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SCHACH-SPHINX/05673: Tausendjährige Geduld (SB)


Von Schachspielern sagt man, sie besäßen eine tausendjährige Geduld; und an diesem Gerücht ist in der Tat etwas Wahres dran. Viele Meister schleppen jahrelang neue Züge in ihrem Variantenkoffer mit sich herum, denken auch gar nicht daran, falls sie Eröffnungsliteratur schreiben, diese dem interessierten Schachvolk offenzulegen. Vielmehr üben sie sich in felsenhafter Gelassenheit, bis der Zeitpunkt kommt, wo sie wie eine Spinne aus dem Dunkel ihres Netzes hervorspringen und das gefangene Opfertier lähmen und verspeisen. Die Anekdoten sind reich von solchen Lauerern und Hinterm-Berg-Haltern. Zum Beispiel Lew Polugajewski. Sechs Jahre lang saß er am Analysebrett und brütete über eine Eröffnungsvariante nach, bis er all ihre Schwächen und Stärken gefunden zu haben glaubte. Erst dann, 1981 gegen den Filipino Torre, trat er mit seinem Gedankenkind an die Öffentlichkeit. Torre, völlig überrascht, verlor. Da Polugajewski bekannt war für seine Art der Verheimlichung und langen Vorbereitung, sagte der jugoslawische Großmeister Gligoric einst scherzeshalber über ihn: "Zwei Jahre sind wahrscheinlich der geringste Zeitraum, den der außerordentlich gewissenhafte Polugajewski braucht, um einen neuen Zug zu überprüfen." Züge, die in der gedanklichen Gefrierkammer lange auf ihren Einsatz warten, stecken beim Auftauen voller Gift. Meistenteils handelt es sich um Widerlegungen für umstrittene Varianten. Auch der dänische Großmeister Bent Larsen mußte sich Jahre gedulden, ehe er seinem russischen Rivalen Anatoli Karpow mit einer vorbereiteten Neuerung aufwarten konnte. Bis zum 26. Zug klappte alles vorzüglich, doch dann unterlief dem Dänen ein Mißgeschick, vielleicht weil ihm sein Gedächtnis über die Jahre in Stich gelassen hatte. Jedenfalls hatte Karpow im heutigen Rätsel der Sphinx zuletzt 26.b2xc3 gezogen, worauf Larsen mit nunmehr 26...Sd7xe5? sich selbst das Grab schaufelte. Was hätte er statt dessen ziehen müssen, Wanderer, um im Vorteil zu bleiben?



SCHACH-SPHINX/05673: Tausendjährige Geduld (SB)

Karpow - Larsen
Buenos Aires 1982

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Der deutsche Meister Friedrich Sämisch sah auch blind, wie die schwarze Festung zu nehmen war, nämlich mit 1.Lf4xh6! d5xc4 - 1...g7xh6? 2.Te1-e6 Dg8-g7 3.Df5-f8+ - 2.Lh6xg7+! Dg8xg7 3.Df5-h5+ Kh8- g8 4.Ld3xc4+ und Schwarz mußte aufgeben.


Erstveröffentlichung am 17. Dezember 2002

03. Dezember 2015


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