SCHACH-SPHINX/06648: Ein Angriff wie aus Pappmaché (SB)

Was tun, wenn man ohne Schleuder gegen Goliath antreten muß? Diese Frage stellte sich der deutsche Großmeister Eric Lobron, als er bei den Dortmunder Schachtagen gegen keinen Geringeren als Wladimir Kramnik die weißen Steine führte. Bereits in der Eröffnungsphase war der Wiesbadener ins Hintertreffen geraten. Daher versuchte er, aus der Not einer Tugend zu machen. Rücksichtslos gegen sich selbst opferte er zwei Bauern, um seine Streitmacht auf dem Königsflügel zu massieren. Die Bauernarmee rückte vor, die Türme besetzten zwei Linien und alles stand bereit für den großen, den unwiderstehlichen, den alles versüßenden Sieg. Kramnik hatte unterdessen jedoch das Seinige getan und einen Zaun von Verteidigungsfiguren um die bedrohte Königsstellung aufgebaut. Aber Kramnik wäre nicht Kramnik und gehörte nicht zum weltbesten Trio der Welt, wenn er es dabei belassen hätte. Und als Lobron zuletzt mit 1.Lf4-e5 die Lanze gegen den schwarzen König erhob, erfolgte der alles niederwalzende, für Kramnik so typische, siegreiche Gegenangriff. Der weiße Angriff sah im heutigen Rätsel der Sphinx zwar bedrohlich aus, war jedoch nicht fester und konkreter wie Pappmaché, Wanderer.

Lobron - Kramnik
Dortmund 1995

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Die schwarze Stellung war es wert, zugrunde zu gehen, je schneller, desto besser und je effektiver, desto geringer ihr Leiden: 1.Lg2xb7! Sa5xb7 2.Sc5xb7 Ta8-a7 - 2...Lc8xb7 3.Tb1xb7 Dc7xb7 4.Dd3-d6+ Ke7-e8 5.Dd6xe5+ und die schwarze Stellung löst sich in eitlen Dunst auf - 3.Sb7-d6 e5-e4 - das Mäuschen regt sich - 4.Dd3-d5 Lc8-e6 - hoppla, ein Erwachter? - 5.Dd5-e5 f7-f6 6.Sd6xf5+ Ke7-f7 7.Sf5-h6+ Kf7-e7 8.De5xe4 und Schwarz gab auf. Wer wollte schon in einer solchen Stellung weiterspielen?

Erstveröffentlichung am 9. August 2005

8. August 2018

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang