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SCHACH-SPHINX/05613: Narr des Schicksals (SB)


Als der Breslauer Gymnasiallehrer Adolf Anderssen 1851 im ersten internationalen Turnier der Schachgeschichte glänzend den ersten Platz belegte und damit die seinerzeit europaweit besten Meister ins Bockshorn jagte, übernahm das verschlafene Deutschland für nahezu 70 Jahre die federführende Rolle im Schach. Obwohl er offiziell nie zum Haupt der Schachgemeinde gekrönt wurde, ist man sich heute weitgehend darin einig, daß Anderssen ohne weiteres jeden Wettkampf mit seinen Konkurrenten für sich entschieden hätte, das kurze Dazwischenflackern des amerikanischen Meisters Paul Morphy einmal ausgenommen. In dem Londoner Turnier stürmte Anderssen den schachlichen Gipfel, erlebte jedoch auch eine schmerzhaft sich ins Gemüt einbrennende Niederlage. Es geschah dies in seiner Partie gegen den Engländer Howard Staunton, des Hauptorganisators des Turniers und Stütze des englischen Schachlebens. In der Diagrammstellung hatte Anderssen mit den schwarzen Steinen zwar einen Minusbauern, konnte dafür jedoch reichlich Ersatz anmelden. Mehr noch: Dank der Besetzung der g-Linie mit zwei Türmen und seiner Dame konnte er zu Recht auf einen raschen Sieg rechnen. Alles, was er dazu tun mußte, war, den weißen Springer mit 1...Le7xf6 zu eliminieren und dann auf g2 einzuschlagen. Der Rest wäre des Kommentars nicht wert gewesen, so reibungslos hätte sich der schwarze Angriff entfaltet. Was dann folgte, kann nicht anders als mit kopfschüttelndem Unglauben zur Kenntnis genommen werden, denn Anderssen zog, sich selbstwidrig zum Narren des Schicksals machend, 1...Kg8-f7?? Doch hören wir ihn selbst dazu: "Während ich schon im Begriff war, ihm den Todesstoß zu geben, sagte Staunton auf einmal, als ich gezogen hatte, ohne selbst erst zu ziehen: 'Schachmatt'. Ein Donnerschlag für mich. Im Divan [ein Londoner Schachlokal - die Red.] wartete schon alles auf die Nachricht vom vierten und letzten Siege, da komme ich an mit gesenkten Ohren und zeige meine Partie. Jedem war es einleuchtend, daß Staunton in wenigen Zügen verloren war, wenn ich einen so grenzenlosen Fehler nicht gemacht hätte. Ein Matt nicht zu sehen! Scheußlich!!!" Nun, Wanderer, beenden wir den Trauergesang, was übersah der geniale Anderssen im heutigen Rätsel der Sphinx geradezu gottverlassen?



SCHACH-SPHINX/05613: Narr des Schicksals (SB)

Staunton - Anderssen
London 1851

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Der englische Großmeister John Nunn spielte nach 1...Dc7xe5 unbeeindruckt 2.De2-d3!, worauf sich der Zauberteufel Tal mit 2...De5xg5 die Finger verbrannte, denn nach 3.Dd3-a3+ Ke7-d8 4.Ta1-d1+ Lc8-d7 5.Lb5xd7 gab er sogleich auf. Nach 5...Sf6xd7 6.Tf1xf7 wäre er regelrecht zerrissen worden.


Erstveröffentlichung am 19. Oktober 2002

30. September 2015


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