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SCHACH-SPHINX/06563: Wider dem französischen Tagtraum (SB)


Jede Eröffnung hat ihre eigenen Befürworter, die mit Worten nicht sparen zum höchsten Lobe. Jede Eröffnung hat jedoch auch ihre Kritiker, die nicht minder beflissen sind, alle Schattenseiten ins rechte Licht zu rücken. Zuweilen bedienen sie sich in diesem Punkte auch psychologischer Hilfsmittel. Mögen sie manches Mal auch allzu überspitzt formuliert sein und einer triftigen Grundlage entbehren, als Versuch muß man sie eben hinnehmen. Vielleicht, daß der eine oder andere darüber lächelt. Es ist sein gutes Recht, sich überlegen zu fühlen. Die Französische Verteidigung ruft nicht nur namensgeschichtliches Mißbehagen in deutschen Gemütern hervor. Ihr ganzes Dasein, so die psychologische Anklage, sei ein biederes Verkrampfen am lebendigen Puls des Schachspiels. Gegen den Königsbauernzug mit feigem Verschanzen in Konkurrenz zu treten, verderbe den Gedanken. Es sei unschicklich bis zum Verdruß, die eigenen Figuren, namentlich den Damenläufer, zu Statisten abzustempeln. Was hat diese Figur dem Franzosen denn getan, daß er sie dauerhaft unter den Wert eines Bauern stellt? fragen sie und blicken mit einem gewissen Stolz auf die Caro-Kann-Verteidigung, die diesem Problem durchaus auf die Füße zu helfen verstand. Aber das Französische, eine klare Kriegserklärung gegen die Ökonomie, ein Verdecken der Augen, um das gesunde Empfinden für rasche Entwicklung nicht erkennen zu müssen, ein Leugnen also der klassischen Eröffnungsgesetze. Diese Geisteshaltung hatte einen solchen Sumpfboden geschaffen, daß ein Freund der Logik wie Aaron Nimzowitsch dem Franzosen helfend zur Seite springen mußte und das verknöcherte 3...Sg8-f6 durch den eleganten Läuferzug 3...Lf8-b4 kurierte, das behaupten wenigstens die Kritiker der Französischen Verteidigung. Im heutigen Rätsel der Sphinx aus der 1. Meisterschaft der Slowakischen Republik zerstörte Großmeister Plachetka, der übrigens auch Landesmeister wurde, den französischen Tagtraum mit wuchtigen Schlägen. Sein Kontrahent Rückschloss hatte zuletzt 1...Ke8-d7? gespielt. Welche Rückschlüsse ziehst du daraus, Wanderer.



SCHACH-SPHINX/06563: Wider dem französischen Tagtraum (SB)

Plachetka - Rückschloss
Bad Topoltschan 1993

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Die weiße Stellung machte einen hundserbärmlichen Eindruck, und dieser täuschte nicht. Für Karpow war es nach 1.b2-b3 ein leichtes, mit 1...Tb8xb3! 2.Dc2xb3 d5xc4 3.Db3-a2 c4xd3+ 4.Ke2-f2 die Qualität zu opfern für zwei gebundene Freibauern, ein positioneller Vorteil, für dessen Verwirklichung Karpow ein geradezu berüchtigtes Fingerspitzengefühl besaß: 4...Tf8-f6 5.Ta1-c1 Kg8-g7 6.f3-f4 c5-c4 7.Da2-b2 e6-e5 8.f4xg5 h6xg5 9.Tc1-c3 Da5-b6 10.Db2xb6 a7xb6 11.Th1-h5 Sc6-e7 12.Lf1xd3 - Resignation, aber da 12.Th5xg5+? Kg7-h6 nicht anging und andererseits 12...Se7-d5 vernichtend drohte, mußte Timman irgend etwas unternehmen, wenn er schon nicht aufgeben wollte - 12...c4xd3 13.Tc3-c7 Tf6-e6 14.Kf2-e1 La6-b5 15.g3-g4 Kg7-g6 16.Th5-h8 f5-f4 und Weiß gab auf, um die Verlegenheit nicht weiter zu strapazieren.


Erstveröffentlichung am 16. Mai 2005

13. Mai 2018


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