Schattenblick → INFOPOOL → SCHACH UND SPIELE → SCHACH


SCHACH-SPHINX/05573: Schild und Schwert der Moral (SB)


Sein Blick hing gebannt am Brett. Er scheute die Konfrontation mit den schier ungebändigten Komplikationen nicht. Je größer das Durcheinander in der Stellung, desto heimischer fühlte er sich. Denn er wußte, daß selbst in der größten Schrankenlosigkeit ein engumgrenzter Sieg gefunden werden konnte. Die Rede ist von Michail Tal, der wohl schillerndsten Gestalt in der gesamten Schachgeschichte. Große Auftritte verabscheute er. Kleine Gesten, ja, manchmal auch ein über die Grenzen maßvollen Umgangs hinausgreifender Witz, aber nie durfte er verletzen. Das Menschliche im Menschen respektieren, galt ihm am höchsten. Dennoch war er kein Eitkettenhändler, kein Biedermann und Kreuzzügler, dem die Moral Schild und Schwert war für die eigene unzulänglichkeit. Der Rahmen der Kunst war ja gesteckt, wozu sich also an Gehässigkeiten reiben? Viele Meister hatte Tal auf dem Brett regelrecht in die Ecke gestellt, doch nach dem Beenden der Partie war sein Herz stets frei von wölfischer Gier nach Ruhm und Triumphzug. Er stand zu hoch in der Kunst, um vor so Niedrigem wie Schadenfreude den Hut zu lüften. Beides zeichnete ihn aus: seine brutale Erfindungsgabe im Spiel und sein charmanter Witz im Privaten. Er konnte auch lächelnd verlieren und mit einer Träne im Auge gewinnen. Später, als er nicht jede Partie in Flammen setzte, warfen ihm Kritiker gelegentlich Vergreisung vor. Auch das Publikum mit seiner wankelmütigen Gunst ließ ihn zu solchen Zeiten fallen. Wenn er dann jedoch wie im heutigen Rätsel der Sphinx gegen den englischen Meister Speelman wieder den Teufel ritt, flogen ihm die Herzen aller Bewunderer zu. Also, Wanderer, der weiße Läufer auf c3 war bedroht - ob Tal das kümmerte?



SCHACH-SPHINX/05573: Schild und Schwert der Moral (SB)

Tal - Speelman
Subotica 1987

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Als Fernschachspieler schrieb Egon Ditt die volle Länge des Mattweges aufs Papier und schickte den Brief an seinen ungarischen Kontrahenten Monostori: 1...Tf5-f1+!! 2.Kg1xf1 De4xe2+ 3.Kf1-g1 De2-e1+ 4.Kg1-g2 Te8-e2+ 5.Kg2-h3 De1-f1+ 6.Kh3-g4 Te2-e4+ 7.Kg4-g5 h7-h6+ 8.Kg5-g6 Sd7- f8+ 9.Kg6-h5 Df1-h3# bzw. 6.Kh3-h4 Te2xh2+ 7.Kh4-g5 h7-h6+ 8.Kg5-g4 Sd7-f6+ 9.Ld4xf6 h7-h5+ 10.Kg4-g5 Df1xf6#


Erstveröffentlichung am 10. September 2002

21. August 2015


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang