, der Hauptstadt des Bundestaates Uttarakhand. Im Rahmen des Projektes wurden dann die Stadt Mussoorie und der touristische Attraktionspunkt Asan Barrage besucht, um dort Material für zwei Fallstudien zur Destinationsentwicklung zu sammeln.

Die GTZ ist bereits seit 1974 im Bereich der Entwicklungshilfe und des Technologietransfers tätig und beschäftigt mittlerweile weltweit rund 13.000 Mitarbeiter. Sie untersteht dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und koordiniert von ihrer Zentrale in Eschborn aus rund 2.000 Projekte in über 100 Ländern. In Uttarakhand wurde das Programm RED im Auftrag der Regierung des Bundesstaates aufgelegt, um Möglichkeiten zu finden regionale Wertschöpfungsketten zu definieren. Im Fokus stehen dabei die Vermarktung regionaler Produkte, der Anbau agrarischer Nischenprodukte und der Tourismus in ländlichen Gebieten. Denn während die Pilgerzentren in Haridwar und Rishikesh ("Yoga capital of the world") stark vom in- und ausländischen Tourismus geprägt sind und das ITOPC (Indian Tour Operators Council) sogar davon ausgeht, dass rund ein Fünftel des BIP des Bundesstaates im Tourismus erarbeitet wird, sind die ländlichen Gebiete bisher nur in geringem Maße touristisch erschlossen. Eingebettet sind die kleinräumigen Projekte der GTZ in den "Uttarakhand Tourism Development Plan" der UNWTO (United Nations World Tourism Organisation) von 2008, der den Bundesstaat in sechs Entwicklungszonen einteilt und sich vor allem mit Fragen der Infrastruktur und der Strategieentwicklung befasst.

Ziel des von der Exkursionsgruppe zu bearbeitenden Projektes war die Beantwortung der Frage, inwieweit ein nachhaltiger Tourismus geeignet ist, um die ökomische Entwicklung auf regionaler Ebene voranzutreiben. Die Arbeit konzentrierte sich auf die oben genannten Orte, die jeweils von einer der beiden Teilgruppen bearbeitet wurden. Neben der Besichtigung der Örtlichkeiten und der Analyse von Datenmaterial, das zum größten Teil die GTZ zur Verfügung stellte, wurden Interviews mit wichtigen lokalen Akteuren in den Bereichen Politik (z.B. Bürgermeister von Mussoorie), Tourismus (z.B. lokale Hotelbesitzer) und Interessensvertretung (z.B. Forest Research Institute of India) geführt.

Mussoorie und Asan Barrage sind in ihrer Struktur höchst unterschiedlich; während Mussoorie in 2.000 m Höhe auf eine lange touristische Tradition zurück blicken kann und sich stolz

"Queen of the Hills" nennt, handelt es sich bei Asan Barrage um einen künstlichen Stausee in der Nähe des Flusses Yamuna, der 1967 entstanden ist und erst seit 1994 touristisch genutzt wird. Mussoorie war eine der führenden "Hill Stations" in der Kolonialzeit und ist bis heute ein beliebter Zielort u.a. für indische Hochzeitsreisende. Bereits 1827 wurde das erste Erholungsheim für britische Offiziere eröffnet, dem schon 1861 ein erstes Hotel und einige der führenden Schulen des Landes folgten. Nach dem Ende der Kolonialzeit begann eine qualitative Stagnationsphase, die nach dem Verbot von Hotelneubauten im Jahre 1980 durch den Supreme Court in Delhi in eine Phase des Niedergangs überging. So wurde denn auch die mangelhafte Infrastruktur als größte Schwäche von den Studenten identifiziert, die die großen Stärken (günstiges Klima, reichhaltige Geschichte und eine herausragende Landschaft) zum Teil wieder wett machen. Darüber hinaus zeigten sich aber auch Probleme im Bereich des Marketing und vor allem der Steuerungsstrukturen (Destination Governance). Große technische Projekte, wie die geplante Bergbahn von der Hauptstadt hinauf nach Mussoorie können die Probleme allein nicht lösen, vielmehr gilt es neben der Aufhebung des Urteils von 1980, das aufgrund des fehlenden Wettbewerbs letztlich zu einem völligen Ausbleiben von Investitionen geführt hat, auch darum, eine Destination "Greater Mussoorie" zu schaffen, die als zentral koordiniertes Netzwerk in der Lage wäre die Probleme der gesamten Tourismusregion strategisch anzugehen und dann auch zu lösen.

In Asan Barrage hingegen geht es neben dem Ausgleich von Umweltschutz und touristischer Entwicklung vor allem auch um die qualitative Verbesserung der touristischen Infrastruktur und des näheren Umfeldes. So wurde zwar für die Hauptverbindungsroute zwischen den Hauptstädten Dehradun und Chandigarh (National Highway 72) bereits eine Umgehungsstraße gebaut, die nicht mehr direkt am Stausee vorbeiführt. Die Zementindustrie auf der anderen Seite des Flusses Yamuna bildet jedoch weiterhin einen Risikofaktor, sowohl für die Umwelt als auch für den Tourismus. Während die Strukturen insgesamt derzeit noch sehr kleinteilig sind, es nur wenige Übernachtungsmöglichkeiten (ein kleiner Campingplatz und mehrere kleine, sehr einfache Häuser) gibt und man von hohen Besucherzahlen noch weit entfernt ist (der örtliche Bootsverleih rechnet mit rund 20.000 verliehenen Booten pro Jahr), gibt es zumindest schon Ansätze, den drohenden Konflikt zwischen Natur und Tourismus zu überwinden. Denn obwohl Asan Barrage ein künstlich geschaffener Naturraum ist, verfügt er mit 251 Vogelarten über ein hohes Biosphärenpotential. Das Gebiet wurde 2005 zum "Conservation Reserve" ernannt und ist Teil des großen Rajaji National Park, der die Höhenzüge südlich des "Doon Valley", also des Tals von Dehradun, umfasst. Es ist mittlerweile gelungen zehn lokale "Guides" für die Vogelbeobachtung auszubilden, die sich jährlich um rund 4.000 Besucher kümmern. Da es in der Region Dehradun eine Vielzahl großer, überregional bekannter Bildungseinrichtungen gibt, ist ein großes Potential vorhanden, das bei einer Lösung der dringendsten Infrastrukturprobleme (Gastronomie, Anbindung an den Busverkehr) sicherlich genutzt werden könnte. Doch die positive wirtschaftliche Entwicklung in Dehradun wird auch zu einer verstärkten Nachfrage nach Erholungsmöglichkeiten im näheren Umland führen, so dass ein hoher Druck in Asan Barrage entstehen könnte. Dem gilt es mit intelligenten Lösungen zu begegnen, die es erlauben die natürlichen Ressourcen der Landschaft nachhaltig für den Tourismus zu nutzen. Entscheidend ist auch hier wieder das Funktionieren des lokalen Netzwerkes, das im Falle von Asan Barrage geprägt ist durch die staatliche Waldverwaltung und die staatliche Aufsicht über die Wasserkraftwerke, die auch Eigentümer der Grundstücke sind. Neben lokalen Interessensvertretern ist auch das staatliche Tourismusunternehmen vor Ort aktiv und sitzt als Betreiber der touristischen Anlagen ebenfalls mit am Tisch. Völlig fehlen hingegen private Akteure, die für eine wirtschaftlich gesunde Entwicklung des Attraktionspunktes aber von entscheidender Bedeutung wären.

Die beiden Fallstudien zeigen auch auf, welche Rolle moderne Entwicklungshilfeorganisationen wie die GTZ spielen können. Während es in der Vergangenheit hauptsächlich um den direkten Wissens- und Technologietransfer ging, indem man einzelne technische Vorzeigeprojekte förderte, agiert die GTZ heute als Unternehmensberatung, Netzwerker und Knowledge Broker, der eben nicht einfach eine Seilbahn baut, die dann für einen kurzen Boom sorgt, sondern die nachhaltige Strukturen erzeugt, indem sie Netzwerke und Kooperationen entwickelt und fördert und diese bei der Entwicklung langfristig angelegter Strategien und deren Umsetzung unterstützt. Der Tourismus wiederum stellt einen Kontext dar, in welchen diese neue Vorgehensweise hervorragend passt und entsprechend positive Effekte erzeugen kann.

Prof. Dr. Harald Pechlaner ist Inhaber des Lehrstuhls Tourismus an der KU und leitet das Zentrum für Entrepreneursh!p.

Christopher Reuter ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Lehrstuhls Tourismus.


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Quelle:
Agora - Magazin der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt
Ausgabe 1/2010, Seite 24-25
Herausgeber: Der Präsident der Katholischen Universität,
Prof. Dr. Andreas Lob-Hüdepohl
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. April 2010