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FORSCHUNG/091: Fallstudien zur Rolle nicht-staatlicher Machtgruppen in Afrika (idw)


Universität Bayreuth - 05.02.2009

Aktuelle Fallstudien zur Rolle nicht-staatlicher Machtgruppen in Afrika


Politische und gesellschaftliche Entwicklungen in Afrika werden oftmals von Akteuren mitgeprägt, die außerhalb staatlicher Institutionen und Rechtssysteme eigene Machtpositionen innehaben oder aufzubauen versuchen. Die Afrikaforschung an der Universität Bayreuth arbeitet gemeinsam mit internationalen Partnern darauf hin, die Funktionen und Wirkungen solcher Organisationen und Machtgruppen genauer zu verstehen. Die kürzlich erschienene Aufsatzsammlung "Beside the State. Emergent Powers in Contemporary Africa" enthält neue Fallstudien zu politischen und sozialen Prozessen in verschiedenen Ländern Afrikas.

Bayreuth (UBT). Seit mehr als zwei Jahrzehnten durchlebt der afrikanische Kontinent tiefgreifende Veränderungen. Regionalkonflikte und Bürgerkriege, aber ebenso Friedensprozesse und Demokratisierung bringen neue politische und gesellschaftliche Konstellationen hervor. Diese Entwicklungen werden oftmals von Akteuren mitgeprägt, die jenseits oder parallel zu staatlichen Institutionen und Rechtssystemen eigene Machtpositionen innehaben oder aufzubauen versuchen. Dabei handelt es sich beispielsweise um nichtstaatliche Milizen, Oberhäupter von ethnischen Gruppen, religiöse Autoritäten oder auch um zivile Organisationen, die in Fragen der ökonomischen und sozialen Entwicklung erfolgreich als Vertreter lokaler Interessen agieren.

Die Afrikaforschung an der Universität Bayreuth arbeitet gemeinsam mit internationalen Partnern bereits seit mehreren Jahren darauf hin, die Funktionen und Wirkungen von einflussreichen, aber außerstaatlichen Organisationen, Autoritäten und Machtgruppierungen genauer zu verstehen. Eine kürzlich erschienene Aufsatzsammlung zu dieser Thematik vereinigt unter dem Titel "Beside the State. Emergent Powers in Contemporary Africa" neue Forschungsarbeiten, die sich mit der Herausbildung neuer Machtfaktoren in verschiedenen afrikanischen Ländern befassen. Die hier erstmals publizierten Fallstudien untersuchen politische und soziale Prozesse in Kenia, Somalia, Kongo, Tschad, Gambia, Ghana und Mozambique. Herausgeber sind Georg Klute, Professor für Ethnologie Afrikas an der Universität Bayreuth, und seine italienische Kollegin Alice Bellagamba, die in den Jahren 2004/2005 als Stipendiatin der Alexander von Humboldt-Stiftung in Bayreuth geforscht hat und heute an der Universität Mailand lehrt.

Allen Beiträgen liegt ein Forschungsansatz zugrunde, den die Herausgeber als "analytischen Empirismus" charakterisieren. Ausgehend von der Feldforschung werden Entwicklungen und Strukturen in ausgewählten Regionen Afrikas mit einer Begrifflichkeit untersucht, die sich auf die komplexen lokalen Gegebenheiten einlässt und sich daher von traditionellen Stereotypen der europäischen Afrikaforschung löst. Dabei wird deutlich, dass eine einseitige Orientierung an hierarchischen Strukturen des europäischen Territorialstaats ein angemessenes wissenschaftliches Verständnis behindert. Denn es handelt sich nicht notwendigerweise um Defizite oder Verfallserscheinungen staatlicher Ordnung, wenn nicht-staatliche Akteure sich zu gewichtigen politischen Machtfaktoren entwickeln. Wenn es darum geht, die Rolle dieser Akteure in Afrika zu beschreiben und zu bewerten, scheint vielmehr das Konzept der "Heterarchie" geeignet. Es geht von einer Pluralität staatlicher und nicht-staatlicher Machtfaktoren aus, die sich wechselseitig ergänzen und stärken, aber auch bekämpfen und zurückdrängen können.

Von diesem konzeptionellen Ansatz aus bietet die Aufsatzsammlung ein eindrucksvolles, durch Feldforschungen fundiertes Bild von der Vielfalt postkolonialer Entwicklungen auf dem afrikanischen Kontinent. Nichtstaatliche lokale Organisationen in Kenia, die sich aufgrund demokratischer Entwicklungen in den 90er Jahren entfalten konnten, werden ebenso thematisiert wie beispielsweise die sozialen und rechtspolitischen Funktionen von "Häuptlingen" in Mozambique und Ghana, die Wirkungsmöglichkeiten geistlicher Autoritäten in Gambia, die militanten Aufstände der Tuareg im nördlichen Mali oder die Einflüsse, die Stammesälteste auf die autonome Regierung in Somaliland ausüben.

Die Fallstudien zeigen, wie rasch sich derartige Konstellationen in Afrika ändern können: Außerstaatliche Kräfte, die heute einen wesentlichen Beitrag zur lokalen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung leisten, können schon morgen gesamtstaatlich organisierten Modernisierungsprozessen im Weg stehen. Zugleich lässt sich in einigen Regionen Afrikas aber auch beobachten, dass rechtsstaatlich orientierte Reformprozesse und die Organisation demokratischer Willensbildungsprozesse durchaus verbunden sein können mit einem verstärkten Einfluss "traditioneller Autoritäten" und lokaler kultureller Wertvorstellungen. Diese wiederum können raschen Modifikationen unterworfen sein.

Titelaufnahme:
Alice Bellagamba and Georg Klute (eds.)
Beside the State. Emergent Powers in Contemporary Africa
Reihe: Topics in African Studies, Band 10
Rüdiger Köppe Verlag, Köln 2008
234 Seiten, Euro 34,80
ISBN 978-3-89645-254-2

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution4


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Bayreuth, Christian Wißler, 05.02.2009
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Februar 2009